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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

dienen und Geld erwerben. Auf einem angrenzenden Hügel steht ein modernes
Denkmal, aber es trägt einen fremden Namen, den Namen einer Zierde der Wissen¬
schaft -- Otfried Müller. Hier ruht er üppig umblüht von Asphodelen im Angesicht
des wundervollen Schauplatzes, den sein scharfer, ins Wesen der Dinge dringender
Geist durchforscht hatte. Man darf indes nicht zu weit gehen und über die
Zukunft absprechen. Ein Land, das nahezu vierhundert Jahre türkische Herrschaft
getragen hat, hat für seine staatliche Bildung andre- Sorgen und Mühen als
Bilder malen, Statuen formen und Verse machen. ' Kunst ist immer nur da
zur Blüte gelangt, wo materieller Wohlstand zu Hause war und wo die aus¬
reichende Befriedigung der ersten Lebensbedürfnisse es gestattete, auch an die
schönern Seiten ihres Daseins und Wirkens zu denken.

Fremde von Distinktiv" leben wenige in Athen, doch nehmen die Touristen
merklich zu. Wer eine gesunde Lunge hat und etwas Wind verträgt, kann für den
Winter kein schöneres Klima finden. Ich ziehe es Nom und Neapel vor und
stelle es mit Palermo auf gleiche Stufe. Der attisch-ionische Himmel ist von
unvergleichlicher Durchsichtigkeit, die Luft rein ohne alle Miasmen, wie sie am
Tiber und in der Kloake zu deu Füßen des Vesuvs so häufig vorkommen und die
ansteckenden Krankheiten erzeugen. Das Unterkommen in den Gasthöfen hat sich
wesentlich gebessert, auch die Kost. Man trinkt jetzt ganz vortreffliche Weine
von Patras und Korinth, die auch im Auslande mehr und mehr Beachtung
finden und ein bedeutender Handelsartikel zu werden versprechen. Jetzt gehe"
noch die größten Sendungen (zum Teil in Korinthen) nach Frankreich, von wo
sie wieder als Bordeaux ausgeführt werden. Dem sogenannten Nesinawein
(der Haltbarkeit wegen mit Harz versetzt) begegnet man nur unter dem Volke
und auf dem Lande. Bei lungern Ausflügen dahin muß man sich allerdings
auf verschiedne Entbehrungen gefaßt machen, zumal in der Fastenzeit, die mit
unglaublicher Strenge eingehalten wird. Selbst Eier sind verboten, in der Char-
woche sogar Fische und der sonst unvermeidliche Kaviar (nicht flüssig wie bei
uns, sondern hart zum Schneiden). Mit Fleisch ist es seit einiger Zeit ganz
leidlich bestellt, aus Thessalien kommt gemästetes Vieh, und wenn, wie verlautet,
dort einige deutsche/Kolonien sich niederlassen wollen, so kann die Viehzucht
erfreulichen Aufschwung nehmen, die natürlichen Bedingungen dafür wären
vorhanden. Man muß von der Fütterung des Orients mit dem ewigen Hcunmel-
und Lammfleisch übersättigt sein, um den Genuß eines Beefsteaks oder Kalbs-
fricandeaus nach Gebühr zu schätzen. Die allgemeine Lebensweise ist überhaupt
recht primitiv, mehr für Vegetarianer als Gourmands eingerichtet, von Ge¬
fräßigkeit aber keine Spur, jeder befleißigt sich der größten Mäßigkeit, eigentliche
Trunkenbolde giebt es nicht, wennschon man bemerken will, daß in neuester Zeit
etwas tiefer ins Glas geguckt wird, besonders die Herren Studenten darin
etwas ihre deutschen Kameraden nachzuahmen anfangen. Mit Ausnahme des
Weines stimmt sonst die Nahrungsweise der christlichen Volksstämme in der


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

dienen und Geld erwerben. Auf einem angrenzenden Hügel steht ein modernes
Denkmal, aber es trägt einen fremden Namen, den Namen einer Zierde der Wissen¬
schaft — Otfried Müller. Hier ruht er üppig umblüht von Asphodelen im Angesicht
des wundervollen Schauplatzes, den sein scharfer, ins Wesen der Dinge dringender
Geist durchforscht hatte. Man darf indes nicht zu weit gehen und über die
Zukunft absprechen. Ein Land, das nahezu vierhundert Jahre türkische Herrschaft
getragen hat, hat für seine staatliche Bildung andre- Sorgen und Mühen als
Bilder malen, Statuen formen und Verse machen. ' Kunst ist immer nur da
zur Blüte gelangt, wo materieller Wohlstand zu Hause war und wo die aus¬
reichende Befriedigung der ersten Lebensbedürfnisse es gestattete, auch an die
schönern Seiten ihres Daseins und Wirkens zu denken.

