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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Vorliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Vorgang für uns, und wie viele Leute giebt es, welche im Angesichte desselben
die geschichtlichen Konsequenzen aus demselben zu ziehen vermögen, um sich in
die nötige weihevolle Stimmung zu versetze"? Die "Auffindung der Leiche
Kaiser Friedrich Barbarossas im Calyeadnus," welche Wilhelm Beckmann in
Düsseldorf gemalt hat, ist gewiß ein tragisches, tief erschütterndes Ereignis.
Aber der durch das Motiv bedingte Eindruck ist völlig ausgeblieben, weil die
Darstellung äußerst lahm und leblos und das Kolorit so erdfahl und unkräftig
ist, daß man an die ersten Versuche der romantischen Düsseldorfer Historien¬
malerei, an Stürmer und Stille, erinnert wird. Ausgezeichnete Koloristen, wie
der Belgier Ferdinand Pauwels und der Schwede Gustav Hellqvist, haben die
Virtuosität ihrer technischen Darstellung in den Dienst von Stoffen gestellt,
welche uns Deutschen entweder unverständlich oder gleichgiltig sind. Wir würden
vom nationalen Standpunkte aus kein Recht haben, diese beiden Maler wegen
der Wahl ihrer Motive zur Rede zu stellen, wenn sie nicht beide als Lehrer
an deutschen Akademien wirkten oder zu wirken berufen sind. Wenn die Leiter
unsrer Akademien wirklich gezwungen sind, der deutschen Kunst das beschämende
Zeugnis auszustellen, daß ausreichende Lehrkräfte nicht mehr aus ihrer Mitte
beschafft werden können, so dürfen wir wenigstens das Recht beanspruchen, die
zu Lehrern berufenen Ausländer schonend an ihre neue Heimat zu erinnern
und ihre Schöpfungen nach dem Maßstabe unsers nationalen Interesses zu be¬
urteilen. Für Pauwels, welcher seit zwanzig Jahren in Deutschland (Weimar
und Dresden) als akademischer Lehrer thätig ist, gilt eine solche Kritik nur in
bedingtem Grade. Er hat gelegentlich auch Motive aus der deutschen Geschichte
behandelt und in seinen Darstellungen aus der flandrischen Geschichte mit Vor¬
liebe den allgemein menschlichen Kern hervorgekehrt. So auch in seinem figuren-
reichen Bilde auf unsrer Ausstellung: "Regentin Johanna von Flandern, am
Charfreitage 1214 Ipern besuchend, giebt Gefangenen die Freiheit im Ange¬
denken an das Leiden und Sterben Christi." Der Schwede Hellqvist, der
kürzlich als Lehrer an die Berliner Kunstakademie berufen worden ist, sucht
dagegen mit Vorliebe nur solche Episoden aus seiner heimatlichen Geschichte
hervor, welche ein sehr eng begrenztes Interesse haben. Überdies hat sein
neuestes Bild, die "Brandschatzung der schwedischen Hansestadt Wisby dnrch den
dänischen König Waldemar Atterdag," nicht die sonstigen Vorzüge des Malers.
Das Kolorit ist zu bunt und hart und die Komposition zu wirr und überladen.
Wenn man beide Gemälde nach dem ästhetisch-philosophischen Systeme klassi-
fizircn wollte, würde man ihnen kaum mehr als den Titel geschichtlicher Genre¬
bilder zuerkennen. Das Zusammenschleppen von kostbaren Gold- und Silber-
gefäßcn und Kleinodien durch erbitterte Männer und verzweifelnde Frauen,
welches auf dem Marktplatze der Stadt unter den Augen des finster drein-
blickenden Königs und seiner Söldner vor sich geht, ist an und für sich keine
Aktion von historischer Bedeutung, sondern nur ein Vorwand für den Maler,


Die Historienmalerei auf der Vorliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Vorgang für uns, und wie viele Leute giebt es, welche im Angesichte desselben
die geschichtlichen Konsequenzen aus demselben zu ziehen vermögen, um sich in
die nötige weihevolle Stimmung zu versetze»? Die „Auffindung der Leiche
Kaiser Friedrich Barbarossas im Calyeadnus," welche Wilhelm Beckmann in
Düsseldorf gemalt hat, ist gewiß ein tragisches, tief erschütterndes Ereignis.
Aber der durch das Motiv bedingte Eindruck ist völlig ausgeblieben, weil die
Darstellung äußerst lahm und leblos und das Kolorit so erdfahl und unkräftig
ist, daß man an die ersten Versuche der romantischen Düsseldorfer Historien¬
malerei, an Stürmer und Stille, erinnert wird. Ausgezeichnete Koloristen, wie
der Belgier Ferdinand Pauwels und der Schwede Gustav Hellqvist, haben die
Virtuosität ihrer technischen Darstellung in den Dienst von Stoffen gestellt,
welche uns Deutschen entweder unverständlich oder gleichgiltig sind. Wir würden
vom nationalen Standpunkte aus kein Recht haben, diese beiden Maler wegen
der Wahl ihrer Motive zur Rede zu stellen, wenn sie nicht beide als Lehrer
an deutschen Akademien wirkten oder zu wirken berufen sind. Wenn die Leiter
unsrer Akademien wirklich gezwungen sind, der deutschen Kunst das beschämende
Zeugnis auszustellen, daß ausreichende Lehrkräfte nicht mehr aus ihrer Mitte
beschafft werden können, so dürfen wir wenigstens das Recht beanspruchen, die
zu Lehrern berufenen Ausländer schonend an ihre neue Heimat zu erinnern
und ihre Schöpfungen nach dem Maßstabe unsers nationalen Interesses zu be¬
urteilen. Für Pauwels, welcher seit zwanzig Jahren in Deutschland (Weimar
und Dresden) als akademischer Lehrer thätig ist, gilt eine solche Kritik nur in
bedingtem Grade. Er hat gelegentlich auch Motive aus der deutschen Geschichte
behandelt und in seinen Darstellungen aus der flandrischen Geschichte mit Vor¬
liebe den allgemein menschlichen Kern hervorgekehrt. So auch in seinem figuren-
reichen Bilde auf unsrer Ausstellung: „Regentin Johanna von Flandern, am
Charfreitage 1214 Ipern besuchend, giebt Gefangenen die Freiheit im Ange¬
denken an das Leiden und Sterben Christi." Der Schwede Hellqvist, der
kürzlich als Lehrer an die Berliner Kunstakademie berufen worden ist, sucht
dagegen mit Vorliebe nur solche Episoden aus seiner heimatlichen Geschichte
hervor, welche ein sehr eng begrenztes Interesse haben. Überdies hat sein
neuestes Bild, die „Brandschatzung der schwedischen Hansestadt Wisby dnrch den
dänischen König Waldemar Atterdag," nicht die sonstigen Vorzüge des Malers.
