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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

Ortswechsels die Notwendigkeit, zu verkaufen, zu sehr ans den Preis drücken
würde. Wo dieses Bedenken vorliegt, ist dasselbe ja (solange wir die Se. Simon-
schen Vvdentauschbauken noch nicht haben) vollständig berechtigt. Besonders schwer
fällt dasselbe für viele Arbeiter ins Gewicht, und man hat ja auch diese Seite
der Arbeiterwohnungs- und Arbeiterhausfrage niemals verkannt. Selbstverständ¬
lich kann es niemand beikommen, einen auf nur ephemere lokale Gewerbszweige
oder auf ein einzelnes Etablissement angewiesenen Arbeiter zum Ankauf eines
eignen Hauses veranlassen zu wollen, und selbst wo derartige Verhältnisse nicht
obwalten, wird man sehr oft dem Arbeiter am besten den Rat geben, sich seine
Bewegungsfreiheit zu bewahren und seine Ersparnisse in der Sparkasse zu lassen.
Aber bei alledem wird es zahlreiche Verhältnisse geben, wo die Wahrscheinlichkeit
des Verbleibens in einer Stadt eine so große ist, daß dieses Bedenken nicht
Platz zu greifen braucht.

Viel schwerer wiegt unsers Trachtens ein andres Bedenken. Immer wieder
finden sich Leute, welche sich einbilden, am Bewohnen einer Villa ungeheures
Pläsir zu finden, und denen doch nicht weniger wie alle Eigenschaften hierzu
abgehen, sondern die recht eigentlich in die Mietkasernen, deren Besitzer bei der
kleinsten vorzunehmenden Reparatur nur von ihnen angerufen zu werden braucht,
hineingehören. Diese Leute versuchen es z. B. zuerst einmal mit dem Mieter, und
wenn sie ein, höchstens zwei Jahre in einer Villa gewohnt haben, so ziehen sie
schimpfend und zeternd wieder in eine städtische Mietetage und lassen keine Ge¬
legenheit vorübergehen, ohne am Stammtisch und sonstwo über die nichts-
würdigen Villen und Villenbesitzer zu raisonniren; und fragt man den Vermieter,
mit dem sie zu thun gehabt haben, so versichert derselbe mit thränenden Augen (der
Fall ist uns buchstäblich vorgekommen), er würde, wenn er diese Vernachlässigung
an Hans und Garten hätte vorher sehen können, sein Grundstück lieber ein paar
Jahre haben leer stehen lassen. Hat der Mann sich gar hinreißen lassen, eine
Villa zu kaufen, so ist die Sache natürlich noch viel schlimmer; bei erster Ge¬
legenheit wird er mit Verlust wieder verkaufen und sich sein ganzes Leben lang
einbilden, ein Opfer falscher Vorspiegelungen geworden zu sein. Wer nicht an
der Sache selbst, ja wer nicht auch an den damit verbundnen Mühen und Sorgen
Freude hat, der eignet sich nicht zum Villenbewvhner und noch viel weniger
zum Villenbesitzer, und er bleibe doch im Interesse aller derer, die Freude daran
haben, davon weg.

Wir sind der Überzeugung, daß wir erst im Anfange einer Entwicklung
stehen, welche die Schattenseiten unsrer Großstädte und namentlich des Wohnens
in den großstädtischen Mietkasernen immer schärfer hervortreten lassen, und
welche überdies die Mietpreise immer weiter in die Höhe treiben wird; und
ebenso sind wir der Überzeugung, daß die sozialen Gefahren, welche die städtischen
und industriellen Mietkasernen mit sich führen, nicht nur für den Arbeiter,
sondern auch für andre Bevölkerungsklassen in stetiger, bedrohlicher Zunahme


Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

Ortswechsels die Notwendigkeit, zu verkaufen, zu sehr ans den Preis drücken
würde. Wo dieses Bedenken vorliegt, ist dasselbe ja (solange wir die Se. Simon-
schen Vvdentauschbauken noch nicht haben) vollständig berechtigt. Besonders schwer
fällt dasselbe für viele Arbeiter ins Gewicht, und man hat ja auch diese Seite
der Arbeiterwohnungs- und Arbeiterhausfrage niemals verkannt. Selbstverständ¬
lich kann es niemand beikommen, einen auf nur ephemere lokale Gewerbszweige
oder auf ein einzelnes Etablissement angewiesenen Arbeiter zum Ankauf eines
eignen Hauses veranlassen zu wollen, und selbst wo derartige Verhältnisse nicht
obwalten, wird man sehr oft dem Arbeiter am besten den Rat geben, sich seine
Bewegungsfreiheit zu bewahren und seine Ersparnisse in der Sparkasse zu lassen.
Aber bei alledem wird es zahlreiche Verhältnisse geben, wo die Wahrscheinlichkeit
des Verbleibens in einer Stadt eine so große ist, daß dieses Bedenken nicht
Platz zu greifen braucht.

