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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Weiß, daß nirgends mehr als in Griechenland das Sprichwort gilt: Viel Ge¬
schrei und wenig Wolle, so läßt man gewähren, und der Tumult legt sich ohne
Polizei von selbst am schnellsten und sichersten.

Neben den Druckereien haben auch die Buchhandlungen hübsch zu thun.
Es werden Bücher nicht nur gelesen, sondern auch gekauft, und jede bessere Fa¬
milie hat ihre Hausbibliothek, darunter die klassischen Schriftsteller, Volksaus¬
gaben der vaterländischen Geschichte und Biographien berühmter Landsleute.
Für die Unterhaltung wiegt der französische Roman vor, für wissenschaftliche
Werke dagegen Deutschland. Dieselben finden, zumal in den gelehrten Fächern,
vielen Absatz, und da ein großer Teil der gegenwärtigen Generation auf deutschen
Universitäten studirt hat, so ist auch unsre Sprache ziemlich verbreitet. In der
Philologie und Archäologie sind wir ganz eigentlich ihre Lehrmeister gewesen,
sie haben ihre Geschichte erst durch unsre Forschungen kennen gelernt, und was
in Olympia und in Mykene gethan worden ist, würde einen bessern Dank ver¬
dienen, als uns bisher dafür zu Teil geworden ist, von dem Blute nicht zu
reden, welches seiner Zeit die deutschen Philhellenen für das Ideal ihrer klas¬
sischen Phantasien vergossen. Mit dieser Schwärmerei hat es Gott sei Dank
jetzt wohl für alle Zeit aufgehört, man ist zur Genüge ernüchtert worden, selbst
in der Schablone der Stangenschen Reisegesellschaften läßt sich diese Farbe nicht
mehr verwenden.

Die bildenden Künste, welche uns in ihren Trümmern mit Bewunderung
erfüllen, haben bis jetzt keine "Nenaissnnee" gefunden, wenigstens ist mir der
Grieche unbekannt, der in der Malerei, in der Bildhauerei und Architektur
außerordentliches geleistet hätte. Was sich unter den Neubauten auszeichnet, wie
die Akademie, das Museum, die Universität und einige Privatpaläste, ent¬
stammt den Plänen eines Dänen, Hansen, und eines Deutschen, Hiller. Es
soll inländischer Nachwuchs vorhanden sein, der aber noch seine Probe abzu¬
legen hat; die neue Kathedrale wenigstens ist so geschmacklos ausgefallen, daß
man am besten garnicht davon spricht. Daß die Natur den Griechen Sinn
lind Ohr für Musik geradezu versagt hat, habe ich schon erwähnt. Auch die
"Götter Griechenlands" sind in Weimar eher zu dichten gewesen als in Athen.
Die Poesie der alten Mythologie ist in ihrer Heimat ausgestorben und hat
einer entsetzlichen Prosa Platz gemacht -- vom Kothurn auf den Soccus. Wollte
man einen Tempel wiederherstellen, so wäre es der des Merkur, der seinen
beflügelter Stab über das ganze heutige Hellas schwingt. Allenfalls auch der
Tempel der "Selbsterkenntnis," wie er einst zu Delphi gestanden hat, damit
man in sich Einkehr halte und dem Größenwahn und Eigendünkel entsage.
Bei dem Dorfe Kolonos, dem Schauplätze von Sophokles' Tragödie Ödipus,
wird an den noch heute schattigen und wohl angebauten Ufern des Kephissos
die Stelle gezeigt, wo die Akademie gestanden und Pluto seine göttlichen Ge¬
spräche gehalten haben soll. Die Philosophie der Gegenwart aber heißt ver-


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Weiß, daß nirgends mehr als in Griechenland das Sprichwort gilt: Viel Ge¬
schrei und wenig Wolle, so läßt man gewähren, und der Tumult legt sich ohne
Polizei von selbst am schnellsten und sichersten.

Neben den Druckereien haben auch die Buchhandlungen hübsch zu thun.
Es werden Bücher nicht nur gelesen, sondern auch gekauft, und jede bessere Fa¬
milie hat ihre Hausbibliothek, darunter die klassischen Schriftsteller, Volksaus¬
gaben der vaterländischen Geschichte und Biographien berühmter Landsleute.
Für die Unterhaltung wiegt der französische Roman vor, für wissenschaftliche
Werke dagegen Deutschland. Dieselben finden, zumal in den gelehrten Fächern,
vielen Absatz, und da ein großer Teil der gegenwärtigen Generation auf deutschen
Universitäten studirt hat, so ist auch unsre Sprache ziemlich verbreitet. In der
Philologie und Archäologie sind wir ganz eigentlich ihre Lehrmeister gewesen,
sie haben ihre Geschichte erst durch unsre Forschungen kennen gelernt, und was
in Olympia und in Mykene gethan worden ist, würde einen bessern Dank ver¬
dienen, als uns bisher dafür zu Teil geworden ist, von dem Blute nicht zu
reden, welches seiner Zeit die deutschen Philhellenen für das Ideal ihrer klas¬
sischen Phantasien vergossen. Mit dieser Schwärmerei hat es Gott sei Dank
jetzt wohl für alle Zeit aufgehört, man ist zur Genüge ernüchtert worden, selbst
in der Schablone der Stangenschen Reisegesellschaften läßt sich diese Farbe nicht
mehr verwenden.

