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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Meineidpest.

den Eidbruch straflos läßt, so giebt es hierfür nur eine zureichende Erklärung:
wie der Beamte oder der Soldat sein pflichtwidriges Handeln mit seinem Eide
vereinigen, wie er es vor Gott verantworten will, das überläßt der Staat ihrem
Gewissen, er straft nur die gegen ihn verübte That.

Ist der letztere Satz richtig, dann kann auch die Strafbarkeit des Meineids
nicht darauf zurückgeführt werden, daß er ein Neligionsverbrechen sei; dies war
allerdings die Anschauung des Mittelalters, auch noch die der peinlichen Ge¬
richtsordnung Karls V.; nach dieser Anschauung wurde aber folgerichtig auch
der Eidbruch, jedoch vielfach gelinder als der Meineid, bestraft; denn war der
Meineid eine Lästerung, so war der Eidbruch -- anthropomorphistisch ge¬
sprochen -- immer uoch eine Beleidigung Gottes. Als Beleidigung der Gottheit
faßten auch das ältere römische wie das ältere deutsche Recht den Meineid
auf, sie kannten aber keine weltliche Strafe desselben, sondern überließen sie der
gekränkten Gottheit; der falsche Zeuge allerdings wurde gestraft, aber uicht
wegen Meiueids (der Zeugeneid kam erst in der spätern römischen Kaiserzeit
auf), sondern wegen des falschen Zeugnisses. Nach heutigem Rechte dagegen,
wie schon nach gemeinem Rechte, ist das falsche Zeugnis als solches straflos,
für den Zeugen, der -- sei es wegen Verzichts der Parteien (im Zivilprvzesse)
oder wegen eines gesetzlichen Hindernisses -- ""vereidigt vernommen wird, be¬
steht nur eine moralische Nötigung, die Wahrheit zu sagen; immerhin beruht
die Strafbarkeit des falschen Zeugeueides doch uur auf der Verletzung der
Pflicht, als Zeuge die Wahrheit zu sagen. Der Eid ist für den Richter die
Beglaubigung der Wahrheit der Zeugenaussage, er ist der Stempel, welcher
der Aussage ihren gerichtlichen Kurs verleiht, mag er der Aussage vorhergehen
oder nachfolgen; der Zeugcneid ist in Wirklichkeit immer ein assertorischer Eid,
der Zeuge schwört stets ans die Wahrheit seiner Aussage, auch wenn der vor
der Vernehmung geleistete Eid scheinbar nur ans das Versprechen gerichtet ist,
die Wahrheit zu sagen; eigentlich sollte in diesem Falle die Eidesformel lauten:
"Ich schwöre, daß das, was ich sagen werde, die Wahrheit ist"; das wäre
freilich ein Verstoß gegen die Gesetze der Sprache und des Denkens, denn streng
genommen kann man nur auf die Wahrheit dessen schwören, was ist oder war,
nicht aber auch auf die Wahrheit dessen, was sein wird. Um diesen Verstoß
gegen Sprache und Logik zu vermeiden, hätte man die nachfolgende Vereidigung
vorschreiben müssen; statt dessen hat man den Verstoß verschleiert durch die An¬
ordnung des scheinbar promissorischen Eides, während man doch die wahre
Natur des Zeugeueides als assertorischen Eides zu allen Zeiten durch die Be¬
stimmungen des materiellen Rechts über die Vollendung des Meineids aner¬
kennen mußte: der Bruch des promissorischen Eides erscheint an sich vollendet
mit der ersten wissentlich falschen Aussage des Zeugen; es hat aber uoch
jeder Gesetzgeber, der den sogenannten promissorischen Eid verlangt oder zuläßt,
sich genötigt gesehen (ausdrücklich oder stillschweigend), zu verordnen, daß der


Die Meineidpest.

den Eidbruch straflos läßt, so giebt es hierfür nur eine zureichende Erklärung:
wie der Beamte oder der Soldat sein pflichtwidriges Handeln mit seinem Eide
vereinigen, wie er es vor Gott verantworten will, das überläßt der Staat ihrem
Gewissen, er straft nur die gegen ihn verübte That.

