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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

greifen, es ist dies auch nötig, zumal an heißen Tagen, sonst möchte sich ein
andrer Geruch geltend machen. Auf dem Friedhofe hört die Feierlichkeit
auf, denn da wird der Tote unerbittlich aller seiner Kleinodien entkleidet,
man läßt ihm nur das Hemd, ein paar Blumen und eine Orange als Labung
für die große Reise. Dann wirft, wer kann, ein Hand voll Erde in die Grube,
und die Andacht hat ein Ende. Man eilt auf die Seite, rollt seine Zigarette,
zündet sie gegeneinander an und geht scherzend und lachend nach Hause. Die
Gassenbuben belustigen sich mit ihren Heiligenfahnen, die fast alle den Se. Michael
oder Se. Georg mit einem fürchterlichen Drachen im Schilde führen. Der
Friedhof selbst ist ein reizend gelegner Cypressenhain und der Weg dahin ziemlich
weit, aber reich an den effektvollsten Ansichten des Altertums und Durchblicken
auf Berg und Meer. Man geht bei der berühmten Quelle Kallirrhve vorüber
und kann sich noch heute freuen an den wasserschöpfenden Frauen und wie an¬
mutig sie verstehen, die antik geformten Krüge auf dem Kopfe zu tragen. Die
Grabmonumente selbst, in kostbarsten Marmor gearbeitet, bekunden dagegen
sehr den tiefen Stand des Geschmacks. Wie in Italien, besteht die Unsitte, das
Porträt des Verstorbenen in einer fast lebensgroßen, gewöhnlich bemalten
Photographie am Grabe aufzuhängen. Die ästhetischen Kontraste treten gerade
hier, wo man ein paar hundert Schritte davon die Meisterstücke des Altertums
vergleichen kann, umso greller hervor.

Die Griechen gelten für orthodox, sind es wohl aber mehr aus politischen
Gründen als aus religiöser Überzeugung. Sie wissen, daß die Kirche für sie
das große Bindemittel der nationalen Einheit ist. Es gehört zum guten Tone,
seine Messe und Vesper zu besuchen, und niemand hält sich hier so hoch ge¬
stellt, daß er nicht neben dem ärmsten Glaubensgenossen seine Anzahl Kreuze
schlüge und das Heiligenbild küßte. Von jeher hat der byzantinische Klerus
mehr mit dem Volke gelebt als der katholische. Daß der niedern Geistlichkeit
die Ehe gestattet ist, erhält sie im Zusammenhange mit der bürgerlichen Gesell¬
schaft, und da sie vom Staate nicht bezahlt, sondern nur auf die schmalen Ein¬
künfte des Kirchenvermögens und hauptsächlich auf freiwillige Beiträge -- der
Klingelbeutel macht während des Gottesdienstes unausgesetzt die Runde -- an¬
gewiesen ist, so findet man die "Papas" daneben als Krämer und Gastwirte
beschäftigt, und nicht selten setzt sich einer zum Kartenspiele, wenn es an einer
Person dazu fehlt. Seine Frau, die "Papadia," verrichtet die Haus und Feld¬
arbeit. Dies alles macht den Klerus populär, ohne der Achtung seines Standes
Eintrag zu thun.

Wer in das Innere des Landes reist, wird oft in die Lage kommen, die-
Gastfreundschaft der Klöster, da andres Unterkommen nicht vorhanden ist, in An¬
spruch zu nehmen. Dieselben sind zahlreich, folgen fast sämtlich der Regel des
heiligen Basilios und zerfallen je nach ihrer Einrichtung und Lebensweise in
zwei Hauptklassen. Die eine beruht auf der Gemeinschaft von Hab und Gut:


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

greifen, es ist dies auch nötig, zumal an heißen Tagen, sonst möchte sich ein
andrer Geruch geltend machen. Auf dem Friedhofe hört die Feierlichkeit
auf, denn da wird der Tote unerbittlich aller seiner Kleinodien entkleidet,
man läßt ihm nur das Hemd, ein paar Blumen und eine Orange als Labung
für die große Reise. Dann wirft, wer kann, ein Hand voll Erde in die Grube,
und die Andacht hat ein Ende. Man eilt auf die Seite, rollt seine Zigarette,
zündet sie gegeneinander an und geht scherzend und lachend nach Hause. Die
Gassenbuben belustigen sich mit ihren Heiligenfahnen, die fast alle den Se. Michael
oder Se. Georg mit einem fürchterlichen Drachen im Schilde führen. Der
Friedhof selbst ist ein reizend gelegner Cypressenhain und der Weg dahin ziemlich
weit, aber reich an den effektvollsten Ansichten des Altertums und Durchblicken
auf Berg und Meer. Man geht bei der berühmten Quelle Kallirrhve vorüber
und kann sich noch heute freuen an den wasserschöpfenden Frauen und wie an¬
mutig sie verstehen, die antik geformten Krüge auf dem Kopfe zu tragen. Die
Grabmonumente selbst, in kostbarsten Marmor gearbeitet, bekunden dagegen
sehr den tiefen Stand des Geschmacks. Wie in Italien, besteht die Unsitte, das
Porträt des Verstorbenen in einer fast lebensgroßen, gewöhnlich bemalten
Photographie am Grabe aufzuhängen. Die ästhetischen Kontraste treten gerade
hier, wo man ein paar hundert Schritte davon die Meisterstücke des Altertums
vergleichen kann, umso greller hervor.

