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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Verwaltung der Ortspolizei in den Städten.

Frage zu beantworten, müssen wir vor allem feststellen, was unter Selbst¬
verwaltung zu verstehen ist.

Die bei uns entwickelte Selbstverwaltung weicht von den? englischen System
grundsätzlich ab. ,,Das englische LLlfgovsrnnreirt -- sagt Gneist") -- ist ein System
der Staatsverwaltung durch Gemcmdegcuosscn und umfaßt solche Funktionen,
welche sich zur Handhabung im Nachbarvcrbcmde eignen, also namentlich die
Feststellung solcher Fragen, welche, von konkreten, örtlichen Verhältnissen ab¬
hängig, durch keine Gesetzcsregel zu erschöpfen und zu begrenzen sind. Alles
"Mg'ovorirMiZvt erscheint demgemäß als ein Staatsauftrag an die Kommunen,
entweder in Gestalt einer ocmrinisÄon oder eines höhern oder niedern Amtes."
Diese Art Selbstverwaltung, Besorgung einzelner Zweige der Staatsverwaltung
im Staatsaustrage durch Gemeindegenossen im Ehreuamte, hat in Deutschland
und insbesondre in Preußen wenig Anklang gefunden. Der Amtmann der öst¬
lichen Provinzen, der Ehrenamtmann und Ehrenbürgcrmeister, wie sie für
Westfalen und Rheinland in Aussicht genommen sind, möchten zwar dem englischen
Vorbilde entsprechen, allein es ist bezeichnend, daß man neben dein Ehrenamtmann
und Ehrenbürgermeister alsbald den besoldeten Amtmann und den besoldeten
Bürgermeister ins Auge faßt, falls für diese Ämter unbesoldete Bewerber nicht
zu gewinnen sein möchten, und daß man in Hannover und Hessen-Nassau eine
ähnliche Einrichtung garnicht erst eingeführt hat. Bei uns wird die Selbst¬
verwaltung, der deutschen Geschichte entsprechend, nicht wie in England, wenn
man so sagen darf, von oben herab, sondern von unten herauf konstruirt, die
Körperschaften der Selbstverwaltung möchten nicht als Organe des Staates,
sondern als selbständige Rechtssubjekte im Gegensatze zum Staate aufgefaßt
werden. Dies würde nun ohne Bedenken angehen, wenn unsre Selbstverwaltung
auf das rein wirtschaftliche Gebiet beschränkt bliebe, da auf diesem Gebiete das
Oberaufsichtsrccht des Staates genügende Sicherheit gegen etwaige zentrifugale
Tendenzen gewähren würde. Da jedoch keine wirtschaftliche, sondern eine obrigkeit¬
liche Selbstverwaltung erstrebt wurde, so hat sich bei uns, wie bemerkt, auf dem Wege
des Kompromisses auf dem Gebiete der Staatsverwaltung ein System der Selbst¬
verwaltung entwickelt, nach welchem staatliche Funktionen von einem staatlich be¬
stellten und regelmäßig besoldeten Beamten unter der kontrvlirenden ortssachverstän¬
digen Mitwirkung von gewählten Mitgliedern des Gcmeindcverbcmdes, auf dessen
Bezirk die Thätigkeit des Beamten sich erstreckt, ausgeübt werden; die Polizei¬
verwaltung ist aber diesen Organen der Selbstverwaltung insoweit entzogen, als
diese nur zum Erlaß von Pvlizeivervrdnuugen ihre Zustimmung zu geben oder bei
der Entscheidung von Verwaltuugsllagen gegen Polizeivcrfüguugen mitzuwirken
haben. Nur für die Stadtkreise ist eine Ausnahme gemacht dahin, daß auch



Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen
Venvaliungssysteiuen, Dritte Auflage. Band I, S. 260 ff.
Die Verwaltung der Ortspolizei in den Städten.

Frage zu beantworten, müssen wir vor allem feststellen, was unter Selbst¬
verwaltung zu verstehen ist.