Fremde von Distinktiv» leben wenige in Athen, doch nehmen die Touristen
merklich zu. Wer eine gesunde Lunge hat und etwas Wind verträgt, kann für den
Winter kein schöneres Klima finden. Ich ziehe es Nom und Neapel vor und
stelle es mit Palermo auf gleiche Stufe. Der attisch-ionische Himmel ist von
unvergleichlicher Durchsichtigkeit, die Luft rein ohne alle Miasmen, wie sie am
Tiber und in der Kloake zu deu Füßen des Vesuvs so häufig vorkommen und die
ansteckenden Krankheiten erzeugen. Das Unterkommen in den Gasthöfen hat sich
wesentlich gebessert, auch die Kost. Man trinkt jetzt ganz vortreffliche Weine
von Patras und Korinth, die auch im Auslande mehr und mehr Beachtung
finden und ein bedeutender Handelsartikel zu werden versprechen. Jetzt gehe»
noch die größten Sendungen (zum Teil in Korinthen) nach Frankreich, von wo
sie wieder als Bordeaux ausgeführt werden. Dem sogenannten Nesinawein
(der Haltbarkeit wegen mit Harz versetzt) begegnet man nur unter dem Volke
und auf dem Lande. Bei lungern Ausflügen dahin muß man sich allerdings
auf verschiedne Entbehrungen gefaßt machen, zumal in der Fastenzeit, die mit
unglaublicher Strenge eingehalten wird. Selbst Eier sind verboten, in der Char-
woche sogar Fische und der sonst unvermeidliche Kaviar (nicht flüssig wie bei
uns, sondern hart zum Schneiden). Mit Fleisch ist es seit einiger Zeit ganz
leidlich bestellt, aus Thessalien kommt gemästetes Vieh, und wenn, wie verlautet,
dort einige deutsche/Kolonien sich niederlassen wollen, so kann die Viehzucht
erfreulichen Aufschwung nehmen, die natürlichen Bedingungen dafür wären
vorhanden. Man muß von der Fütterung des Orients mit dem ewigen Hcunmel-
und Lammfleisch übersättigt sein, um den Genuß eines Beefsteaks oder Kalbs-
fricandeaus nach Gebühr zu schätzen. Die allgemeine Lebensweise ist überhaupt
recht primitiv, mehr für Vegetarianer als Gourmands eingerichtet, von Ge¬
fräßigkeit aber keine Spur, jeder befleißigt sich der größten Mäßigkeit, eigentliche
Trunkenbolde giebt es nicht, wennschon man bemerken will, daß in neuester Zeit
etwas tiefer ins Glas geguckt wird, besonders die Herren Studenten darin
etwas ihre deutschen Kameraden nachzuahmen anfangen. Mit Ausnahme des
Weines stimmt sonst die Nahrungsweise der christlichen Volksstämme in der


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[0262] Skizzen aus der Levante und Griechenland. dienen und Geld erwerben. Auf einem angrenzenden Hügel steht ein modernes Denkmal, aber es trägt einen fremden Namen, den Namen einer Zierde der Wissen¬ schaft — Otfried Müller. Hier ruht er üppig umblüht von Asphodelen im Angesicht des wundervollen Schauplatzes, den sein scharfer, ins Wesen der Dinge dringender Geist durchforscht hatte. Man darf indes nicht zu weit gehen und über die Zukunft absprechen. Ein Land, das nahezu vierhundert Jahre türkische Herrschaft getragen hat, hat für seine staatliche Bildung andre- Sorgen und Mühen als Bilder malen, Statuen formen und Verse machen. ' Kunst ist immer nur da zur Blüte gelangt, wo materieller Wohlstand zu Hause war und wo die aus¬ reichende Befriedigung der ersten Lebensbedürfnisse es gestattete, auch an die schönern Seiten ihres Daseins und Wirkens zu denken. Fremde von Distinktiv» leben wenige in Athen, doch nehmen die Touristen merklich zu. Wer eine gesunde Lunge hat und etwas Wind verträgt, kann für den Winter kein schöneres Klima finden. Ich ziehe es Nom und Neapel vor und stelle es mit Palermo auf gleiche Stufe. Der attisch-ionische Himmel ist von unvergleichlicher Durchsichtigkeit, die Luft rein ohne alle Miasmen, wie sie am Tiber und in der Kloake zu deu Füßen des Vesuvs so häufig vorkommen und die ansteckenden Krankheiten erzeugen. Das Unterkommen in den Gasthöfen hat sich wesentlich gebessert, auch die Kost. Man trinkt jetzt ganz vortreffliche Weine von Patras und Korinth, die auch im Auslande mehr und mehr Beachtung finden und ein bedeutender Handelsartikel zu werden versprechen. Jetzt gehe» noch die größten Sendungen (zum Teil in Korinthen) nach Frankreich, von wo sie wieder als Bordeaux ausgeführt werden. Dem sogenannten Nesinawein (der Haltbarkeit wegen mit Harz versetzt) begegnet man nur unter dem Volke und auf dem Lande. Bei lungern Ausflügen dahin muß man sich allerdings auf verschiedne Entbehrungen gefaßt machen, zumal in der Fastenzeit, die mit unglaublicher Strenge eingehalten wird. Selbst Eier sind verboten, in der Char- woche sogar Fische und der sonst unvermeidliche Kaviar (nicht flüssig wie bei uns, sondern hart zum Schneiden). Mit Fleisch ist es seit einiger Zeit ganz leidlich bestellt, aus Thessalien kommt gemästetes Vieh, und wenn, wie verlautet, dort einige deutsche/Kolonien sich niederlassen wollen, so kann die Viehzucht erfreulichen Aufschwung nehmen, die natürlichen Bedingungen dafür wären vorhanden. Man muß von der Fütterung des Orients mit dem ewigen Hcunmel- und Lammfleisch übersättigt sein, um den Genuß eines Beefsteaks oder Kalbs- fricandeaus nach Gebühr zu schätzen. Die allgemeine Lebensweise ist überhaupt recht primitiv, mehr für Vegetarianer als Gourmands eingerichtet, von Ge¬ fräßigkeit aber keine Spur, jeder befleißigt sich der größten Mäßigkeit, eigentliche Trunkenbolde giebt es nicht, wennschon man bemerken will, daß in neuester Zeit etwas tiefer ins Glas geguckt wird, besonders die Herren Studenten darin etwas ihre deutschen Kameraden nachzuahmen anfangen. Mit Ausnahme des Weines stimmt sonst die Nahrungsweise der christlichen Volksstämme in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/262>, abgerufen am 22.07.2024.