Die bildenden Künste, welche uns in ihren Trümmern mit Bewunderung
erfüllen, haben bis jetzt keine „Nenaissnnee" gefunden, wenigstens ist mir der
Grieche unbekannt, der in der Malerei, in der Bildhauerei und Architektur
außerordentliches geleistet hätte. Was sich unter den Neubauten auszeichnet, wie
die Akademie, das Museum, die Universität und einige Privatpaläste, ent¬
stammt den Plänen eines Dänen, Hansen, und eines Deutschen, Hiller. Es
soll inländischer Nachwuchs vorhanden sein, der aber noch seine Probe abzu¬
legen hat; die neue Kathedrale wenigstens ist so geschmacklos ausgefallen, daß
man am besten garnicht davon spricht. Daß die Natur den Griechen Sinn
lind Ohr für Musik geradezu versagt hat, habe ich schon erwähnt. Auch die
„Götter Griechenlands" sind in Weimar eher zu dichten gewesen als in Athen.
Die Poesie der alten Mythologie ist in ihrer Heimat ausgestorben und hat
einer entsetzlichen Prosa Platz gemacht — vom Kothurn auf den Soccus. Wollte
man einen Tempel wiederherstellen, so wäre es der des Merkur, der seinen
beflügelter Stab über das ganze heutige Hellas schwingt. Allenfalls auch der
Tempel der „Selbsterkenntnis," wie er einst zu Delphi gestanden hat, damit
man in sich Einkehr halte und dem Größenwahn und Eigendünkel entsage.
Bei dem Dorfe Kolonos, dem Schauplätze von Sophokles' Tragödie Ödipus,
wird an den noch heute schattigen und wohl angebauten Ufern des Kephissos
die Stelle gezeigt, wo die Akademie gestanden und Pluto seine göttlichen Ge¬
spräche gehalten haben soll. Die Philosophie der Gegenwart aber heißt ver-


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[0261] Skizzen aus der Levante und Griechenland. Weiß, daß nirgends mehr als in Griechenland das Sprichwort gilt: Viel Ge¬ schrei und wenig Wolle, so läßt man gewähren, und der Tumult legt sich ohne Polizei von selbst am schnellsten und sichersten. Neben den Druckereien haben auch die Buchhandlungen hübsch zu thun. Es werden Bücher nicht nur gelesen, sondern auch gekauft, und jede bessere Fa¬ milie hat ihre Hausbibliothek, darunter die klassischen Schriftsteller, Volksaus¬ gaben der vaterländischen Geschichte und Biographien berühmter Landsleute. Für die Unterhaltung wiegt der französische Roman vor, für wissenschaftliche Werke dagegen Deutschland. Dieselben finden, zumal in den gelehrten Fächern, vielen Absatz, und da ein großer Teil der gegenwärtigen Generation auf deutschen Universitäten studirt hat, so ist auch unsre Sprache ziemlich verbreitet. In der Philologie und Archäologie sind wir ganz eigentlich ihre Lehrmeister gewesen, sie haben ihre Geschichte erst durch unsre Forschungen kennen gelernt, und was in Olympia und in Mykene gethan worden ist, würde einen bessern Dank ver¬ dienen, als uns bisher dafür zu Teil geworden ist, von dem Blute nicht zu reden, welches seiner Zeit die deutschen Philhellenen für das Ideal ihrer klas¬ sischen Phantasien vergossen. Mit dieser Schwärmerei hat es Gott sei Dank jetzt wohl für alle Zeit aufgehört, man ist zur Genüge ernüchtert worden, selbst in der Schablone der Stangenschen Reisegesellschaften läßt sich diese Farbe nicht mehr verwenden. Die bildenden Künste, welche uns in ihren Trümmern mit Bewunderung erfüllen, haben bis jetzt keine „Nenaissnnee" gefunden, wenigstens ist mir der Grieche unbekannt, der in der Malerei, in der Bildhauerei und Architektur außerordentliches geleistet hätte. Was sich unter den Neubauten auszeichnet, wie die Akademie, das Museum, die Universität und einige Privatpaläste, ent¬ stammt den Plänen eines Dänen, Hansen, und eines Deutschen, Hiller. Es soll inländischer Nachwuchs vorhanden sein, der aber noch seine Probe abzu¬ legen hat; die neue Kathedrale wenigstens ist so geschmacklos ausgefallen, daß man am besten garnicht davon spricht. Daß die Natur den Griechen Sinn lind Ohr für Musik geradezu versagt hat, habe ich schon erwähnt. Auch die „Götter Griechenlands" sind in Weimar eher zu dichten gewesen als in Athen. Die Poesie der alten Mythologie ist in ihrer Heimat ausgestorben und hat einer entsetzlichen Prosa Platz gemacht — vom Kothurn auf den Soccus. Wollte man einen Tempel wiederherstellen, so wäre es der des Merkur, der seinen beflügelter Stab über das ganze heutige Hellas schwingt. Allenfalls auch der Tempel der „Selbsterkenntnis," wie er einst zu Delphi gestanden hat, damit man in sich Einkehr halte und dem Größenwahn und Eigendünkel entsage. Bei dem Dorfe Kolonos, dem Schauplätze von Sophokles' Tragödie Ödipus, wird an den noch heute schattigen und wohl angebauten Ufern des Kephissos die Stelle gezeigt, wo die Akademie gestanden und Pluto seine göttlichen Ge¬ spräche gehalten haben soll. Die Philosophie der Gegenwart aber heißt ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/261>, abgerufen am 22.07.2024.