Die bei uns entwickelte Selbstverwaltung weicht von den? englischen System
grundsätzlich ab. ,,Das englische LLlfgovsrnnreirt — sagt Gneist") — ist ein System
der Staatsverwaltung durch Gemcmdegcuosscn und umfaßt solche Funktionen,
welche sich zur Handhabung im Nachbarvcrbcmde eignen, also namentlich die
Feststellung solcher Fragen, welche, von konkreten, örtlichen Verhältnissen ab¬
hängig, durch keine Gesetzcsregel zu erschöpfen und zu begrenzen sind. Alles
«Mg'ovorirMiZvt erscheint demgemäß als ein Staatsauftrag an die Kommunen,
entweder in Gestalt einer ocmrinisÄon oder eines höhern oder niedern Amtes."
Diese Art Selbstverwaltung, Besorgung einzelner Zweige der Staatsverwaltung
im Staatsaustrage durch Gemeindegenossen im Ehreuamte, hat in Deutschland
und insbesondre in Preußen wenig Anklang gefunden. Der Amtmann der öst¬
lichen Provinzen, der Ehrenamtmann und Ehrenbürgcrmeister, wie sie für
Westfalen und Rheinland in Aussicht genommen sind, möchten zwar dem englischen
Vorbilde entsprechen, allein es ist bezeichnend, daß man neben dein Ehrenamtmann
und Ehrenbürgermeister alsbald den besoldeten Amtmann und den besoldeten
Bürgermeister ins Auge faßt, falls für diese Ämter unbesoldete Bewerber nicht
zu gewinnen sein möchten, und daß man in Hannover und Hessen-Nassau eine
ähnliche Einrichtung garnicht erst eingeführt hat. Bei uns wird die Selbst¬
verwaltung, der deutschen Geschichte entsprechend, nicht wie in England, wenn
man so sagen darf, von oben herab, sondern von unten herauf konstruirt, die
Körperschaften der Selbstverwaltung möchten nicht als Organe des Staates,
sondern als selbständige Rechtssubjekte im Gegensatze zum Staate aufgefaßt
werden. Dies würde nun ohne Bedenken angehen, wenn unsre Selbstverwaltung
auf das rein wirtschaftliche Gebiet beschränkt bliebe, da auf diesem Gebiete das
Oberaufsichtsrccht des Staates genügende Sicherheit gegen etwaige zentrifugale
Tendenzen gewähren würde. Da jedoch keine wirtschaftliche, sondern eine obrigkeit¬
liche Selbstverwaltung erstrebt wurde, so hat sich bei uns, wie bemerkt, auf dem Wege
des Kompromisses auf dem Gebiete der Staatsverwaltung ein System der Selbst¬
verwaltung entwickelt, nach welchem staatliche Funktionen von einem staatlich be¬
stellten und regelmäßig besoldeten Beamten unter der kontrvlirenden ortssachverstän¬
digen Mitwirkung von gewählten Mitgliedern des Gcmeindcverbcmdes, auf dessen
Bezirk die Thätigkeit des Beamten sich erstreckt, ausgeübt werden; die Polizei¬
verwaltung ist aber diesen Organen der Selbstverwaltung insoweit entzogen, als
diese nur zum Erlaß von Pvlizeivervrdnuugen ihre Zustimmung zu geben oder bei
der Entscheidung von Verwaltuugsllagen gegen Polizeivcrfüguugen mitzuwirken
haben. Nur für die Stadtkreise ist eine Ausnahme gemacht dahin, daß auch



Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen
Venvaliungssysteiuen, Dritte Auflage. Band I, S. 260 ff.
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[0250] Die Verwaltung der Ortspolizei in den Städten. Frage zu beantworten, müssen wir vor allem feststellen, was unter Selbst¬ verwaltung zu verstehen ist. Die bei uns entwickelte Selbstverwaltung weicht von den? englischen System grundsätzlich ab. ,,Das englische LLlfgovsrnnreirt — sagt Gneist") — ist ein System der Staatsverwaltung durch Gemcmdegcuosscn und umfaßt solche Funktionen, welche sich zur Handhabung im Nachbarvcrbcmde eignen, also namentlich die Feststellung solcher Fragen, welche, von konkreten, örtlichen Verhältnissen ab¬ hängig, durch keine Gesetzcsregel zu erschöpfen und zu begrenzen sind. Alles «Mg'ovorirMiZvt erscheint demgemäß als ein Staatsauftrag an die Kommunen, entweder in Gestalt einer ocmrinisÄon oder eines höhern oder niedern Amtes." Diese Art Selbstverwaltung, Besorgung einzelner Zweige der Staatsverwaltung im Staatsaustrage durch Gemeindegenossen im Ehreuamte, hat in Deutschland und insbesondre in Preußen wenig Anklang gefunden. Der Amtmann der öst¬ lichen Provinzen, der Ehrenamtmann und Ehrenbürgcrmeister, wie sie für Westfalen und Rheinland in Aussicht genommen sind, möchten zwar dem englischen Vorbilde entsprechen, allein es ist bezeichnend, daß man neben dein Ehrenamtmann und Ehrenbürgermeister alsbald den besoldeten Amtmann und den besoldeten Bürgermeister ins Auge faßt, falls für diese Ämter unbesoldete Bewerber nicht zu gewinnen sein möchten, und daß man in Hannover und Hessen-Nassau eine ähnliche Einrichtung garnicht erst eingeführt hat. Bei uns wird die Selbst¬ verwaltung, der deutschen Geschichte entsprechend, nicht wie in England, wenn man so sagen darf, von oben herab, sondern von unten herauf konstruirt, die Körperschaften der Selbstverwaltung möchten nicht als Organe des Staates, sondern als selbständige Rechtssubjekte im Gegensatze zum Staate aufgefaßt werden. Dies würde nun ohne Bedenken angehen, wenn unsre Selbstverwaltung auf das rein wirtschaftliche Gebiet beschränkt bliebe, da auf diesem Gebiete das Oberaufsichtsrccht des Staates genügende Sicherheit gegen etwaige zentrifugale Tendenzen gewähren würde. Da jedoch keine wirtschaftliche, sondern eine obrigkeit¬ liche Selbstverwaltung erstrebt wurde, so hat sich bei uns, wie bemerkt, auf dem Wege des Kompromisses auf dem Gebiete der Staatsverwaltung ein System der Selbst¬ verwaltung entwickelt, nach welchem staatliche Funktionen von einem staatlich be¬ stellten und regelmäßig besoldeten Beamten unter der kontrvlirenden ortssachverstän¬ digen Mitwirkung von gewählten Mitgliedern des Gcmeindcverbcmdes, auf dessen Bezirk die Thätigkeit des Beamten sich erstreckt, ausgeübt werden; die Polizei¬ verwaltung ist aber diesen Organen der Selbstverwaltung insoweit entzogen, als diese nur zum Erlaß von Pvlizeivervrdnuugen ihre Zustimmung zu geben oder bei der Entscheidung von Verwaltuugsllagen gegen Polizeivcrfüguugen mitzuwirken haben. Nur für die Stadtkreise ist eine Ausnahme gemacht dahin, daß auch Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen Venvaliungssysteiuen, Dritte Auflage. Band I, S. 260 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/250>, abgerufen am 03.07.2024.