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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Kurfürsten darstellt. Wie der Kcitalvg zur Erläuterung der Situation mitteilt,
geriet der Hohenzoller "bei seinem Aufenthalte im Haag auf Anstiften ihm
feindlich Gesinnter in die Gesellschaft der sogenannten Medianoete. , . . Als er
merkte, daß es auf Verführung abgesehen war, so sprang er entrüstet von der
Tafel auf und entfernte sich mit den Worten: Ich bin es meiner Ehre, meinem
Lande und meinen Eltern schuldig, diese Gesellschaft zu verlassen." Es ist schon
an und für sich ein mißliches Ding, entscheidende oder charakteristische Ans¬
prüche historischer Persönlichkeiten zum Gegenstande künstlerischer Darstellung
zu machen. Man braucht nur an das angebliche Wort Ludwigs XIV.: I/stÄ
o'oft irwi! zu erinnern, welches schon so viele Maler verlockt hat, ohne daß
es einem einzigen gelungen wäre, den zu Grunde liegenden Gedanken, den damit
symbolisirten Charciktcrzug des Selbstherrschers zu klarem Ausdruck zu bringen.
Wer den weitläufigen Kommentar nicht gelesen hat, der auch noch auf spätere
Dinge zurückgreift, sieht auf dem Neuhcmsschen Bilde nur, daß ein junger Mann
mit langem Lockenhaare und ungewöhnlich großem Kopfe mit der pathetischen
Geberde sittlicher Entrüstung eine Gesellschaft von lustigen Kavalieren und nach¬
sichtigen Damen verläßt, in welcher es sehr ungebunden zugeht und niemand
Anstoß daran nimmt, daß ein fröhlicher Zecher auch einmal unter den Tisch
gleitet. Eine große moralische That wird kein Uneingeweihter aus dieser Dar¬
stellung herauslesen, bei welcher der Kleiderprnnk, die Tafel mit Speisen und
Geräten, der Lichterglanz und andre Äußerlichkeiten so sehr betont worden sind,
daß man nicht recht an den Ernst des Historienmalers glauben kann. Es wäre
ebenso voreilig, als wenn man Hermann Kaulbach nach seinem Elisabethbilde
für einen Heiligemnalcr erklären wollte, jenen Künstler, welcher vor einigen
Jahren eines der frivolsten Motive, die sich eine ungesunde Phantasie erdenken
kann, den Tanz der nur mit dünnen Schleiern bekleideten Lucrezia Borgia vor
ihrem päpstlichen Vater, ihrem Bruder und dein ganzen sittenlosen Hofstaate
behandelt hat. Ein wenig mehr sittlichen Ernstes wäre unsern Künstlern in
der That zu wünschen, ohne daß sie deswegen in das Extrem des Puritanismus
oder des schwindsüchtiger Nazarcnertums zu verfallen brauchten. Eine wirkliche
That des großen Kurfürsten, seine Landung auf Rügen, hat uns dagegen der
Berliner Albert Tschautsch dargestellt, freilich in kleinern Dimensionen und mit
geringern Mitteln.

Auch wer aus seiner ästhetischen Überzeugung unsern Argumenten gegen
die traditionelle Historienmalerei nicht beipflichtet, kann sich der Wahrnehmung
nicht verschließen, daß über den modernen Historienbildern ein Unstern schwebt.
Entweder ist die Wahl des Stoffes eine unglückliche, oder es lassen, falls
der Stoff ein allgemeines, tieferes Interesse beanspruchen darf, die künstle¬
rischen Kräfte den Maler im Stiche. Die "Zusammenkunft Kaiser Barbarossas
mit Papst Alexander in Venedig" von Erwin Langer in Dresden ist wacker
gemalt und zeugt von sorgfältigen Studien. Welche Bedeutung hat aber dieser


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Kurfürsten darstellt. Wie der Kcitalvg zur Erläuterung der Situation mitteilt,
geriet der Hohenzoller „bei seinem Aufenthalte im Haag auf Anstiften ihm
feindlich Gesinnter in die Gesellschaft der sogenannten Medianoete. , . . Als er
merkte, daß es auf Verführung abgesehen war, so sprang er entrüstet von der
Tafel auf und entfernte sich mit den Worten: Ich bin es meiner Ehre, meinem
Lande und meinen Eltern schuldig, diese Gesellschaft zu verlassen." Es ist schon
an und für sich ein mißliches Ding, entscheidende oder charakteristische Ans¬
prüche historischer Persönlichkeiten zum Gegenstande künstlerischer Darstellung
zu machen. Man braucht nur an das angebliche Wort Ludwigs XIV.: I/stÄ
o'oft irwi! zu erinnern, welches schon so viele Maler verlockt hat, ohne daß
es einem einzigen gelungen wäre, den zu Grunde liegenden Gedanken, den damit
symbolisirten Charciktcrzug des Selbstherrschers zu klarem Ausdruck zu bringen.
Wer den weitläufigen Kommentar nicht gelesen hat, der auch noch auf spätere
Dinge zurückgreift, sieht auf dem Neuhcmsschen Bilde nur, daß ein junger Mann
mit langem Lockenhaare und ungewöhnlich großem Kopfe mit der pathetischen
Geberde sittlicher Entrüstung eine Gesellschaft von lustigen Kavalieren und nach¬
sichtigen Damen verläßt, in welcher es sehr ungebunden zugeht und niemand
Anstoß daran nimmt, daß ein fröhlicher Zecher auch einmal unter den Tisch
gleitet. Eine große moralische That wird kein Uneingeweihter aus dieser Dar¬
stellung herauslesen, bei welcher der Kleiderprnnk, die Tafel mit Speisen und
Geräten, der Lichterglanz und andre Äußerlichkeiten so sehr betont worden sind,
daß man nicht recht an den Ernst des Historienmalers glauben kann. Es wäre
ebenso voreilig, als wenn man Hermann Kaulbach nach seinem Elisabethbilde
für einen Heiligemnalcr erklären wollte, jenen Künstler, welcher vor einigen
Jahren eines der frivolsten Motive, die sich eine ungesunde Phantasie erdenken
kann, den Tanz der nur mit dünnen Schleiern bekleideten Lucrezia Borgia vor
ihrem päpstlichen Vater, ihrem Bruder und dein ganzen sittenlosen Hofstaate
behandelt hat. Ein wenig mehr sittlichen Ernstes wäre unsern Künstlern in
der That zu wünschen, ohne daß sie deswegen in das Extrem des Puritanismus
oder des schwindsüchtiger Nazarcnertums zu verfallen brauchten. Eine wirkliche
That des großen Kurfürsten, seine Landung auf Rügen, hat uns dagegen der
Berliner Albert Tschautsch dargestellt, freilich in kleinern Dimensionen und mit
geringern Mitteln.

