Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

Hinsicht rühmen darf, zu nahe zu treten, dürfen wir dabei bleiben, daß die
ersten und eigentlichen Begründer der Nübenzuckerindnstrie Deutsche warm,
nämlich der Berliner Achard und dessen königlicher Gönner Friedrich Wilhelm
der Dritte, der mit wahrhaft landesväterlicher Fürsorge die Arbeiten dieses
Gelehrten zu fördern und für Preußens Wohl nutzbar zu machen bestrebt war.
Wenn Napoleon die genannte Industrie durch Dekrete schützte und durch Über¬
weisung von Staatsmitteln und großen Ackerflächen für den Bau von Zucker¬
rüben unterstützte, so war dies von Friedrich Wilhelm schon zwölf Jahre früher,
von 1799 an, geschehen; auch ist zu beachten, daß die Dekrete Napoleons, auf
die man mit soviel Genugthuung hinzuweisen pflegt, lediglich feiner Feind¬
seligkeit gegen England ihren Ursprung verdankten, während die Verfügungen
des deutschen Fürsten nur den Zweck verfolgten, seinem Staate Nutzen und
seinen Unterthanen von der ländlichen Bevölkerung lohnende Beschäftigung zu
schaffen. Napoleons Verdienste in der Sache sind bei jeder Gelegenheit ans
Licht gestellt und gepriesen worden, während die seines deutschen Vorgängers
in der Förderung der Fabrikation einheimischen Zuckers bis vor kurzem, wo
Scheibler sie aus der Verborgenheit der Archive zog und in der "Festschrift
zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Vereins für die Zucker¬
industrie Deutschlands" darstellte, kaum bekannt waren. Auch in dieser Gestalt
beschränkte sich die Kunde von ihnen auf einen verhältnismäßig engen Kreis,
und da einerseits die Wirksamkeit dieses Königs, anderseits die außerordentliche
Bedeutung des von ihm zuerst geförderten Jndustriezweiges eine Bekanntschaft
des ganzen gebildeten Publikums mit den betreffenden Vorgängen wünschenswert
erscheinen läßt, so teilen wir aus der Scheiblerschen Arbeit, die auch ans
Marggraf, den Entdecker des Rübenzuckers, zurückgreift, in möglichster Kürze das
Wesentliche mit und fügen hie und da einige Notizen aus andrer Quelle hinzu.

Die Aufsindung des Zuckers als eines wesentlichen Bestandteiles im Safte
der Runkelrüben war nicht, wie manche andre Entdeckung, Sache des blinden
Zufalls, sondern Ergebnis eines langjährigen wissenschaftlichen Strebens. Andreas
Sigismund Marggraf, Professor der Chemie und Direktor der königlichen Akademie
der Wissenschaften in Berlin, seiner Vaterstadt, einer der letzten und bedeutendsten
Chemiker des Zeitalters der phlogistischen Theorie, war der Vater dieser Er¬
kenntnis. Indem er sich mit der Aufgabe, die Natur der Pflanzensäfte festzu¬
stellen, Jahre hindurch in einer für die damalige Zeit bewundernswerter Weise
beschäftigte, zog er schließlich auch die Teile einzelner Pflanzengattungen, welche
sich durch füßen Geschmack auszeichnen, in den Kreis seiner Untersuchungen, und
zwar mit der bestimmten Absicht, denjenigen Bestandteil, der diesen Geschmack
bedingte, für sich abzuscheiden. Dabei fand er verschiedne Pflanzen, besonders
Wurzelgewächse (Weißen Mangold, Zuckerwurzel, roten Mangold oder Runkelrübe),
welche Zucker gleich dem enthielten, der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Seine
Resultate legte er in eiuer Abhandlung nieder, welche 1747 in der nach dem


Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

Hinsicht rühmen darf, zu nahe zu treten, dürfen wir dabei bleiben, daß die
ersten und eigentlichen Begründer der Nübenzuckerindnstrie Deutsche warm,
nämlich der Berliner Achard und dessen königlicher Gönner Friedrich Wilhelm
der Dritte, der mit wahrhaft landesväterlicher Fürsorge die Arbeiten dieses
Gelehrten zu fördern und für Preußens Wohl nutzbar zu machen bestrebt war.