Das Kolorit ist zu bunt und hart und die Komposition zu wirr und überladen.
Wenn man beide Gemälde nach dem ästhetisch-philosophischen Systeme klassi-
fizircn wollte, würde man ihnen kaum mehr als den Titel geschichtlicher Genre¬
bilder zuerkennen. Das Zusammenschleppen von kostbaren Gold- und Silber-
gefäßcn und Kleinodien durch erbitterte Männer und verzweifelnde Frauen,
welches auf dem Marktplatze der Stadt unter den Augen des finster drein-
blickenden Königs und seiner Söldner vor sich geht, ist an und für sich keine
Aktion von historischer Bedeutung, sondern nur ein Vorwand für den Maler,


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[0230] Die Historienmalerei auf der Vorliner Jubiläums-Kunstausstellung. Vorgang für uns, und wie viele Leute giebt es, welche im Angesichte desselben die geschichtlichen Konsequenzen aus demselben zu ziehen vermögen, um sich in die nötige weihevolle Stimmung zu versetze»? Die „Auffindung der Leiche Kaiser Friedrich Barbarossas im Calyeadnus," welche Wilhelm Beckmann in Düsseldorf gemalt hat, ist gewiß ein tragisches, tief erschütterndes Ereignis. Aber der durch das Motiv bedingte Eindruck ist völlig ausgeblieben, weil die Darstellung äußerst lahm und leblos und das Kolorit so erdfahl und unkräftig ist, daß man an die ersten Versuche der romantischen Düsseldorfer Historien¬ malerei, an Stürmer und Stille, erinnert wird. Ausgezeichnete Koloristen, wie der Belgier Ferdinand Pauwels und der Schwede Gustav Hellqvist, haben die Virtuosität ihrer technischen Darstellung in den Dienst von Stoffen gestellt, welche uns Deutschen entweder unverständlich oder gleichgiltig sind. Wir würden vom nationalen Standpunkte aus kein Recht haben, diese beiden Maler wegen der Wahl ihrer Motive zur Rede zu stellen, wenn sie nicht beide als Lehrer an deutschen Akademien wirkten oder zu wirken berufen sind. Wenn die Leiter unsrer Akademien wirklich gezwungen sind, der deutschen Kunst das beschämende Zeugnis auszustellen, daß ausreichende Lehrkräfte nicht mehr aus ihrer Mitte beschafft werden können, so dürfen wir wenigstens das Recht beanspruchen, die zu Lehrern berufenen Ausländer schonend an ihre neue Heimat zu erinnern und ihre Schöpfungen nach dem Maßstabe unsers nationalen Interesses zu be¬ urteilen. Für Pauwels, welcher seit zwanzig Jahren in Deutschland (Weimar und Dresden) als akademischer Lehrer thätig ist, gilt eine solche Kritik nur in bedingtem Grade. Er hat gelegentlich auch Motive aus der deutschen Geschichte behandelt und in seinen Darstellungen aus der flandrischen Geschichte mit Vor¬ liebe den allgemein menschlichen Kern hervorgekehrt. So auch in seinem figuren- reichen Bilde auf unsrer Ausstellung: „Regentin Johanna von Flandern, am Charfreitage 1214 Ipern besuchend, giebt Gefangenen die Freiheit im Ange¬ denken an das Leiden und Sterben Christi." Der Schwede Hellqvist, der kürzlich als Lehrer an die Berliner Kunstakademie berufen worden ist, sucht dagegen mit Vorliebe nur solche Episoden aus seiner heimatlichen Geschichte hervor, welche ein sehr eng begrenztes Interesse haben. Überdies hat sein neuestes Bild, die „Brandschatzung der schwedischen Hansestadt Wisby dnrch den dänischen König Waldemar Atterdag," nicht die sonstigen Vorzüge des Malers. Das Kolorit ist zu bunt und hart und die Komposition zu wirr und überladen. Wenn man beide Gemälde nach dem ästhetisch-philosophischen Systeme klassi- fizircn wollte, würde man ihnen kaum mehr als den Titel geschichtlicher Genre¬ bilder zuerkennen. Das Zusammenschleppen von kostbaren Gold- und Silber- gefäßcn und Kleinodien durch erbitterte Männer und verzweifelnde Frauen, welches auf dem Marktplatze der Stadt unter den Augen des finster drein- blickenden Königs und seiner Söldner vor sich geht, ist an und für sich keine Aktion von historischer Bedeutung, sondern nur ein Vorwand für den Maler,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/230>, abgerufen am 24.08.2024.