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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshauson.

er Mathilden gütlich zu, nur noch ein wenig zu warten (mit dem Einsinken,
meinte er), während Julie mit möglichstem Stimmaufwand" die Namen sämt¬
licher Hausgenossen in den Morgen hinausrief. Herr Trakelberg übersah sofort
die Lage der Dinge, und da er in der Aufregung die ihm sonst abgehende
Geistesgegenwart zu erlangen pflegte, schickte er Julien nach dem Schmidt und
eilte selbst in den Holzschuppen, um ein Brett herbeizuschaffen, da man auf keine
andre Weise zu der Bedrängten gelangen konnte. Du, sagte Mathilde zu ihrem
Bruder, der noch am Ufer stand, du, jetzt ist es so kalt, daß ich nicht länger
festhalten kann.

Warte, ich komme von der andern Seite und halte dich.

Nein, das thu nicht! Du brichst nur selbst ein.

Ja, ich komme!

Aber ehe Valerian den Eingebungen seines geängsteten Herzens folgen konnte,
stürzte vom Hofe her Herr Trakelberg herbei, ein langes Brett hinter sich her¬
schleppend, dunkelrot im Gesicht und keuchend wie eine Dampfmaschine. Gleich¬
zeitig nahte vom Hause her eine lange Prozession: voran der Schmidt, dann
Cäcilie, Therese, der Hofmarschall, begleitet von seinem Kammerdiener Heinrich,
Mademoiselle Adelinc, die nun doch ihrem Morgenschlnmmer entsagen mußte,
Julie, die Köchin Minna, Crispine und sogar die Johanna von der gnä¬
digen Frau.

Bei aller Hast donnerte der Hofmarschall über den unverantwortlichen
Leichtsinn eines jeden, und die blaue Ader auf seiner Stirne schwoll zu be¬
denklicher Höhe. Schmidt und Heinrich aber beeilten sich, dem .Kandidaten bei¬
zustehen, und Tante Cüeilie hielt das Julchen so fest umklammert, als fürchte
sie, diese auch plötzlich in den tückischen Graben versetzt zu sehen.

Ach Gott! ach Gott! stöhnte händeringend die Crispine.

Du mein liebes Jesulein! rief die Johanna einmal über das andre.

Die Minna aber sagte: Na, das giebt 'nen tüchtigen Schnupfen! Ich muß
doch gleich mal 's Bette und so was zurechte machen. Damit trabte die Wackere
nach dem Hause zurück.

Die Hosmarschallin zitterte vor Angst und Aufregung. Sie preßte die
Hände zusammen und starrte mit weitgeöffneten Augen nach der Eisfläche. Der
Graben und die daran beschäftigten Menschen bewegten sich im Kreise um sie
her. Das verworrene Geräusch der Stimmen drang wie entferntes Summen
an ihr Ohr. Sie atmete schwer, nud ihre blutlosen Lippen bewegten sich, um
das Kind zu rufen; doch drang kein Laut aus ihrem Munde. Einen Augen¬
blick sah sie das breite Loch im Eise leer, und da meinte sie selbst hinabzusinken
in das kalte, schwarze Wasser. Sie hatte das Bewußtsein verloren.

(Fortsetzung folgt.)




Aus der Lhronik derer von Riffelshauson.

er Mathilden gütlich zu, nur noch ein wenig zu warten (mit dem Einsinken,
meinte er), während Julie mit möglichstem Stimmaufwand« die Namen sämt¬
licher Hausgenossen in den Morgen hinausrief. Herr Trakelberg übersah sofort
die Lage der Dinge, und da er in der Aufregung die ihm sonst abgehende
Geistesgegenwart zu erlangen pflegte, schickte er Julien nach dem Schmidt und
eilte selbst in den Holzschuppen, um ein Brett herbeizuschaffen, da man auf keine
andre Weise zu der Bedrängten gelangen konnte. Du, sagte Mathilde zu ihrem
Bruder, der noch am Ufer stand, du, jetzt ist es so kalt, daß ich nicht länger
festhalten kann.

Warte, ich komme von der andern Seite und halte dich.

Nein, das thu nicht! Du brichst nur selbst ein.

Ja, ich komme!

Aber ehe Valerian den Eingebungen seines geängsteten Herzens folgen konnte,
stürzte vom Hofe her Herr Trakelberg herbei, ein langes Brett hinter sich her¬
schleppend, dunkelrot im Gesicht und keuchend wie eine Dampfmaschine. Gleich¬
zeitig nahte vom Hause her eine lange Prozession: voran der Schmidt, dann
Cäcilie, Therese, der Hofmarschall, begleitet von seinem Kammerdiener Heinrich,
Mademoiselle Adelinc, die nun doch ihrem Morgenschlnmmer entsagen mußte,
Julie, die Köchin Minna, Crispine und sogar die Johanna von der gnä¬
digen Frau.

