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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Camoens.

Weiterleben erstorben. Wenn Ihr sie noch einmal sehen solltet, laßt sie wissen,
daß sie mir zuviel gethan hat, und daß die Strafe, die ich verdient habe, uicht
von ihr hätte kommen sollen. Oder meint Ihr, daß eben dies gerecht gewesen?

Ich meine nichts, Luis, als daß Ihr der Ärmsten nicht grollen dürft.
Nach dem Entsetzlichen, das sie erlebt, war sie ihres Urteils schwerlich Herr,
aber wir reden zu andrer, besserer Zeit darüber. Jetzt ist Bartolomeo Okaz
hier, der so treu nach Euch gesucht hat, der nach Euerm Anblick verlangt; wollt
Ihr ihn nicht sehen?

Camoens gab mit einem Blick seine Einwilligung, Okaz war schon herzu¬
getreten, "ut der Kranke hieß ihn mit Lächeln willkommen. Du wirst es keinen
guten Tag nennen, Bartolomeo, an dem wir uns wiedersehen, und dennoch, wie
unendlich besser ist er als der, an dem wir uns zum letztenmal begegneten!

Er behielt Okaz' braune kräftige Hand in seiner Linken, seine Rechte ruhte
noch immer in Varretos Händen. Sein Auge schloß sich für eine kurze Zeit,
weder er noch selbst Manuel hatten bemerkt, daß Esmah aus der Zelle unhörbar
hinweggeglitten war. Der Priester war ihr gefolgt, war alsbald zurückgekehrt
und machte jetzt, als Barretv empor- und betroffen um sich sah, ein beruhigendes
Zeichen. Senhor Manuel erriet augenblicklich, was sein Weib hinwcggctrieben
habe, er sah wieder auf Camoens herab, welcher im Halbtranm der Erschöpfung
lag, aber nach kaum einer Viertelstunde wieder erwachte. Er schien über das
eben Erlebte nachzusinnen, und da er Esmah nicht gewahr wurde, so richtete er
sich lebhaft auf und fragte: Euer Weib, Manuel -- ich sehe sie doch noch hier?
Wir thaten gut, sie gegen König Sebastians heidnischen Bundesgenossen und
gegen den König selbst zu schützen -- und Ihr, Ihr seid ganz glücklich?

Ihr sollt und müßt es in Almvcegcma sehen, Camoens! lächelte Barrcto.
Er wollte mehr sagen, aber die Worte erstarken ihm zwischen den Lippen. Es
war dämmerig in dem hohen Gemach geworden, in dem letzten Tagesschein,
welcher mit dem Blütenduft zugleich ins Gemach quoll, erkannte der Fidalgo,
daß die Erregung dieser Stunde Camoens' Gesicht verklärt, ihm aber keine neue
Kraft gegeben hatte. Er bedeutete den schluchzenden Okaz, sich zu bezwingen,
und rückte mit liebevoller Sorgfalt das Kissen wieder zurecht, auf welches Camoens
Arm und Haupt stützte.

Vom Gange draußen erklangen leichte Tritte, Barreto unterschied, daß es
nicht nur die Esmahs waren. Auch der Kranke sah in plötzlicher Unruhe nach
der Thür, über die Schwelle traten zwei Frauen, Hand in Hand, Esmah in
ihrer Jugendblüte, ihrer reichen weltlichen Tracht, und eine schlanke Gestalt im
dunkeln Kleide der Schwestern von Santa Anna, mit bleichem Gesicht, aus
welchem die dunkeln Augen in unsäglicher Wehmut heraufschauten. Die Bleiche
kam so laugsam näher, als ob es ihr nicht leicht falle, die wenigen Schritte bis
zum Lager des Kranken zurückzulegen. Aber sie folgte willig der Leitung
Esmahs, und während Camoens noch immer ungewiß auf die Erscheinung hin-


Camoens.

Weiterleben erstorben. Wenn Ihr sie noch einmal sehen solltet, laßt sie wissen,
daß sie mir zuviel gethan hat, und daß die Strafe, die ich verdient habe, uicht
von ihr hätte kommen sollen. Oder meint Ihr, daß eben dies gerecht gewesen?

Ich meine nichts, Luis, als daß Ihr der Ärmsten nicht grollen dürft.
Nach dem Entsetzlichen, das sie erlebt, war sie ihres Urteils schwerlich Herr,
aber wir reden zu andrer, besserer Zeit darüber. Jetzt ist Bartolomeo Okaz
hier, der so treu nach Euch gesucht hat, der nach Euerm Anblick verlangt; wollt
Ihr ihn nicht sehen?

Camoens gab mit einem Blick seine Einwilligung, Okaz war schon herzu¬
getreten, »ut der Kranke hieß ihn mit Lächeln willkommen. Du wirst es keinen
guten Tag nennen, Bartolomeo, an dem wir uns wiedersehen, und dennoch, wie
unendlich besser ist er als der, an dem wir uns zum letztenmal begegneten!

Er behielt Okaz' braune kräftige Hand in seiner Linken, seine Rechte ruhte
noch immer in Varretos Händen. Sein Auge schloß sich für eine kurze Zeit,
weder er noch selbst Manuel hatten bemerkt, daß Esmah aus der Zelle unhörbar
hinweggeglitten war. Der Priester war ihr gefolgt, war alsbald zurückgekehrt
und machte jetzt, als Barretv empor- und betroffen um sich sah, ein beruhigendes
Zeichen. Senhor Manuel erriet augenblicklich, was sein Weib hinwcggctrieben
habe, er sah wieder auf Camoens herab, welcher im Halbtranm der Erschöpfung
lag, aber nach kaum einer Viertelstunde wieder erwachte. Er schien über das
eben Erlebte nachzusinnen, und da er Esmah nicht gewahr wurde, so richtete er
sich lebhaft auf und fragte: Euer Weib, Manuel — ich sehe sie doch noch hier?
Wir thaten gut, sie gegen König Sebastians heidnischen Bundesgenossen und
gegen den König selbst zu schützen — und Ihr, Ihr seid ganz glücklich?

Ihr sollt und müßt es in Almvcegcma sehen, Camoens! lächelte Barrcto.
Er wollte mehr sagen, aber die Worte erstarken ihm zwischen den Lippen. Es
war dämmerig in dem hohen Gemach geworden, in dem letzten Tagesschein,
welcher mit dem Blütenduft zugleich ins Gemach quoll, erkannte der Fidalgo,
daß die Erregung dieser Stunde Camoens' Gesicht verklärt, ihm aber keine neue
Kraft gegeben hatte. Er bedeutete den schluchzenden Okaz, sich zu bezwingen,
und rückte mit liebevoller Sorgfalt das Kissen wieder zurecht, auf welches Camoens
Arm und Haupt stützte.

Vom Gange draußen erklangen leichte Tritte, Barreto unterschied, daß es
nicht nur die Esmahs waren. Auch der Kranke sah in plötzlicher Unruhe nach
der Thür, über die Schwelle traten zwei Frauen, Hand in Hand, Esmah in
ihrer Jugendblüte, ihrer reichen weltlichen Tracht, und eine schlanke Gestalt im
dunkeln Kleide der Schwestern von Santa Anna, mit bleichem Gesicht, aus
welchem die dunkeln Augen in unsäglicher Wehmut heraufschauten. Die Bleiche
kam so laugsam näher, als ob es ihr nicht leicht falle, die wenigen Schritte bis
zum Lager des Kranken zurückzulegen. Aber sie folgte willig der Leitung
Esmahs, und während Camoens noch immer ungewiß auf die Erscheinung hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/290>, abgerufen am 27.06.2024.