Viel schwerer wiegt unsers Trachtens ein andres Bedenken. Immer wieder
finden sich Leute, welche sich einbilden, am Bewohnen einer Villa ungeheures
Pläsir zu finden, und denen doch nicht weniger wie alle Eigenschaften hierzu
abgehen, sondern die recht eigentlich in die Mietkasernen, deren Besitzer bei der
kleinsten vorzunehmenden Reparatur nur von ihnen angerufen zu werden braucht,
hineingehören. Diese Leute versuchen es z. B. zuerst einmal mit dem Mieter, und
wenn sie ein, höchstens zwei Jahre in einer Villa gewohnt haben, so ziehen sie
schimpfend und zeternd wieder in eine städtische Mietetage und lassen keine Ge¬
legenheit vorübergehen, ohne am Stammtisch und sonstwo über die nichts-
würdigen Villen und Villenbesitzer zu raisonniren; und fragt man den Vermieter,
mit dem sie zu thun gehabt haben, so versichert derselbe mit thränenden Augen (der
Fall ist uns buchstäblich vorgekommen), er würde, wenn er diese Vernachlässigung
an Hans und Garten hätte vorher sehen können, sein Grundstück lieber ein paar
Jahre haben leer stehen lassen. Hat der Mann sich gar hinreißen lassen, eine
Villa zu kaufen, so ist die Sache natürlich noch viel schlimmer; bei erster Ge¬
legenheit wird er mit Verlust wieder verkaufen und sich sein ganzes Leben lang
einbilden, ein Opfer falscher Vorspiegelungen geworden zu sein. Wer nicht an
der Sache selbst, ja wer nicht auch an den damit verbundnen Mühen und Sorgen
Freude hat, der eignet sich nicht zum Villenbewvhner und noch viel weniger
zum Villenbesitzer, und er bleibe doch im Interesse aller derer, die Freude daran
haben, davon weg.

Wir sind der Überzeugung, daß wir erst im Anfange einer Entwicklung
stehen, welche die Schattenseiten unsrer Großstädte und namentlich des Wohnens
in den großstädtischen Mietkasernen immer schärfer hervortreten lassen, und
welche überdies die Mietpreise immer weiter in die Höhe treiben wird; und
ebenso sind wir der Überzeugung, daß die sozialen Gefahren, welche die städtischen
und industriellen Mietkasernen mit sich führen, nicht nur für den Arbeiter,
sondern auch für andre Bevölkerungsklassen in stetiger, bedrohlicher Zunahme


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[0124] Einfamilienhäuser und großstädtische Villen. Ortswechsels die Notwendigkeit, zu verkaufen, zu sehr ans den Preis drücken würde. Wo dieses Bedenken vorliegt, ist dasselbe ja (solange wir die Se. Simon- schen Vvdentauschbauken noch nicht haben) vollständig berechtigt. Besonders schwer fällt dasselbe für viele Arbeiter ins Gewicht, und man hat ja auch diese Seite der Arbeiterwohnungs- und Arbeiterhausfrage niemals verkannt. Selbstverständ¬ lich kann es niemand beikommen, einen auf nur ephemere lokale Gewerbszweige oder auf ein einzelnes Etablissement angewiesenen Arbeiter zum Ankauf eines eignen Hauses veranlassen zu wollen, und selbst wo derartige Verhältnisse nicht obwalten, wird man sehr oft dem Arbeiter am besten den Rat geben, sich seine Bewegungsfreiheit zu bewahren und seine Ersparnisse in der Sparkasse zu lassen. Aber bei alledem wird es zahlreiche Verhältnisse geben, wo die Wahrscheinlichkeit des Verbleibens in einer Stadt eine so große ist, daß dieses Bedenken nicht Platz zu greifen braucht. Viel schwerer wiegt unsers Trachtens ein andres Bedenken. Immer wieder finden sich Leute, welche sich einbilden, am Bewohnen einer Villa ungeheures Pläsir zu finden, und denen doch nicht weniger wie alle Eigenschaften hierzu abgehen, sondern die recht eigentlich in die Mietkasernen, deren Besitzer bei der kleinsten vorzunehmenden Reparatur nur von ihnen angerufen zu werden braucht, hineingehören. Diese Leute versuchen es z. B. zuerst einmal mit dem Mieter, und wenn sie ein, höchstens zwei Jahre in einer Villa gewohnt haben, so ziehen sie schimpfend und zeternd wieder in eine städtische Mietetage und lassen keine Ge¬ legenheit vorübergehen, ohne am Stammtisch und sonstwo über die nichts- würdigen Villen und Villenbesitzer zu raisonniren; und fragt man den Vermieter, mit dem sie zu thun gehabt haben, so versichert derselbe mit thränenden Augen (der Fall ist uns buchstäblich vorgekommen), er würde, wenn er diese Vernachlässigung an Hans und Garten hätte vorher sehen können, sein Grundstück lieber ein paar Jahre haben leer stehen lassen. Hat der Mann sich gar hinreißen lassen, eine Villa zu kaufen, so ist die Sache natürlich noch viel schlimmer; bei erster Ge¬ legenheit wird er mit Verlust wieder verkaufen und sich sein ganzes Leben lang einbilden, ein Opfer falscher Vorspiegelungen geworden zu sein. Wer nicht an der Sache selbst, ja wer nicht auch an den damit verbundnen Mühen und Sorgen Freude hat, der eignet sich nicht zum Villenbewvhner und noch viel weniger zum Villenbesitzer, und er bleibe doch im Interesse aller derer, die Freude daran haben, davon weg. Wir sind der Überzeugung, daß wir erst im Anfange einer Entwicklung stehen, welche die Schattenseiten unsrer Großstädte und namentlich des Wohnens in den großstädtischen Mietkasernen immer schärfer hervortreten lassen, und welche überdies die Mietpreise immer weiter in die Höhe treiben wird; und ebenso sind wir der Überzeugung, daß die sozialen Gefahren, welche die städtischen und industriellen Mietkasernen mit sich führen, nicht nur für den Arbeiter, sondern auch für andre Bevölkerungsklassen in stetiger, bedrohlicher Zunahme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/124>, abgerufen am 22.07.2024.