Wenn Napoleon die genannte Industrie durch Dekrete schützte und durch Über¬
weisung von Staatsmitteln und großen Ackerflächen für den Bau von Zucker¬
rüben unterstützte, so war dies von Friedrich Wilhelm schon zwölf Jahre früher,
von 1799 an, geschehen; auch ist zu beachten, daß die Dekrete Napoleons, auf
die man mit soviel Genugthuung hinzuweisen pflegt, lediglich feiner Feind¬
seligkeit gegen England ihren Ursprung verdankten, während die Verfügungen
des deutschen Fürsten nur den Zweck verfolgten, seinem Staate Nutzen und
seinen Unterthanen von der ländlichen Bevölkerung lohnende Beschäftigung zu
schaffen. Napoleons Verdienste in der Sache sind bei jeder Gelegenheit ans
Licht gestellt und gepriesen worden, während die seines deutschen Vorgängers
in der Förderung der Fabrikation einheimischen Zuckers bis vor kurzem, wo
Scheibler sie aus der Verborgenheit der Archive zog und in der „Festschrift
zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Vereins für die Zucker¬
industrie Deutschlands" darstellte, kaum bekannt waren. Auch in dieser Gestalt
beschränkte sich die Kunde von ihnen auf einen verhältnismäßig engen Kreis,
und da einerseits die Wirksamkeit dieses Königs, anderseits die außerordentliche
Bedeutung des von ihm zuerst geförderten Jndustriezweiges eine Bekanntschaft
des ganzen gebildeten Publikums mit den betreffenden Vorgängen wünschenswert
erscheinen läßt, so teilen wir aus der Scheiblerschen Arbeit, die auch ans
Marggraf, den Entdecker des Rübenzuckers, zurückgreift, in möglichster Kürze das
Wesentliche mit und fügen hie und da einige Notizen aus andrer Quelle hinzu.

Die Aufsindung des Zuckers als eines wesentlichen Bestandteiles im Safte
der Runkelrüben war nicht, wie manche andre Entdeckung, Sache des blinden
Zufalls, sondern Ergebnis eines langjährigen wissenschaftlichen Strebens. Andreas
Sigismund Marggraf, Professor der Chemie und Direktor der königlichen Akademie
der Wissenschaften in Berlin, seiner Vaterstadt, einer der letzten und bedeutendsten
Chemiker des Zeitalters der phlogistischen Theorie, war der Vater dieser Er¬
kenntnis. Indem er sich mit der Aufgabe, die Natur der Pflanzensäfte festzu¬
stellen, Jahre hindurch in einer für die damalige Zeit bewundernswerter Weise
beschäftigte, zog er schließlich auch die Teile einzelner Pflanzengattungen, welche
sich durch füßen Geschmack auszeichnen, in den Kreis seiner Untersuchungen, und
zwar mit der bestimmten Absicht, denjenigen Bestandteil, der diesen Geschmack
bedingte, für sich abzuscheiden. Dabei fand er verschiedne Pflanzen, besonders
Wurzelgewächse (Weißen Mangold, Zuckerwurzel, roten Mangold oder Runkelrübe),
welche Zucker gleich dem enthielten, der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Seine
Resultate legte er in eiuer Abhandlung nieder, welche 1747 in der nach dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198952"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632"> Hinsicht rühmen darf, zu nahe zu treten, dürfen wir dabei bleiben, daß die<lb/>
ersten und eigentlichen Begründer der Nübenzuckerindnstrie Deutsche warm,<lb/>
nämlich der Berliner Achard und dessen königlicher Gönner Friedrich Wilhelm<lb/>
der Dritte, der mit wahrhaft landesväterlicher Fürsorge die Arbeiten dieses<lb/>
