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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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dienst in der Hauskapelle hatten. Bei der Beichte brachten die Wachleute ihn
heimlich in die jüdische Abteilung. Nach Abbüßung der Kerkerstrafe wurde er
abermals, diesmal in Olmütz, gefangen gehalten, im März 1857 endlich in
Freiheit gesetzt. Er fand sein Hauswesen in guter Ordnung: die Fran hatte
die Wirtschaft fortgeführt und die Mitbürger, nachdem die erste Scheu über¬
wunden war, es sich zur Ehrensache gemacht, sie zu unterstützen.

"Gebessert" war Deubler allerdings nicht, nur vorsichtiger geworden. 1862
beginnt sein brieflicher Verkehr mit Feuerbach, und wiederholte gegenseitige
Besuche begründeten eine bis zu des Philosophen Tode dauernde enge Freund¬
schaft zwischen den beiden Männern. Durch die Schriften Häckels und den
Umgang mit dein Verfasser wurde dann der weitere Fortschritt zum unbedingten
Materialismus vermittelt. Aus der Kirche trat jedoch Deubler nicht aus, und
daher erfolgte selbstverständlich das Begräbnis des am 31. März 1883 ge¬
storbnen unter Assistenz des protestantischen Geistliche" und mit einem Krnzifir.
auf dem Sarge, was der geistreiche Herausgeber "das Zerrbild eines Satyrspiels
zum Schluß der Menschentragödic" nennt.

Deubler ist als überzeugter Materialist gestorben und hat wiederholt ver¬
sichert, daß eben diese Überzeugung ihn glücklich mache. Wir ehren diese wie
jede Überzeugung, haben jedoch keinen Grund, ihn deswegen verehrungswürdig
zu finden. Ja man muß Parteimann sein, um nicht zu erkennen, daß es im
Kopfe des Mannes trotz alledem ziemlich konfus ausgesehen hat. Die Bewun¬
derung verschiedner gelehrten oder hochgebildeten Leute ließ ihn nicht unberührt.
Je konsequenter er sich jedem, dessen Bekanntschaft er in spätern Jahren sucht
-- und es scheint bei ihm nach und nach zur Manie geworden zu sein, mit
Personen, welche er fiir bedeutend hielt, zu korrespondiren --, als "ungebildeten
Landmann" vorstellt, desto unverkennbarer wird darin ein Zug von Koketterie.
Denn er hegt dabei das sehr bestimmte Bewußtsein, der großen Mehrzahl seiner
Zeitgenossen weit vorausgeeilt zu sein. Seine Urteile sind nichts weniger als
bescheiden, ob sie nun anerkennend oder verwerfend lauten. "Noch nie hat
Europa ein ähnliches Geschichtsbuch gesehen wie" -- man rate! -- Hellwalds
Kulturgeschichte. Ein andermal ist dieses Buch sein "Evangelium," welche Ehre
es freilich mit vielen Büchern teilen muß. Daß in den siebziger Jahren ganz
Europa auf dem besten Wege zurück ins "Mittelalter" ist, versteht sich von
selbst. Aber auch philosophische Freunde wie Julius Duboc und Büchner er¬
fahren gelegentlich eine sehr scharfe Kritik. Louis Büchner ist 1867 "weder ein
Naturforscher uoch ein Philosoph," "Kraft und Stoff" -- "ein elendes Mach¬
werk." Nichtsdestoweniger schreibt Denbler 1831 an denselben Büchner: "Ich
habe Ihnen alles zu verdanken: Sie haben mir ungebildeten, einfachem Land-
name durch Ihre Schriften die dunkeln Pfade der Natur erhellt und mir den
Weg zu einer wahrhaft erhebenden Weltanschauung gezeigt. Ihnen, Feuerbach,
Karl Vogt, Moleschott und Häckel habe ich mein Glück und meine Zufriedenheit


dienst in der Hauskapelle hatten. Bei der Beichte brachten die Wachleute ihn
heimlich in die jüdische Abteilung. Nach Abbüßung der Kerkerstrafe wurde er
abermals, diesmal in Olmütz, gefangen gehalten, im März 1857 endlich in
Freiheit gesetzt. Er fand sein Hauswesen in guter Ordnung: die Fran hatte
die Wirtschaft fortgeführt und die Mitbürger, nachdem die erste Scheu über¬
wunden war, es sich zur Ehrensache gemacht, sie zu unterstützen.

„Gebessert" war Deubler allerdings nicht, nur vorsichtiger geworden. 1862
beginnt sein brieflicher Verkehr mit Feuerbach, und wiederholte gegenseitige
Besuche begründeten eine bis zu des Philosophen Tode dauernde enge Freund¬
schaft zwischen den beiden Männern. Durch die Schriften Häckels und den
Umgang mit dein Verfasser wurde dann der weitere Fortschritt zum unbedingten
Materialismus vermittelt. Aus der Kirche trat jedoch Deubler nicht aus, und
daher erfolgte selbstverständlich das Begräbnis des am 31. März 1883 ge¬
storbnen unter Assistenz des protestantischen Geistliche» und mit einem Krnzifir.
auf dem Sarge, was der geistreiche Herausgeber „das Zerrbild eines Satyrspiels
zum Schluß der Menschentragödic" nennt.

Deubler ist als überzeugter Materialist gestorben und hat wiederholt ver¬
sichert, daß eben diese Überzeugung ihn glücklich mache. Wir ehren diese wie
jede Überzeugung, haben jedoch keinen Grund, ihn deswegen verehrungswürdig
zu finden. Ja man muß Parteimann sein, um nicht zu erkennen, daß es im
Kopfe des Mannes trotz alledem ziemlich konfus ausgesehen hat. Die Bewun¬
derung verschiedner gelehrten oder hochgebildeten Leute ließ ihn nicht unberührt.
Je konsequenter er sich jedem, dessen Bekanntschaft er in spätern Jahren sucht
— und es scheint bei ihm nach und nach zur Manie geworden zu sein, mit
Personen, welche er fiir bedeutend hielt, zu korrespondiren —, als „ungebildeten
Landmann" vorstellt, desto unverkennbarer wird darin ein Zug von Koketterie.
Denn er hegt dabei das sehr bestimmte Bewußtsein, der großen Mehrzahl seiner
Zeitgenossen weit vorausgeeilt zu sein. Seine Urteile sind nichts weniger als
bescheiden, ob sie nun anerkennend oder verwerfend lauten. „Noch nie hat
Europa ein ähnliches Geschichtsbuch gesehen wie" — man rate! — Hellwalds
Kulturgeschichte. Ein andermal ist dieses Buch sein „Evangelium," welche Ehre
es freilich mit vielen Büchern teilen muß. Daß in den siebziger Jahren ganz
Europa auf dem besten Wege zurück ins „Mittelalter" ist, versteht sich von
selbst. Aber auch philosophische Freunde wie Julius Duboc und Büchner er¬
fahren gelegentlich eine sehr scharfe Kritik. Louis Büchner ist 1867 „weder ein
Naturforscher uoch ein Philosoph," „Kraft und Stoff" — „ein elendes Mach¬
werk." Nichtsdestoweniger schreibt Denbler 1831 an denselben Büchner: „Ich
habe Ihnen alles zu verdanken: Sie haben mir ungebildeten, einfachem Land-
name durch Ihre Schriften die dunkeln Pfade der Natur erhellt und mir den
Weg zu einer wahrhaft erhebenden Weltanschauung gezeigt. Ihnen, Feuerbach,
Karl Vogt, Moleschott und Häckel habe ich mein Glück und meine Zufriedenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/28>, abgerufen am 03.07.2024.