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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Meinoidpest.

duch stellt aber diese Verletzung unter deu Begriff des Meincids. Mit welchem
Rechte? wird alsbald erörtert werden.

Meineid und Eidbruch werden vom Strafgesetz sehr verschieden behandelt.
Der (gerichtliche) Meineid wird stets als Verbrechen schwer bestraft. Der Eid¬
bruch unterliegt als solcher in den meisten Fällen keiner Strafe; solche ist vom
Strafgesetzbuch" nur in zwei Fällen angedroht, nämlich nur demjenigen, der
"vorsätzlich einer durch eidliches Angelöbnis vor Gericht bestellten Sicherheit
oder dem in einem Offenbarungseide geleisteten Versprechen zuwiderhandelt" --
eine Bestimmung, die in ihrem ersten Teile sehr wenig praktisch, in ihrem zweiten
verfehlt ist; denn wenn der Zeuge, der sein Versprechen, die Wahrheit zu sagen,
bricht, gerade ebenso bestraft wird wie der Zeuge, der seine wissentlich falsche
Aussage nachträglich beschwört, und wenn ferner derjenige, der den Offenbarnngs-
eid, d. h. den Eid zur Erhärtung seines Vermögeusstandes dahin leistete: "Ich
habe mein Vermögen vollständig angegeben und nichts verschwiegen," im Falle
wissentlich falscher und unvollständiger Angabe wegen Meineids bestraft wird,
so ist nicht einzusehen, warum derjenige, welcher vor der Vermögensangabc
schwört: "Ich werde mein Vermögen vollständig angeben," bei gleich falscher
Angabe viel milder als der erstere bestraft werden soll. Alle andern Fülle des
Eidbruchs, insbesondre der Bruch des von dem Beamten geleisteten Diensteides,
der Bruch des Fahuencides des Soldaten sind straflos; der Richter, der ans
Eigennutz oder Menschenfurcht einen Unschuldigen verurteilt oder einen Schul¬
digen freispricht, der Soldat, der desertirt, werden wegen Beugung des Rechts,
wegen Fahnenflucht, nicht aber auch wegen Eidbruchs bestraft.

Warum diese Verschiedenheit in der Behandlung des Meineids und des
Eidbruchs? Die leichtere Ahndung des letztern gegenüber dem erstern wäre leicht
verständlich, der Grund hierfür läge in der verschiednen Schwere beider Ver¬
brechen, die sich -- vom rein menschlichen Standpunkte -- wie Lüge zu Wort¬
bruch, vom religiösen Standpunkte (gewöhnlich) wie Bvsheitssünde zur Schwach-
hcitssüude verhalte". Der Meineid wird vollendet im Augenblick und durch
den Akt der Eidesleistung: der Meineidige ist sich seines Meineids im Augen¬
blicke der Verübung vollständig bewußt; der Eidbrnch dagegen folgt der Eides¬
leistung nach, vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten; der Richter, der das
Recht beugt, der Deserteur ist sich wohl seiner Rechtsbeugung, seiner Fahnen¬
flucht bewußt, aber an den geleisteten Diensteid oder Fahneneid wird er oft
garnicht denken; gebrochen hat er seinen Eid trotzdem, und zwar durch eine
vorsätzliche Handlung. Man sage auch nicht, die Straflosigkeit rechtfertige sich
dadurch, daß sein Vorsatz nicht direkt auf den Eidbruch gerichtet war; dann
müßte Bestrafung wegen Eidbruchs wenigstens in denjenigen Fällen eintreten,
wo der Beamte oder der Soldat im Augenblicke der That seines Eides ein¬
gedenk war. Wenn das Gesetz auch in diesem Falle, ja selbst dann, wenn er¬
wiesenermaßen der Eid geleistet wurde schon mit dem Vorsatze, ihn zu brechen,


Die Meinoidpest.

duch stellt aber diese Verletzung unter deu Begriff des Meincids. Mit welchem
Rechte? wird alsbald erörtert werden.

Meineid und Eidbruch werden vom Strafgesetz sehr verschieden behandelt.
Der (gerichtliche) Meineid wird stets als Verbrechen schwer bestraft. Der Eid¬
bruch unterliegt als solcher in den meisten Fällen keiner Strafe; solche ist vom
Strafgesetzbuch« nur in zwei Fällen angedroht, nämlich nur demjenigen, der
„vorsätzlich einer durch eidliches Angelöbnis vor Gericht bestellten Sicherheit
oder dem in einem Offenbarungseide geleisteten Versprechen zuwiderhandelt" —
eine Bestimmung, die in ihrem ersten Teile sehr wenig praktisch, in ihrem zweiten
verfehlt ist; denn wenn der Zeuge, der sein Versprechen, die Wahrheit zu sagen,
bricht, gerade ebenso bestraft wird wie der Zeuge, der seine wissentlich falsche
Aussage nachträglich beschwört, und wenn ferner derjenige, der den Offenbarnngs-
eid, d. h. den Eid zur Erhärtung seines Vermögeusstandes dahin leistete: „Ich
habe mein Vermögen vollständig angegeben und nichts verschwiegen," im Falle
wissentlich falscher und unvollständiger Angabe wegen Meineids bestraft wird,
so ist nicht einzusehen, warum derjenige, welcher vor der Vermögensangabc
schwört: „Ich werde mein Vermögen vollständig angeben," bei gleich falscher
Angabe viel milder als der erstere bestraft werden soll. Alle andern Fülle des
Eidbruchs, insbesondre der Bruch des von dem Beamten geleisteten Diensteides,
der Bruch des Fahuencides des Soldaten sind straflos; der Richter, der ans
Eigennutz oder Menschenfurcht einen Unschuldigen verurteilt oder einen Schul¬
digen freispricht, der Soldat, der desertirt, werden wegen Beugung des Rechts,
wegen Fahnenflucht, nicht aber auch wegen Eidbruchs bestraft.

Warum diese Verschiedenheit in der Behandlung des Meineids und des
Eidbruchs? Die leichtere Ahndung des letztern gegenüber dem erstern wäre leicht
verständlich, der Grund hierfür läge in der verschiednen Schwere beider Ver¬
brechen, die sich — vom rein menschlichen Standpunkte — wie Lüge zu Wort¬
bruch, vom religiösen Standpunkte (gewöhnlich) wie Bvsheitssünde zur Schwach-
hcitssüude verhalte». Der Meineid wird vollendet im Augenblick und durch
den Akt der Eidesleistung: der Meineidige ist sich seines Meineids im Augen¬
blicke der Verübung vollständig bewußt; der Eidbrnch dagegen folgt der Eides¬
leistung nach, vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten; der Richter, der das
Recht beugt, der Deserteur ist sich wohl seiner Rechtsbeugung, seiner Fahnen¬
flucht bewußt, aber an den geleisteten Diensteid oder Fahneneid wird er oft
garnicht denken; gebrochen hat er seinen Eid trotzdem, und zwar durch eine
vorsätzliche Handlung. Man sage auch nicht, die Straflosigkeit rechtfertige sich
dadurch, daß sein Vorsatz nicht direkt auf den Eidbruch gerichtet war; dann
müßte Bestrafung wegen Eidbruchs wenigstens in denjenigen Fällen eintreten,
wo der Beamte oder der Soldat im Augenblicke der That seines Eides ein¬
gedenk war. Wenn das Gesetz auch in diesem Falle, ja selbst dann, wenn er¬
wiesenermaßen der Eid geleistet wurde schon mit dem Vorsatze, ihn zu brechen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/358>, abgerufen am 22.07.2024.