wenn man sich der russischen Samtgcmeinde und der Urteils der Fabrikarbeiter erinnert, wenigstens vom russischen Zweige der Rasse zweifelhaft erscheinen muß), nichtsdestoweniger aber verbleibe Nußland zu erfolgreicher Wiederaufnahme seiner europäischen Politik nur eine einzige Handhabe: es müsse sich auf die Aus¬ nutzung einer europäischen sozialistischen Bewegung vorbereiten. Den Ausbruch einer solchen habe man abzuwarten, dann müsse man sie zu einer slawischen Bewegung umdeuten und umgestalten.
Es ist möglich, daß der russische Exdiplvmat mit diesen Betrachtungen nicht allein steht, indes dürfen wir gewiß nicht annehmen, daß er damit der Meinung und Absicht seiner gesamten Partei Ausdruck giebt, und ganz selbst¬ verständlich ist es, daß der Teil derselben, welcher gegenwärtig die regierenden Kreise beeinflußt, so wildradikalen Phantasien fernsteht. Seit dem Selbstherr- lichkcitsmanifefte vom Mai 1881 dreht sich die russische Politik um das Doppel¬ gestirn Katkoff-Pobedvnoszeff, d. h. um die Kombination einer bhzantinisch- orthodox-russischen Staatsidee. Die demokratischen Slawophilen haben sich dieser Idee, wie wir sahen, unterworfen, weil sie mit ihr ihre chauvinistischen Zwecke zu erreichen hofften. Das ist aber eine Zusammenfügung von Richtungen, die sich im Grunde widerstreben, ein lockeres Gebilde, welches, wie ebenfalls gezeigt wurde, schon mehrmals sich zu lösen drohte und immer proteusartig sich ver¬ wandelte. Man denke an die Moskaner Brandreden Akscckofss. Noch kurz vor seinem Ableben erteilte man ihm aus der Zensurabteilung des von seinem Bundes¬ genossen Katkoff inspirirte" Ministeriums des Innern eine öffentliche Rüge und Verwarnung "wegen Mangels an Vaterlandsliebe," und gleich nach seinem Tode wurde sein Andenken mit Ovationen geehrt, an denen sich auch der Hof be¬ teiligte. Um dieselbe Zeit verlangte Katkoff unter Verspottung der russischen Diplomatie, daß man es in der Nichtachtung Europas, welches thatsächlich gar¬ nicht existire, dem Fürsten von Bulgarien gleichthue. Das, was man die Re¬ gierung in Petersburg nennt, ist ein schillerndes, für die Dauer schwer zu be¬ rechnendes Etwas, welches allerhand Möglichkeiten in sich birgt. Von ihm bald so, bald anders beeinflußt, hat das Auswärtige Amt die nicht leichte Aufgabe, den mit Macht auf seine Ziele hindrängenden Chauvinismus nach außen hin zu verhüllen und den internationalen Anstand zu wahren. Gvrtschakofs ent¬ sprach dieser Aufgabe wenig, Gicrs besaß zu ihrer Erfüllung viel guten Willen und viel Geschick, vermochte aber bis vor drei Jahren nicht zu verhindern, daß der Chauvinismus es mehrmals dahin brachte, daß ein ernstlicher Konflikt zwischen Nußland und den beiden verbündeten Nachbarn im Westen fast un¬ vermeidlich schien, und hat auch in der letzten Zeit zulassen müssen, daß der Haß gegen Deutschland, den diese Opposition gegen sein Denken und Verfahren empfindet und zur Schau trägt, die Hinneigung derselben zu Frankreich und ihre Sehnsucht nach einem Bündnisse mit dieser Republik und nach einem ge¬ meinsamen Vorgehen Rußlands mit ihr sich in Demonstrationen äußerte, welche
Chauvinisten und Regierung in Rußland.
wenn man sich der russischen Samtgcmeinde und der Urteils der Fabrikarbeiter erinnert, wenigstens vom russischen Zweige der Rasse zweifelhaft erscheinen muß), nichtsdestoweniger aber verbleibe Nußland zu erfolgreicher Wiederaufnahme seiner europäischen Politik nur eine einzige Handhabe: es müsse sich auf die Aus¬ nutzung einer europäischen sozialistischen Bewegung vorbereiten. Den Ausbruch einer solchen habe man abzuwarten, dann müsse man sie zu einer slawischen Bewegung umdeuten und umgestalten.
