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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

wohnend, das Haus in bestem Zustande, jedes Familienmitglied mit eignem
Zimmer, nichts fehlend, womit den Besonderheiten jeder Jahreszeit und Witte¬
rung begegnet und allem die beste Seite abgewonnen werden kann, üble Gerüche
so gut wie unbekannt, frische Luft stets und überall, herzerfreuende Eindrücke
auf Schritt und Tritt. Von niemandem wird in Abrede gestellt werden, daß
die Schlußfolgerung sich in das einfache Wort zusammenfassen läßt: jene
Arbeiterfamilie hat es schwer, diese Villenbesitzerfamilie aber leicht, ein Gott
und den Menschen wohlgefälliges Leben zu führen und gute künftige Glieder
der bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen. Man glaube aber nicht, daß unsre
Schilderung der Arbeiterinohnuug ein Schreckbild sei, welches doch nur auf
den "untersten Stufen" der bürgerlichen Gesellschaft, und selbst da nur unter
ungünstigen Umständen, begegne. Wäre es selbst so, so würde, falls eben diese
ungünstigen Umstände sehr hänfig vorkommen, damit nicht viel gewonnen sein;
es ist indessen Thatsache, daß unser Bild, wenn auch in blässeren Umrissen,
bis hoch hinauf in die Kreise unsrer Handwerker und kleinen Beamten eine
größere oder geringere Anwendung findet. Die Arbeiterfamilien, die mehr als
zwei Räume bewohnen und dieselben nicht mit Schlafburschen oder noch ärgeren
zu teilen genötigt sind, und in deren Wohnung nicht einige der oben angeführten
Übelstände heimisch sind, werden sich in unsern Städten einzeln auszählen lassen,
und es bleibt doch wahr, daß damit das Urteil nicht über einen kleinen Teil,
sondern ohne weiteres über die Masse unsrer Wohnungszustände gesprochen ist.
Aber bis verwandte, mehr oder weniger ähnliche Zustände aufhören, muß man
-- wie gesagt -- recht hoch hinaufgehen. Bis in die Kreise der Geheimen Räte
hinein kommen Wohnungen von drei Zimmern vor, denen immer noch einzelne
jener Schattenseiten ankleben, und die Handwerker, welche über diesen Bedarf
hinausgehen, sind gerade fo selten wie die Arbeiterfamilien, deren wir vorhin
gedachten. In Wahrheit bleiben also für die bessern Wohnungen immer nur
wenige Prozente übrig. Nun bedenke man aber wohl, daß diese großen
Schattenseiten unsrer Wohnungszustände mehr oder weniger Produkte der
Mietkasernen sind. Die Mietkaserne entspringt einer scharfen Ausnutzung des
Grund und Bodens, sie wurzelt also in den hohen Gruudstellenpreisen, und
sie stellt sich somit von vornherein als ein Ausdruck der Tendenz dar, die
Mietpreise in die Höhe zu schrauben. Darum müssen alle bescheidneren Fa¬
milien -- das heißt, die große, große Masse --- mehrere Treppen steigen und
sich mit wenigen und kleinen Räumen zufrieden geben. Die Mietkaserne hat
eine natürliche Neigung, einerseits massenhaft aufzutreten, anderseits in dem
verfügbaren Terrain möglichst wenig, wo irgend möglich gar nichts für Hof,
Einfahrt .>c. (von Garten ganz zu schweigen) übrig zu lassen; so entstehen jene
Steinwüsten, in denen felbst der Begünstigte vou seinen Fenstern aus nichts
mehr erblickt, als die Straße selbst und öde Hänserfronten, der weniger Be¬
günstigte aber nur Dächer und Schornsteine. Licht und Luft siud unter solchen


Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

wohnend, das Haus in bestem Zustande, jedes Familienmitglied mit eignem
Zimmer, nichts fehlend, womit den Besonderheiten jeder Jahreszeit und Witte¬
rung begegnet und allem die beste Seite abgewonnen werden kann, üble Gerüche
so gut wie unbekannt, frische Luft stets und überall, herzerfreuende Eindrücke
auf Schritt und Tritt. Von niemandem wird in Abrede gestellt werden, daß
die Schlußfolgerung sich in das einfache Wort zusammenfassen läßt: jene
Arbeiterfamilie hat es schwer, diese Villenbesitzerfamilie aber leicht, ein Gott
und den Menschen wohlgefälliges Leben zu führen und gute künftige Glieder
der bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen. Man glaube aber nicht, daß unsre
Schilderung der Arbeiterinohnuug ein Schreckbild sei, welches doch nur auf
den „untersten Stufen" der bürgerlichen Gesellschaft, und selbst da nur unter
ungünstigen Umständen, begegne. Wäre es selbst so, so würde, falls eben diese
ungünstigen Umstände sehr hänfig vorkommen, damit nicht viel gewonnen sein;
es ist indessen Thatsache, daß unser Bild, wenn auch in blässeren Umrissen,
bis hoch hinauf in die Kreise unsrer Handwerker und kleinen Beamten eine
größere oder geringere Anwendung findet. Die Arbeiterfamilien, die mehr als
zwei Räume bewohnen und dieselben nicht mit Schlafburschen oder noch ärgeren
zu teilen genötigt sind, und in deren Wohnung nicht einige der oben angeführten
Übelstände heimisch sind, werden sich in unsern Städten einzeln auszählen lassen,
und es bleibt doch wahr, daß damit das Urteil nicht über einen kleinen Teil,
sondern ohne weiteres über die Masse unsrer Wohnungszustände gesprochen ist.
Aber bis verwandte, mehr oder weniger ähnliche Zustände aufhören, muß man
— wie gesagt — recht hoch hinaufgehen. Bis in die Kreise der Geheimen Räte
hinein kommen Wohnungen von drei Zimmern vor, denen immer noch einzelne
jener Schattenseiten ankleben, und die Handwerker, welche über diesen Bedarf
hinausgehen, sind gerade fo selten wie die Arbeiterfamilien, deren wir vorhin
gedachten. In Wahrheit bleiben also für die bessern Wohnungen immer nur
wenige Prozente übrig. Nun bedenke man aber wohl, daß diese großen
Schattenseiten unsrer Wohnungszustände mehr oder weniger Produkte der
Mietkasernen sind. Die Mietkaserne entspringt einer scharfen Ausnutzung des
Grund und Bodens, sie wurzelt also in den hohen Gruudstellenpreisen, und
sie stellt sich somit von vornherein als ein Ausdruck der Tendenz dar, die
Mietpreise in die Höhe zu schrauben. Darum müssen alle bescheidneren Fa¬
milien — das heißt, die große, große Masse —- mehrere Treppen steigen und
sich mit wenigen und kleinen Räumen zufrieden geben. Die Mietkaserne hat
eine natürliche Neigung, einerseits massenhaft aufzutreten, anderseits in dem
verfügbaren Terrain möglichst wenig, wo irgend möglich gar nichts für Hof,
Einfahrt .>c. (von Garten ganz zu schweigen) übrig zu lassen; so entstehen jene
Steinwüsten, in denen felbst der Begünstigte vou seinen Fenstern aus nichts
mehr erblickt, als die Straße selbst und öde Hänserfronten, der weniger Be¬
günstigte aber nur Dächer und Schornsteine. Licht und Luft siud unter solchen


