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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Raiserwahl vom Jahre 1(51.9 und Karls V. Anfänge.

Abneigung größer als in den Reichsstädten; seit man so gut wie sicher wußte,
daß der Vergewaltiger Reutlingens von Frankreich unterstützt worden war, sah
man in Franz I. den schlimmsten Feind des reichsstädtischen Wesens; es half
dem König nichts, daß er ausdrücklich in Abrede stellen ließ, daß er die mit Geld
und Waffen unterstütze, welche in erklärter Feindschaft die Reichsstädte angreifen:
niemand glaubte seinen Worten.

Diese gewaltige nationale Strömung hat im letzten Grunde doch die Kaiser¬
wahl entschieden. So unbeschränkt in der Theorie das Wahlrecht der Kur¬
fürsten war, so mußten sie sich in der Praxis doch nach der in der Nation vor¬
waltenden Gesinnung richten; man hätte sie in Stücke gehauen, sagt Pace, wenn
sie Franz gewählt hätten; "wenn wir ihn anch wollten, sollen sie selbst sich
geäußert haben, wir dürften ihn nicht wählen." Der Friede Deutschlands hing
an einem Haar; kein Zweifel, daß auf die Wahl Franz' I. die Mehrheit der
Nation mit einer Schilderhebung antwortete, und dann war der Bürgerkrieg
da. Aber auch dann war er nicht zu vermeiden, wenn das Volk die Wahl doch
ruhig hinnahm; denn ein großer Kampf zwischen Karl und Franz war mit aller
Sicherheit früher oder später zu erwarten, und dieser Krieg mußte sich deshalb
alsbald in einen deutschen Bürgerkrieg verwandeln, weil Karl dann die deutschen
Besitzungen seines Hauses gegen Franz und dessen deutschen Anhang zu ver¬
teidigen hatte. Nur dann zerriß der bevorstehende europäische Krieg Deutschland
nicht in zwei Lager, wenn ihn der König von Kastilien als Kaiser führte. Unter¬
lag er bei der Wahl, so wurde der ieunrdeutsche Gegensatz zwischen französischer
"ut österreichischer Partei nicht beseitigt, da Karl nun einmal einer der größten
Reichsfürsten war und blieb; unterlag aber Franz, so war die Sache abgethan,
und auch seinen Parteigängern blieb, wenn sie nicht um ihre Existenz spielen
wollten, nichts übrig, als sich in die Umstände zu schicken.*) Man sieht aus
allem: einerseits die nationale Abneigung gegen einen Wälschen, von dem man
überdies ein strammes monarchisches Auftreten mit wenig Schonung der deutschen
"Libertät" erwarten durfte, und anderseits die gewaltige, historisch allmählich
gewordene und gefestigte Stellung des Hauses Habsburg in Deuschland drängten
mit Notwendigkeit zur Abweisung Franz' I. und zur Erhebung des Königs von
Kastilien; was konservativ dachte im Reiche, was die schwersten Erschütterungen
vermieden sehen wollte, das mußte sich an Karl anschließen; der Instinkt des
Volkes und die überlegten Erwägungen der Politiker führten auf das gleiche
Ziel hinaus.

So lenkte denn einer der Kurfürsten nach dem andern ein, aber nicht, ohne



Diesen Gesichtspunkt läßt Sleidanus den Mainzer Erzbischof in seiner Rede hervor¬
heben. L re-rmktiv-i, non est (Franz zu wählen): <M!" Knos äiczioQsrn "usw Hallus g-o-
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vxoitomus.
Die Raiserwahl vom Jahre 1(51.9 und Karls V. Anfänge.

Abneigung größer als in den Reichsstädten; seit man so gut wie sicher wußte,
daß der Vergewaltiger Reutlingens von Frankreich unterstützt worden war, sah
man in Franz I. den schlimmsten Feind des reichsstädtischen Wesens; es half
dem König nichts, daß er ausdrücklich in Abrede stellen ließ, daß er die mit Geld
und Waffen unterstütze, welche in erklärter Feindschaft die Reichsstädte angreifen:
niemand glaubte seinen Worten.

Diese gewaltige nationale Strömung hat im letzten Grunde doch die Kaiser¬
wahl entschieden. So unbeschränkt in der Theorie das Wahlrecht der Kur¬
fürsten war, so mußten sie sich in der Praxis doch nach der in der Nation vor¬
waltenden Gesinnung richten; man hätte sie in Stücke gehauen, sagt Pace, wenn
sie Franz gewählt hätten; „wenn wir ihn anch wollten, sollen sie selbst sich
geäußert haben, wir dürften ihn nicht wählen." Der Friede Deutschlands hing
an einem Haar; kein Zweifel, daß auf die Wahl Franz' I. die Mehrheit der
Nation mit einer Schilderhebung antwortete, und dann war der Bürgerkrieg
da. Aber auch dann war er nicht zu vermeiden, wenn das Volk die Wahl doch
ruhig hinnahm; denn ein großer Kampf zwischen Karl und Franz war mit aller
Sicherheit früher oder später zu erwarten, und dieser Krieg mußte sich deshalb
alsbald in einen deutschen Bürgerkrieg verwandeln, weil Karl dann die deutschen
Besitzungen seines Hauses gegen Franz und dessen deutschen Anhang zu ver¬
teidigen hatte. Nur dann zerriß der bevorstehende europäische Krieg Deutschland
nicht in zwei Lager, wenn ihn der König von Kastilien als Kaiser führte. Unter¬
lag er bei der Wahl, so wurde der ieunrdeutsche Gegensatz zwischen französischer
»ut österreichischer Partei nicht beseitigt, da Karl nun einmal einer der größten
Reichsfürsten war und blieb; unterlag aber Franz, so war die Sache abgethan,
und auch seinen Parteigängern blieb, wenn sie nicht um ihre Existenz spielen
wollten, nichts übrig, als sich in die Umstände zu schicken.*) Man sieht aus
allem: einerseits die nationale Abneigung gegen einen Wälschen, von dem man
überdies ein strammes monarchisches Auftreten mit wenig Schonung der deutschen
„Libertät" erwarten durfte, und anderseits die gewaltige, historisch allmählich
gewordene und gefestigte Stellung des Hauses Habsburg in Deuschland drängten
mit Notwendigkeit zur Abweisung Franz' I. und zur Erhebung des Königs von
Kastilien; was konservativ dachte im Reiche, was die schwersten Erschütterungen
vermieden sehen wollte, das mußte sich an Karl anschließen; der Instinkt des
Volkes und die überlegten Erwägungen der Politiker führten auf das gleiche
Ziel hinaus.

