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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.

-- wir glauben, sie gehörte zu denen, deren Zwecke das zweite Epitheton nicht
verdienen -- in dem Augenblicke aufgelöst, als eine der exx/i.^t7,,"^t)<7"/. den
"Schiller des Volkes" ius Tressen führte. Ein Beweis, daß ein Polizeileutnant
sehr wohl auch Geschmack haben kann. Man lasse den Frauen ihren Schiller,
der ihre Würde so hoch besungen hat. Flechten und weben sie aber himmlische
Reden ins irdische Leben, so sollten sie ihren Schiller lieber daraus weglassen;
er könnte ihnen sonst bedenklich -- zu allererst zu ihrem Nachteil -- geschädigt
werden,

Gewisse Wahrheiten kann man nicht oft genug wiederholen, und gewisse
Irrtümer nicht häufig genug widerlegen. Zu den letztem zählt die nun schon
hundertjährige politische Legende von Schiller dem Demokraten. Sie ist darum
so schwer auszurotten, weil ein in Sachen Schillers schwer abzuweisender Ge¬
währsmann sie aufgebracht hat, nämlich der junge Schiller selbst. Daß der
junge Schiller in dieser Beziehung nicht Schiller, daß er hierin eine Zeiter¬
scheinung ist wie jede andre, wie z. B. jene beiden jungen, nach Thrannenblut
brüllenden und doch sehr bald so lammfrommen norddeutschen Grafen, das will
dem nicht historisch geschulten Verehrer freilich schwer in den Kopf. Das ist
leider der Erdenrest, welcher dem großen Dichter anhaftet, wie jeder über die
Zeit erhobenen großen Persönlichkeit. Das Gedächtnis der Menschheit löst sie
ab von ihrer Zeit, sie werden zu Ideen, die basirt wie jede andre, jedes
Zeitalter nennt sie die ihren und behandelt sie wie solche rein "ccktnell." Aber
wie der historische Held, so hat auch der große Dichter, bevor er sich zu seinem
Ideale höchster Menschlichkeit durchgerungen, der Zeit seinen Tribut gezollt.
Bei jenem zeigt dies gleich seine mit ihr eng verwachsene Gesamterscheinung,
bei diesem vermittelte es wie zum Fluche jeder, selbst der bloß idealen Voll¬
kommenheit sein Gesamtwert. Dicht neben jenen höchsten Äußerungen seiner In¬
dividualität liegen hier die rohen Trümmer, denen er sie abgerungen hat, und
ohne Scheidung mischt sich dem unkundigen Ohre des fernen Hörers die ver¬
klärte Stimme des Genius mit den unvollkommenen, wirren Lauten der Zeit.

Die philanthropisch-kosmopolitische Demokratie des deutschen Sturm und
Dranges war ein sehr mannichfach zusammengesetztes Wesen; ein wunderliches
Gemisch von französischem Rationalismus und englischer Empfindsamkeit, antikem
Schulideal und modernem Radikalismus, poetisch ein Bardentum mit Enchklo-
pädienweisheit, Klopstock und Lessing, kurz, wirklich ein tolles Gebräu, aber von
deutschem, von echt deutschem Geschmack. Alte Ideale der vorausgegangenen
Jahrhunderte kommen da zum Ausdruck, die Taeiteischen Germanen der deutschen
Renaissance und die Überzeugungskämpfer, die Volkserlöser, die Weltverbrüderer
der deutschen Reformation. Der Kraftstil des sechzehnten Jahrhunderts erwacht
und mit ihm die ganze realistische Freizügigkeit des germanischen Kunstgeistes.
Das war alles so lange eingedämmt gewesen wie das politische Bewußtsein
der Nation und entschädigte sich nnn durch tolle Sprünge und Grimassen; das


Schiller der Demokrat.

— wir glauben, sie gehörte zu denen, deren Zwecke das zweite Epitheton nicht
verdienen — in dem Augenblicke aufgelöst, als eine der exx/i.^t7,,«^t)<7«/. den
„Schiller des Volkes" ius Tressen führte. Ein Beweis, daß ein Polizeileutnant
sehr wohl auch Geschmack haben kann. Man lasse den Frauen ihren Schiller,
der ihre Würde so hoch besungen hat. Flechten und weben sie aber himmlische
Reden ins irdische Leben, so sollten sie ihren Schiller lieber daraus weglassen;
er könnte ihnen sonst bedenklich — zu allererst zu ihrem Nachteil — geschädigt
werden,

Gewisse Wahrheiten kann man nicht oft genug wiederholen, und gewisse
Irrtümer nicht häufig genug widerlegen. Zu den letztem zählt die nun schon
hundertjährige politische Legende von Schiller dem Demokraten. Sie ist darum
so schwer auszurotten, weil ein in Sachen Schillers schwer abzuweisender Ge¬
währsmann sie aufgebracht hat, nämlich der junge Schiller selbst. Daß der
junge Schiller in dieser Beziehung nicht Schiller, daß er hierin eine Zeiter¬
scheinung ist wie jede andre, wie z. B. jene beiden jungen, nach Thrannenblut
brüllenden und doch sehr bald so lammfrommen norddeutschen Grafen, das will
dem nicht historisch geschulten Verehrer freilich schwer in den Kopf. Das ist
leider der Erdenrest, welcher dem großen Dichter anhaftet, wie jeder über die
Zeit erhobenen großen Persönlichkeit. Das Gedächtnis der Menschheit löst sie
ab von ihrer Zeit, sie werden zu Ideen, die basirt wie jede andre, jedes
Zeitalter nennt sie die ihren und behandelt sie wie solche rein „ccktnell." Aber
wie der historische Held, so hat auch der große Dichter, bevor er sich zu seinem
Ideale höchster Menschlichkeit durchgerungen, der Zeit seinen Tribut gezollt.
Bei jenem zeigt dies gleich seine mit ihr eng verwachsene Gesamterscheinung,
bei diesem vermittelte es wie zum Fluche jeder, selbst der bloß idealen Voll¬
kommenheit sein Gesamtwert. Dicht neben jenen höchsten Äußerungen seiner In¬
dividualität liegen hier die rohen Trümmer, denen er sie abgerungen hat, und
ohne Scheidung mischt sich dem unkundigen Ohre des fernen Hörers die ver¬
klärte Stimme des Genius mit den unvollkommenen, wirren Lauten der Zeit.

Die philanthropisch-kosmopolitische Demokratie des deutschen Sturm und
Dranges war ein sehr mannichfach zusammengesetztes Wesen; ein wunderliches
Gemisch von französischem Rationalismus und englischer Empfindsamkeit, antikem
Schulideal und modernem Radikalismus, poetisch ein Bardentum mit Enchklo-
pädienweisheit, Klopstock und Lessing, kurz, wirklich ein tolles Gebräu, aber von
deutschem, von echt deutschem Geschmack. Alte Ideale der vorausgegangenen
Jahrhunderte kommen da zum Ausdruck, die Taeiteischen Germanen der deutschen
Renaissance und die Überzeugungskämpfer, die Volkserlöser, die Weltverbrüderer
der deutschen Reformation. Der Kraftstil des sechzehnten Jahrhunderts erwacht
und mit ihm die ganze realistische Freizügigkeit des germanischen Kunstgeistes.
Das war alles so lange eingedämmt gewesen wie das politische Bewußtsein
der Nation und entschädigte sich nnn durch tolle Sprünge und Grimassen; das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/154>, abgerufen am 03.07.2024.