Gelehrten zu fördern und für Preußens Wohl nutzbar zu machen bestrebt war.<lb/>
Wenn Napoleon die genannte Industrie durch Dekrete schützte und durch Über¬<lb/>
weisung von Staatsmitteln und großen Ackerflächen für den Bau von Zucker¬<lb/>
rüben unterstützte, so war dies von Friedrich Wilhelm schon zwölf Jahre früher,<lb/>
von 1799 an, geschehen; auch ist zu beachten, daß die Dekrete Napoleons, auf<lb/>
die man mit soviel Genugthuung hinzuweisen pflegt, lediglich feiner Feind¬<lb/>
seligkeit gegen England ihren Ursprung verdankten, während die Verfügungen<lb/>
des deutschen Fürsten nur den Zweck verfolgten, seinem Staate Nutzen und<lb/>
seinen Unterthanen von der ländlichen Bevölkerung lohnende Beschäftigung zu<lb/>
schaffen. Napoleons Verdienste in der Sache sind bei jeder Gelegenheit ans<lb/>
Licht gestellt und gepriesen worden, während die seines deutschen Vorgängers<lb/>
in der Förderung der Fabrikation einheimischen Zuckers bis vor kurzem, wo<lb/>
Scheibler sie aus der Verborgenheit der Archive zog und in der &#x201E;Festschrift<lb/>
zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Vereins für die Zucker¬<lb/>
industrie Deutschlands" darstellte, kaum bekannt waren. Auch in dieser Gestalt<lb/>
beschränkte sich die Kunde von ihnen auf einen verhältnismäßig engen Kreis,<lb/>
und da einerseits die Wirksamkeit dieses Königs, anderseits die außerordentliche<lb/>
Bedeutung des von ihm zuerst geförderten Jndustriezweiges eine Bekanntschaft<lb/>
des ganzen gebildeten Publikums mit den betreffenden Vorgängen wünschenswert<lb/>
erscheinen läßt, so teilen wir aus der Scheiblerschen Arbeit, die auch ans<lb/>
Marggraf, den Entdecker des Rübenzuckers, zurückgreift, in möglichster Kürze das<lb/>
Wesentliche mit und fügen hie und da einige Notizen aus andrer Quelle hinzu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_634" next="#ID_635"> Die Aufsindung des Zuckers als eines wesentlichen Bestandteiles im Safte<lb/>
der Runkelrüben war nicht, wie manche andre Entdeckung, Sache des blinden<lb/>
Zufalls, sondern Ergebnis eines langjährigen wissenschaftlichen Strebens. Andreas<lb/>
Sigismund Marggraf, Professor der Chemie und Direktor der königlichen Akademie<lb/>
der Wissenschaften in Berlin, seiner Vaterstadt, einer der letzten und bedeutendsten<lb/>
Chemiker des Zeitalters der phlogistischen Theorie, war der Vater dieser Er¬<lb/>
kenntnis. Indem er sich mit der Aufgabe, die Natur der Pflanzensäfte festzu¬<lb/>
stellen, Jahre hindurch in einer für die damalige Zeit bewundernswerter Weise<lb/>
beschäftigte, zog er schließlich auch die Teile einzelner Pflanzengattungen, welche<lb/>
sich durch füßen Geschmack auszeichnen, in den Kreis seiner Untersuchungen, und<lb/>
zwar mit der bestimmten Absicht, denjenigen Bestandteil, der diesen Geschmack<lb/>
bedingte, für sich abzuscheiden. Dabei fand er verschiedne Pflanzen, besonders<lb/>
Wurzelgewächse (Weißen Mangold, Zuckerwurzel, roten Mangold oder Runkelrübe),<lb/>
welche Zucker gleich dem enthielten, der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Seine<lb/>