Die Griechen gelten für orthodox, sind es wohl aber mehr aus politischen
Gründen als aus religiöser Überzeugung. Sie wissen, daß die Kirche für sie
das große Bindemittel der nationalen Einheit ist. Es gehört zum guten Tone,
seine Messe und Vesper zu besuchen, und niemand hält sich hier so hoch ge¬
stellt, daß er nicht neben dem ärmsten Glaubensgenossen seine Anzahl Kreuze
schlüge und das Heiligenbild küßte. Von jeher hat der byzantinische Klerus
mehr mit dem Volke gelebt als der katholische. Daß der niedern Geistlichkeit
die Ehe gestattet ist, erhält sie im Zusammenhange mit der bürgerlichen Gesell¬
schaft, und da sie vom Staate nicht bezahlt, sondern nur auf die schmalen Ein¬
künfte des Kirchenvermögens und hauptsächlich auf freiwillige Beiträge — der
Klingelbeutel macht während des Gottesdienstes unausgesetzt die Runde — an¬
gewiesen ist, so findet man die „Papas" daneben als Krämer und Gastwirte
beschäftigt, und nicht selten setzt sich einer zum Kartenspiele, wenn es an einer
Person dazu fehlt. Seine Frau, die „Papadia," verrichtet die Haus und Feld¬
arbeit. Dies alles macht den Klerus populär, ohne der Achtung seines Standes
Eintrag zu thun.

Wer in das Innere des Landes reist, wird oft in die Lage kommen, die-
Gastfreundschaft der Klöster, da andres Unterkommen nicht vorhanden ist, in An¬
spruch zu nehmen. Dieselben sind zahlreich, folgen fast sämtlich der Regel des
heiligen Basilios und zerfallen je nach ihrer Einrichtung und Lebensweise in
zwei Hauptklassen. Die eine beruht auf der Gemeinschaft von Hab und Gut:


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[0264] Skizzen aus der Levante und Griechenland. greifen, es ist dies auch nötig, zumal an heißen Tagen, sonst möchte sich ein andrer Geruch geltend machen. Auf dem Friedhofe hört die Feierlichkeit auf, denn da wird der Tote unerbittlich aller seiner Kleinodien entkleidet, man läßt ihm nur das Hemd, ein paar Blumen und eine Orange als Labung für die große Reise. Dann wirft, wer kann, ein Hand voll Erde in die Grube, und die Andacht hat ein Ende. Man eilt auf die Seite, rollt seine Zigarette, zündet sie gegeneinander an und geht scherzend und lachend nach Hause. Die Gassenbuben belustigen sich mit ihren Heiligenfahnen, die fast alle den Se. Michael oder Se. Georg mit einem fürchterlichen Drachen im Schilde führen. Der Friedhof selbst ist ein reizend gelegner Cypressenhain und der Weg dahin ziemlich weit, aber reich an den effektvollsten Ansichten des Altertums und Durchblicken auf Berg und Meer. Man geht bei der berühmten Quelle Kallirrhve vorüber und kann sich noch heute freuen an den wasserschöpfenden Frauen und wie an¬ mutig sie verstehen, die antik geformten Krüge auf dem Kopfe zu tragen. Die Grabmonumente selbst, in kostbarsten Marmor gearbeitet, bekunden dagegen sehr den tiefen Stand des Geschmacks. Wie in Italien, besteht die Unsitte, das Porträt des Verstorbenen in einer fast lebensgroßen, gewöhnlich bemalten Photographie am Grabe aufzuhängen. Die ästhetischen Kontraste treten gerade hier, wo man ein paar hundert Schritte davon die Meisterstücke des Altertums vergleichen kann, umso greller hervor. Die Griechen gelten für orthodox, sind es wohl aber mehr aus politischen Gründen als aus religiöser Überzeugung. Sie wissen, daß die Kirche für sie das große Bindemittel der nationalen Einheit ist. Es gehört zum guten Tone, seine Messe und Vesper zu besuchen, und niemand hält sich hier so hoch ge¬ stellt, daß er nicht neben dem ärmsten Glaubensgenossen seine Anzahl Kreuze schlüge und das Heiligenbild küßte. Von jeher hat der byzantinische Klerus mehr mit dem Volke gelebt als der katholische. Daß der niedern Geistlichkeit die Ehe gestattet ist, erhält sie im Zusammenhange mit der bürgerlichen Gesell¬ schaft, und da sie vom Staate nicht bezahlt, sondern nur auf die schmalen Ein¬ künfte des Kirchenvermögens und hauptsächlich auf freiwillige Beiträge — der Klingelbeutel macht während des Gottesdienstes unausgesetzt die Runde — an¬ gewiesen ist, so findet man die „Papas" daneben als Krämer und Gastwirte beschäftigt, und nicht selten setzt sich einer zum Kartenspiele, wenn es an einer Person dazu fehlt. Seine Frau, die „Papadia," verrichtet die Haus und Feld¬ arbeit. Dies alles macht den Klerus populär, ohne der Achtung seines Standes Eintrag zu thun. Wer in das Innere des Landes reist, wird oft in die Lage kommen, die- Gastfreundschaft der Klöster, da andres Unterkommen nicht vorhanden ist, in An¬ spruch zu nehmen. Dieselben sind zahlreich, folgen fast sämtlich der Regel des heiligen Basilios und zerfallen je nach ihrer Einrichtung und Lebensweise in zwei Hauptklassen. Die eine beruht auf der Gemeinschaft von Hab und Gut:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/264>, abgerufen am 22.07.2024.