Bei aller Hast donnerte der Hofmarschall über den unverantwortlichen
Leichtsinn eines jeden, und die blaue Ader auf seiner Stirne schwoll zu be¬
denklicher Höhe. Schmidt und Heinrich aber beeilten sich, dem .Kandidaten bei¬
zustehen, und Tante Cüeilie hielt das Julchen so fest umklammert, als fürchte
sie, diese auch plötzlich in den tückischen Graben versetzt zu sehen.

Ach Gott! ach Gott! stöhnte händeringend die Crispine.

Du mein liebes Jesulein! rief die Johanna einmal über das andre.

Die Minna aber sagte: Na, das giebt 'nen tüchtigen Schnupfen! Ich muß
doch gleich mal 's Bette und so was zurechte machen. Damit trabte die Wackere
nach dem Hause zurück.

Die Hosmarschallin zitterte vor Angst und Aufregung. Sie preßte die
Hände zusammen und starrte mit weitgeöffneten Augen nach der Eisfläche. Der
Graben und die daran beschäftigten Menschen bewegten sich im Kreise um sie
her. Das verworrene Geräusch der Stimmen drang wie entferntes Summen
an ihr Ohr. Sie atmete schwer, nud ihre blutlosen Lippen bewegten sich, um
das Kind zu rufen; doch drang kein Laut aus ihrem Munde. Einen Augen¬
blick sah sie das breite Loch im Eise leer, und da meinte sie selbst hinabzusinken
in das kalte, schwarze Wasser. Sie hatte das Bewußtsein verloren.

(Fortsetzung folgt.)




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[0388] Aus der Lhronik derer von Riffelshauson. er Mathilden gütlich zu, nur noch ein wenig zu warten (mit dem Einsinken, meinte er), während Julie mit möglichstem Stimmaufwand« die Namen sämt¬ licher Hausgenossen in den Morgen hinausrief. Herr Trakelberg übersah sofort die Lage der Dinge, und da er in der Aufregung die ihm sonst abgehende Geistesgegenwart zu erlangen pflegte, schickte er Julien nach dem Schmidt und eilte selbst in den Holzschuppen, um ein Brett herbeizuschaffen, da man auf keine andre Weise zu der Bedrängten gelangen konnte. Du, sagte Mathilde zu ihrem Bruder, der noch am Ufer stand, du, jetzt ist es so kalt, daß ich nicht länger festhalten kann. Warte, ich komme von der andern Seite und halte dich. Nein, das thu nicht! Du brichst nur selbst ein. Ja, ich komme! Aber ehe Valerian den Eingebungen seines geängsteten Herzens folgen konnte, stürzte vom Hofe her Herr Trakelberg herbei, ein langes Brett hinter sich her¬ schleppend, dunkelrot im Gesicht und keuchend wie eine Dampfmaschine. Gleich¬ zeitig nahte vom Hause her eine lange Prozession: voran der Schmidt, dann Cäcilie, Therese, der Hofmarschall, begleitet von seinem Kammerdiener Heinrich, Mademoiselle Adelinc, die nun doch ihrem Morgenschlnmmer entsagen mußte, Julie, die Köchin Minna, Crispine und sogar die Johanna von der gnä¬ digen Frau. Bei aller Hast donnerte der Hofmarschall über den unverantwortlichen Leichtsinn eines jeden, und die blaue Ader auf seiner Stirne schwoll zu be¬ denklicher Höhe. Schmidt und Heinrich aber beeilten sich, dem .Kandidaten bei¬ zustehen, und Tante Cüeilie hielt das Julchen so fest umklammert, als fürchte sie, diese auch plötzlich in den tückischen Graben versetzt zu sehen. Ach Gott! ach Gott! stöhnte händeringend die Crispine. Du mein liebes Jesulein! rief die Johanna einmal über das andre. Die Minna aber sagte: Na, das giebt 'nen tüchtigen Schnupfen! Ich muß doch gleich mal 's Bette und so was zurechte machen. Damit trabte die Wackere nach dem Hause zurück. Die Hosmarschallin zitterte vor Angst und Aufregung. Sie preßte die Hände zusammen und starrte mit weitgeöffneten Augen nach der Eisfläche. Der Graben und die daran beschäftigten Menschen bewegten sich im Kreise um sie her. Das verworrene Geräusch der Stimmen drang wie entferntes Summen an ihr Ohr. Sie atmete schwer, nud ihre blutlosen Lippen bewegten sich, um das Kind zu rufen; doch drang kein Laut aus ihrem Munde. Einen Augen¬ blick sah sie das breite Loch im Eise leer, und da meinte sie selbst hinabzusinken in das kalte, schwarze Wasser. Sie hatte das Bewußtsein verloren. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/388>, abgerufen am 24.08.2024.