Auch wer aus seiner ästhetischen Überzeugung unsern Argumenten gegen
die traditionelle Historienmalerei nicht beipflichtet, kann sich der Wahrnehmung
nicht verschließen, daß über den modernen Historienbildern ein Unstern schwebt.
Entweder ist die Wahl des Stoffes eine unglückliche, oder es lassen, falls
der Stoff ein allgemeines, tieferes Interesse beanspruchen darf, die künstle¬
rischen Kräfte den Maler im Stiche. Die „Zusammenkunft Kaiser Barbarossas
mit Papst Alexander in Venedig" von Erwin Langer in Dresden ist wacker
gemalt und zeugt von sorgfältigen Studien. Welche Bedeutung hat aber dieser


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[0229] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung. Kurfürsten darstellt. Wie der Kcitalvg zur Erläuterung der Situation mitteilt, geriet der Hohenzoller „bei seinem Aufenthalte im Haag auf Anstiften ihm feindlich Gesinnter in die Gesellschaft der sogenannten Medianoete. , . . Als er merkte, daß es auf Verführung abgesehen war, so sprang er entrüstet von der Tafel auf und entfernte sich mit den Worten: Ich bin es meiner Ehre, meinem Lande und meinen Eltern schuldig, diese Gesellschaft zu verlassen." Es ist schon an und für sich ein mißliches Ding, entscheidende oder charakteristische Ans¬ prüche historischer Persönlichkeiten zum Gegenstande künstlerischer Darstellung zu machen. Man braucht nur an das angebliche Wort Ludwigs XIV.: I/stÄ o'oft irwi! zu erinnern, welches schon so viele Maler verlockt hat, ohne daß es einem einzigen gelungen wäre, den zu Grunde liegenden Gedanken, den damit symbolisirten Charciktcrzug des Selbstherrschers zu klarem Ausdruck zu bringen. Wer den weitläufigen Kommentar nicht gelesen hat, der auch noch auf spätere Dinge zurückgreift, sieht auf dem Neuhcmsschen Bilde nur, daß ein junger Mann mit langem Lockenhaare und ungewöhnlich großem Kopfe mit der pathetischen Geberde sittlicher Entrüstung eine Gesellschaft von lustigen Kavalieren und nach¬ sichtigen Damen verläßt, in welcher es sehr ungebunden zugeht und niemand Anstoß daran nimmt, daß ein fröhlicher Zecher auch einmal unter den Tisch gleitet. Eine große moralische That wird kein Uneingeweihter aus dieser Dar¬ stellung herauslesen, bei welcher der Kleiderprnnk, die Tafel mit Speisen und Geräten, der Lichterglanz und andre Äußerlichkeiten so sehr betont worden sind, daß man nicht recht an den Ernst des Historienmalers glauben kann. Es wäre ebenso voreilig, als wenn man Hermann Kaulbach nach seinem Elisabethbilde für einen Heiligemnalcr erklären wollte, jenen Künstler, welcher vor einigen Jahren eines der frivolsten Motive, die sich eine ungesunde Phantasie erdenken kann, den Tanz der nur mit dünnen Schleiern bekleideten Lucrezia Borgia vor ihrem päpstlichen Vater, ihrem Bruder und dein ganzen sittenlosen Hofstaate behandelt hat. Ein wenig mehr sittlichen Ernstes wäre unsern Künstlern in der That zu wünschen, ohne daß sie deswegen in das Extrem des Puritanismus oder des schwindsüchtiger Nazarcnertums zu verfallen brauchten. Eine wirkliche That des großen Kurfürsten, seine Landung auf Rügen, hat uns dagegen der Berliner Albert Tschautsch dargestellt, freilich in kleinern Dimensionen und mit geringern Mitteln. Auch wer aus seiner ästhetischen Überzeugung unsern Argumenten gegen die traditionelle Historienmalerei nicht beipflichtet, kann sich der Wahrnehmung nicht verschließen, daß über den modernen Historienbildern ein Unstern schwebt. Entweder ist die Wahl des Stoffes eine unglückliche, oder es lassen, falls der Stoff ein allgemeines, tieferes Interesse beanspruchen darf, die künstle¬ rischen Kräfte den Maler im Stiche. Die „Zusammenkunft Kaiser Barbarossas mit Papst Alexander in Venedig" von Erwin Langer in Dresden ist wacker gemalt und zeugt von sorgfältigen Studien. Welche Bedeutung hat aber dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/229>, abgerufen am 22.07.2024.