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[0117] Einfamilienhäuser und großstädtische Villen. wohnend, das Haus in bestem Zustande, jedes Familienmitglied mit eignem Zimmer, nichts fehlend, womit den Besonderheiten jeder Jahreszeit und Witte¬ rung begegnet und allem die beste Seite abgewonnen werden kann, üble Gerüche so gut wie unbekannt, frische Luft stets und überall, herzerfreuende Eindrücke auf Schritt und Tritt. Von niemandem wird in Abrede gestellt werden, daß die Schlußfolgerung sich in das einfache Wort zusammenfassen läßt: jene Arbeiterfamilie hat es schwer, diese Villenbesitzerfamilie aber leicht, ein Gott und den Menschen wohlgefälliges Leben zu führen und gute künftige Glieder der bürgerlichen Gesellschaft zu erziehen. Man glaube aber nicht, daß unsre Schilderung der Arbeiterinohnuug ein Schreckbild sei, welches doch nur auf den „untersten Stufen" der bürgerlichen Gesellschaft, und selbst da nur unter ungünstigen Umständen, begegne. Wäre es selbst so, so würde, falls eben diese ungünstigen Umstände sehr hänfig vorkommen, damit nicht viel gewonnen sein; es ist indessen Thatsache, daß unser Bild, wenn auch in blässeren Umrissen, bis hoch hinauf in die Kreise unsrer Handwerker und kleinen Beamten eine größere oder geringere Anwendung findet. Die Arbeiterfamilien, die mehr als zwei Räume bewohnen und dieselben nicht mit Schlafburschen oder noch ärgeren zu teilen genötigt sind, und in deren Wohnung nicht einige der oben angeführten Übelstände heimisch sind, werden sich in unsern Städten einzeln auszählen lassen, und es bleibt doch wahr, daß damit das Urteil nicht über einen kleinen Teil, sondern ohne weiteres über die Masse unsrer Wohnungszustände gesprochen ist. Aber bis verwandte, mehr oder weniger ähnliche Zustände aufhören, muß man — wie gesagt — recht hoch hinaufgehen. Bis in die Kreise der Geheimen Räte hinein kommen Wohnungen von drei Zimmern vor, denen immer noch einzelne jener Schattenseiten ankleben, und die Handwerker, welche über diesen Bedarf hinausgehen, sind gerade fo selten wie die Arbeiterfamilien, deren wir vorhin gedachten. In Wahrheit bleiben also für die bessern Wohnungen immer nur wenige Prozente übrig. Nun bedenke man aber wohl, daß diese großen Schattenseiten unsrer Wohnungszustände mehr oder weniger Produkte der Mietkasernen sind. Die Mietkaserne entspringt einer scharfen Ausnutzung des Grund und Bodens, sie wurzelt also in den hohen Gruudstellenpreisen, und sie stellt sich somit von vornherein als ein Ausdruck der Tendenz dar, die Mietpreise in die Höhe zu schrauben. Darum müssen alle bescheidneren Fa¬ milien — das heißt, die große, große Masse —- mehrere Treppen steigen und sich mit wenigen und kleinen Räumen zufrieden geben. Die Mietkaserne hat eine natürliche Neigung, einerseits massenhaft aufzutreten, anderseits in dem verfügbaren Terrain möglichst wenig, wo irgend möglich gar nichts für Hof, Einfahrt .>c. (von Garten ganz zu schweigen) übrig zu lassen; so entstehen jene Steinwüsten, in denen felbst der Begünstigte vou seinen Fenstern aus nichts mehr erblickt, als die Straße selbst und öde Hänserfronten, der weniger Be¬ günstigte aber nur Dächer und Schornsteine. Licht und Luft siud unter solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/117>, abgerufen am 22.07.2024.