So lenkte denn einer der Kurfürsten nach dem andern ein, aber nicht, ohne



Diesen Gesichtspunkt läßt Sleidanus den Mainzer Erzbischof in seiner Rede hervor¬
heben. L re-rmktiv-i, non est (Franz zu wählen): <M!» Knos äiczioQsrn »usw Hallus g-o-
x1itivg.ro volot se Larolo, yusm van, oollnin taoiot-. imo, ism illuci donuntisvit: iwqus Lot,
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[0371] Die Raiserwahl vom Jahre 1(51.9 und Karls V. Anfänge. Abneigung größer als in den Reichsstädten; seit man so gut wie sicher wußte, daß der Vergewaltiger Reutlingens von Frankreich unterstützt worden war, sah man in Franz I. den schlimmsten Feind des reichsstädtischen Wesens; es half dem König nichts, daß er ausdrücklich in Abrede stellen ließ, daß er die mit Geld und Waffen unterstütze, welche in erklärter Feindschaft die Reichsstädte angreifen: niemand glaubte seinen Worten. Diese gewaltige nationale Strömung hat im letzten Grunde doch die Kaiser¬ wahl entschieden. So unbeschränkt in der Theorie das Wahlrecht der Kur¬ fürsten war, so mußten sie sich in der Praxis doch nach der in der Nation vor¬ waltenden Gesinnung richten; man hätte sie in Stücke gehauen, sagt Pace, wenn sie Franz gewählt hätten; „wenn wir ihn anch wollten, sollen sie selbst sich geäußert haben, wir dürften ihn nicht wählen." Der Friede Deutschlands hing an einem Haar; kein Zweifel, daß auf die Wahl Franz' I. die Mehrheit der Nation mit einer Schilderhebung antwortete, und dann war der Bürgerkrieg da. Aber auch dann war er nicht zu vermeiden, wenn das Volk die Wahl doch ruhig hinnahm; denn ein großer Kampf zwischen Karl und Franz war mit aller Sicherheit früher oder später zu erwarten, und dieser Krieg mußte sich deshalb alsbald in einen deutschen Bürgerkrieg verwandeln, weil Karl dann die deutschen Besitzungen seines Hauses gegen Franz und dessen deutschen Anhang zu ver¬ teidigen hatte. Nur dann zerriß der bevorstehende europäische Krieg Deutschland nicht in zwei Lager, wenn ihn der König von Kastilien als Kaiser führte. Unter¬ lag er bei der Wahl, so wurde der ieunrdeutsche Gegensatz zwischen französischer »ut österreichischer Partei nicht beseitigt, da Karl nun einmal einer der größten Reichsfürsten war und blieb; unterlag aber Franz, so war die Sache abgethan, und auch seinen Parteigängern blieb, wenn sie nicht um ihre Existenz spielen wollten, nichts übrig, als sich in die Umstände zu schicken.*) Man sieht aus allem: einerseits die nationale Abneigung gegen einen Wälschen, von dem man überdies ein strammes monarchisches Auftreten mit wenig Schonung der deutschen „Libertät" erwarten durfte, und anderseits die gewaltige, historisch allmählich gewordene und gefestigte Stellung des Hauses Habsburg in Deuschland drängten mit Notwendigkeit zur Abweisung Franz' I. und zur Erhebung des Königs von Kastilien; was konservativ dachte im Reiche, was die schwersten Erschütterungen vermieden sehen wollte, das mußte sich an Karl anschließen; der Instinkt des Volkes und die überlegten Erwägungen der Politiker führten auf das gleiche Ziel hinaus. So lenkte denn einer der Kurfürsten nach dem andern ein, aber nicht, ohne Diesen Gesichtspunkt läßt Sleidanus den Mainzer Erzbischof in seiner Rede hervor¬ heben. L re-rmktiv-i, non est (Franz zu wählen): <M!» Knos äiczioQsrn »usw Hallus g-o- x1itivg.ro volot se Larolo, yusm van, oollnin taoiot-. imo, ism illuci donuntisvit: iwqus Lot, ut <Zorrn!>.iiis, maximis rrwtious imxliootnr. Aos antom xrovicloro ctoost, no olons dolium vxoitomus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/371>, abgerufen am 22.07.2024.