Ist der letztere Satz richtig, dann kann auch die Strafbarkeit des Meineids
nicht darauf zurückgeführt werden, daß er ein Neligionsverbrechen sei; dies war
allerdings die Anschauung des Mittelalters, auch noch die der peinlichen Ge¬
richtsordnung Karls V.; nach dieser Anschauung wurde aber folgerichtig auch
der Eidbruch, jedoch vielfach gelinder als der Meineid, bestraft; denn war der
Meineid eine Lästerung, so war der Eidbruch — anthropomorphistisch ge¬
sprochen — immer uoch eine Beleidigung Gottes. Als Beleidigung der Gottheit
faßten auch das ältere römische wie das ältere deutsche Recht den Meineid
auf, sie kannten aber keine weltliche Strafe desselben, sondern überließen sie der
gekränkten Gottheit; der falsche Zeuge allerdings wurde gestraft, aber uicht
wegen Meiueids (der Zeugeneid kam erst in der spätern römischen Kaiserzeit
auf), sondern wegen des falschen Zeugnisses. Nach heutigem Rechte dagegen,
wie schon nach gemeinem Rechte, ist das falsche Zeugnis als solches straflos,
für den Zeugen, der — sei es wegen Verzichts der Parteien (im Zivilprvzesse)
oder wegen eines gesetzlichen Hindernisses — »»vereidigt vernommen wird, be¬
steht nur eine moralische Nötigung, die Wahrheit zu sagen; immerhin beruht
die Strafbarkeit des falschen Zeugeueides doch uur auf der Verletzung der
Pflicht, als Zeuge die Wahrheit zu sagen. Der Eid ist für den Richter die
Beglaubigung der Wahrheit der Zeugenaussage, er ist der Stempel, welcher
der Aussage ihren gerichtlichen Kurs verleiht, mag er der Aussage vorhergehen
oder nachfolgen; der Zeugcneid ist in Wirklichkeit immer ein assertorischer Eid,
der Zeuge schwört stets ans die Wahrheit seiner Aussage, auch wenn der vor
der Vernehmung geleistete Eid scheinbar nur ans das Versprechen gerichtet ist,
die Wahrheit zu sagen; eigentlich sollte in diesem Falle die Eidesformel lauten:
„Ich schwöre, daß das, was ich sagen werde, die Wahrheit ist"; das wäre
freilich ein Verstoß gegen die Gesetze der Sprache und des Denkens, denn streng
genommen kann man nur auf die Wahrheit dessen schwören, was ist oder war,
nicht aber auch auf die Wahrheit dessen, was sein wird. Um diesen Verstoß
gegen Sprache und Logik zu vermeiden, hätte man die nachfolgende Vereidigung
vorschreiben müssen; statt dessen hat man den Verstoß verschleiert durch die An¬
ordnung des scheinbar promissorischen Eides, während man doch die wahre
Natur des Zeugeueides als assertorischen Eides zu allen Zeiten durch die Be¬
stimmungen des materiellen Rechts über die Vollendung des Meineids aner¬
kennen mußte: der Bruch des promissorischen Eides erscheint an sich vollendet
mit der ersten wissentlich falschen Aussage des Zeugen; es hat aber uoch
jeder Gesetzgeber, der den sogenannten promissorischen Eid verlangt oder zuläßt,
sich genötigt gesehen (ausdrücklich oder stillschweigend), zu verordnen, daß der


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[0359] Die Meineidpest. den Eidbruch straflos läßt, so giebt es hierfür nur eine zureichende Erklärung: wie der Beamte oder der Soldat sein pflichtwidriges Handeln mit seinem Eide vereinigen, wie er es vor Gott verantworten will, das überläßt der Staat ihrem Gewissen, er straft nur die gegen ihn verübte That. Ist der letztere Satz richtig, dann kann auch die Strafbarkeit des Meineids nicht darauf zurückgeführt werden, daß er ein Neligionsverbrechen sei; dies war allerdings die Anschauung des Mittelalters, auch noch die der peinlichen Ge¬ richtsordnung Karls V.; nach dieser Anschauung wurde aber folgerichtig auch der Eidbruch, jedoch vielfach gelinder als der Meineid, bestraft; denn war der Meineid eine Lästerung, so war der Eidbruch — anthropomorphistisch ge¬ sprochen — immer uoch eine Beleidigung Gottes. Als Beleidigung der Gottheit faßten auch das ältere römische wie das ältere deutsche Recht den Meineid auf, sie kannten aber keine weltliche Strafe desselben, sondern überließen sie der gekränkten Gottheit; der falsche Zeuge allerdings wurde gestraft, aber uicht wegen Meiueids (der Zeugeneid kam erst in der spätern römischen Kaiserzeit auf), sondern wegen des falschen Zeugnisses. Nach heutigem Rechte dagegen, wie schon nach gemeinem Rechte, ist das falsche Zeugnis als solches straflos, für den Zeugen, der — sei es wegen Verzichts der Parteien (im Zivilprvzesse) oder wegen eines gesetzlichen Hindernisses — »»vereidigt vernommen wird, be¬ steht nur eine moralische Nötigung, die Wahrheit zu sagen; immerhin beruht die Strafbarkeit des falschen Zeugeueides doch uur auf der Verletzung der Pflicht, als Zeuge die Wahrheit zu sagen. Der Eid ist für den Richter die Beglaubigung der Wahrheit der Zeugenaussage, er ist der Stempel, welcher der Aussage ihren gerichtlichen Kurs verleiht, mag er der Aussage vorhergehen oder nachfolgen; der Zeugcneid ist in Wirklichkeit immer ein assertorischer Eid, der Zeuge schwört stets ans die Wahrheit seiner Aussage, auch wenn der vor der Vernehmung geleistete Eid scheinbar nur ans das Versprechen gerichtet ist, die Wahrheit zu sagen; eigentlich sollte in diesem Falle die Eidesformel lauten: „Ich schwöre, daß das, was ich sagen werde, die Wahrheit ist"; das wäre freilich ein Verstoß gegen die Gesetze der Sprache und des Denkens, denn streng genommen kann man nur auf die Wahrheit dessen schwören, was ist oder war, nicht aber auch auf die Wahrheit dessen, was sein wird. Um diesen Verstoß gegen Sprache und Logik zu vermeiden, hätte man die nachfolgende Vereidigung vorschreiben müssen; statt dessen hat man den Verstoß verschleiert durch die An¬ ordnung des scheinbar promissorischen Eides, während man doch die wahre Natur des Zeugeueides als assertorischen Eides zu allen Zeiten durch die Be¬ stimmungen des materiellen Rechts über die Vollendung des Meineids aner¬ kennen mußte: der Bruch des promissorischen Eides erscheint an sich vollendet mit der ersten wissentlich falschen Aussage des Zeugen; es hat aber uoch jeder Gesetzgeber, der den sogenannten promissorischen Eid verlangt oder zuläßt, sich genötigt gesehen (ausdrücklich oder stillschweigend), zu verordnen, daß der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/359>, abgerufen am 22.07.2024.