Resultate legte er in eiuer Abhandlung nieder, welche 1747 in der nach dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers. Hinsicht rühmen darf, zu nahe zu treten, dürfen wir dabei bleiben, daß die ersten und eigentlichen Begründer der Nübenzuckerindnstrie Deutsche warm, nämlich der Berliner Achard und dessen königlicher Gönner Friedrich Wilhelm der Dritte, der mit wahrhaft landesväterlicher Fürsorge die Arbeiten dieses Gelehrten zu fördern und für Preußens Wohl nutzbar zu machen bestrebt war. Wenn Napoleon die genannte Industrie durch Dekrete schützte und durch Über¬ weisung von Staatsmitteln und großen Ackerflächen für den Bau von Zucker¬ rüben unterstützte, so war dies von Friedrich Wilhelm schon zwölf Jahre früher, von 1799 an, geschehen; auch ist zu beachten, daß die Dekrete Napoleons, auf die man mit soviel Genugthuung hinzuweisen pflegt, lediglich feiner Feind¬ seligkeit gegen England ihren Ursprung verdankten, während die Verfügungen des deutschen Fürsten nur den Zweck verfolgten, seinem Staate Nutzen und seinen Unterthanen von der ländlichen Bevölkerung lohnende Beschäftigung zu schaffen. Napoleons Verdienste in der Sache sind bei jeder Gelegenheit ans Licht gestellt und gepriesen worden, während die seines deutschen Vorgängers in der Förderung der Fabrikation einheimischen Zuckers bis vor kurzem, wo Scheibler sie aus der Verborgenheit der Archive zog und in der „Festschrift zur Feier des fünfundzwanzigjährigen Bestehens des Vereins für die Zucker¬ industrie Deutschlands" darstellte, kaum bekannt waren. Auch in dieser Gestalt beschränkte sich die Kunde von ihnen auf einen verhältnismäßig engen Kreis, und da einerseits die Wirksamkeit dieses Königs, anderseits die außerordentliche Bedeutung des von ihm zuerst geförderten Jndustriezweiges eine Bekanntschaft des ganzen gebildeten Publikums mit den betreffenden Vorgängen wünschenswert erscheinen läßt, so teilen wir aus der Scheiblerschen Arbeit, die auch ans Marggraf, den Entdecker des Rübenzuckers, zurückgreift, in möglichster Kürze das Wesentliche mit und fügen hie und da einige Notizen aus andrer Quelle hinzu. Die Aufsindung des Zuckers als eines wesentlichen Bestandteiles im Safte der Runkelrüben war nicht, wie manche andre Entdeckung, Sache des blinden Zufalls, sondern Ergebnis eines langjährigen wissenschaftlichen Strebens. Andreas Sigismund Marggraf, Professor der Chemie und Direktor der königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, seiner Vaterstadt, einer der letzten und bedeutendsten Chemiker des Zeitalters der phlogistischen Theorie, war der Vater dieser Er¬ kenntnis. Indem er sich mit der Aufgabe, die Natur der Pflanzensäfte festzu¬ stellen, Jahre hindurch in einer für die damalige Zeit bewundernswerter Weise beschäftigte, zog er schließlich auch die Teile einzelner Pflanzengattungen, welche sich durch füßen Geschmack auszeichnen, in den Kreis seiner Untersuchungen, und zwar mit der bestimmten Absicht, denjenigen Bestandteil, der diesen Geschmack bedingte, für sich abzuscheiden. Dabei fand er verschiedne Pflanzen, besonders Wurzelgewächse (Weißen Mangold, Zuckerwurzel, roten Mangold oder Runkelrübe), welche Zucker gleich dem enthielten, der aus Zuckerrohr gewonnen wird. Seine Resultate legte er in eiuer Abhandlung nieder, welche 1747 in der nach dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/232>, abgerufen am 24.08.2024.