Es ist möglich, daß der russische Exdiplvmat mit diesen Betrachtungen nicht allein steht, indes dürfen wir gewiß nicht annehmen, daß er damit der Meinung und Absicht seiner gesamten Partei Ausdruck giebt, und ganz selbst¬ verständlich ist es, daß der Teil derselben, welcher gegenwärtig die regierenden Kreise beeinflußt, so wildradikalen Phantasien fernsteht. Seit dem Selbstherr- lichkcitsmanifefte vom Mai 1881 dreht sich die russische Politik um das Doppel¬ gestirn Katkoff-Pobedvnoszeff, d. h. um die Kombination einer bhzantinisch- orthodox-russischen Staatsidee. Die demokratischen Slawophilen haben sich dieser Idee, wie wir sahen, unterworfen, weil sie mit ihr ihre chauvinistischen Zwecke zu erreichen hofften. Das ist aber eine Zusammenfügung von Richtungen, die sich im Grunde widerstreben, ein lockeres Gebilde, welches, wie ebenfalls gezeigt wurde, schon mehrmals sich zu lösen drohte und immer proteusartig sich ver¬ wandelte. Man denke an die Moskaner Brandreden Akscckofss. Noch kurz vor seinem Ableben erteilte man ihm aus der Zensurabteilung des von seinem Bundes¬ genossen Katkoff inspirirte» Ministeriums des Innern eine öffentliche Rüge und Verwarnung „wegen Mangels an Vaterlandsliebe," und gleich nach seinem Tode wurde sein Andenken mit Ovationen geehrt, an denen sich auch der Hof be¬ teiligte. Um dieselbe Zeit verlangte Katkoff unter Verspottung der russischen Diplomatie, daß man es in der Nichtachtung Europas, welches thatsächlich gar¬ nicht existire, dem Fürsten von Bulgarien gleichthue. Das, was man die Re¬ gierung in Petersburg nennt, ist ein schillerndes, für die Dauer schwer zu be¬ rechnendes Etwas, welches allerhand Möglichkeiten in sich birgt. Von ihm bald so, bald anders beeinflußt, hat das Auswärtige Amt die nicht leichte Aufgabe, den mit Macht auf seine Ziele hindrängenden Chauvinismus nach außen hin zu verhüllen und den internationalen Anstand zu wahren. Gvrtschakofs ent¬ sprach dieser Aufgabe wenig, Gicrs besaß zu ihrer Erfüllung viel guten Willen und viel Geschick, vermochte aber bis vor drei Jahren nicht zu verhindern, daß der Chauvinismus es mehrmals dahin brachte, daß ein ernstlicher Konflikt zwischen Nußland und den beiden verbündeten Nachbarn im Westen fast un¬ vermeidlich schien, und hat auch in der letzten Zeit zulassen müssen, daß der Haß gegen Deutschland, den diese Opposition gegen sein Denken und Verfahren empfindet und zur Schau trägt, die Hinneigung derselben zu Frankreich und ihre Sehnsucht nach einem Bündnisse mit dieser Republik und nach einem ge¬ meinsamen Vorgehen Rußlands mit ihr sich in Demonstrationen äußerte, welche
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Chauvinisten und Regierung in Rußland.
wenn man sich der russischen Samtgcmeinde und der Urteils der Fabrikarbeiter
erinnert, wenigstens vom russischen Zweige der Rasse zweifelhaft erscheinen muß),
nichtsdestoweniger aber verbleibe Nußland zu erfolgreicher Wiederaufnahme seiner
europäischen Politik nur eine einzige Handhabe: es müsse sich auf die Aus¬
nutzung einer europäischen sozialistischen Bewegung vorbereiten. Den Ausbruch
einer solchen habe man abzuwarten, dann müsse man sie zu einer slawischen
Bewegung umdeuten und umgestalten.
Es ist möglich, daß der russische Exdiplvmat mit diesen Betrachtungen
nicht allein steht, indes dürfen wir gewiß nicht annehmen, daß er damit der
Meinung und Absicht seiner gesamten Partei Ausdruck giebt, und ganz selbst¬
verständlich ist es, daß der Teil derselben, welcher gegenwärtig die regierenden
Kreise beeinflußt, so wildradikalen Phantasien fernsteht. Seit dem Selbstherr-
lichkcitsmanifefte vom Mai 1881 dreht sich die russische Politik um das Doppel¬
gestirn Katkoff-Pobedvnoszeff, d. h. um die Kombination einer bhzantinisch-
orthodox-russischen Staatsidee. Die demokratischen Slawophilen haben sich dieser
Idee, wie wir sahen, unterworfen, weil sie mit ihr ihre chauvinistischen Zwecke
zu erreichen hofften. Das ist aber eine Zusammenfügung von Richtungen, die
sich im Grunde widerstreben, ein lockeres Gebilde, welches, wie ebenfalls gezeigt
wurde, schon mehrmals sich zu lösen drohte und immer proteusartig sich ver¬
wandelte. Man denke an die Moskaner Brandreden Akscckofss. Noch kurz vor
seinem Ableben erteilte man ihm aus der Zensurabteilung des von seinem Bundes¬
genossen Katkoff inspirirte» Ministeriums des Innern eine öffentliche Rüge und
Verwarnung „wegen Mangels an Vaterlandsliebe," und gleich nach seinem Tode
wurde sein Andenken mit Ovationen geehrt, an denen sich auch der Hof be¬
teiligte. Um dieselbe Zeit verlangte Katkoff unter Verspottung der russischen
Diplomatie, daß man es in der Nichtachtung Europas, welches thatsächlich gar¬
nicht existire, dem Fürsten von Bulgarien gleichthue. Das, was man die Re¬
gierung in Petersburg nennt, ist ein schillerndes, für die Dauer schwer zu be¬
rechnendes Etwas, welches allerhand Möglichkeiten in sich birgt. Von ihm bald
so, bald anders beeinflußt, hat das Auswärtige Amt die nicht leichte Aufgabe,
den mit Macht auf seine Ziele hindrängenden Chauvinismus nach außen hin
zu verhüllen und den internationalen Anstand zu wahren. Gvrtschakofs ent¬
sprach dieser Aufgabe wenig, Gicrs besaß zu ihrer Erfüllung viel guten Willen
und viel Geschick, vermochte aber bis vor drei Jahren nicht zu verhindern, daß
der Chauvinismus es mehrmals dahin brachte, daß ein ernstlicher Konflikt
zwischen Nußland und den beiden verbündeten Nachbarn im Westen fast un¬
vermeidlich schien, und hat auch in der letzten Zeit zulassen müssen, daß der
Haß gegen Deutschland, den diese Opposition gegen sein Denken und Verfahren
empfindet und zur Schau trägt, die Hinneigung derselben zu Frankreich und
ihre Sehnsucht nach einem Bündnisse mit dieser Republik und nach einem ge¬
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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/350>, abgerufen am 25.01.2025.
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