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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

nicht daran vorbei kann, Gcmeindeeinwvhner zu sein -- an und für sich sehr
zuträglich wäre, zum eignen Interesse an den oben angeführten Dingen genötigt
zu sein, und daß es kein erfreuliches, sondern schon von diesem Standpunkte
aus ein recht bedauerliches Resultat des Mietwohnungswesens ist, den Leuten
alle mit jenen Dingen verbundenen Sorgen und Mühwaltungen prinzipiell ab¬
genommen und sie dadurch auch einem lebendigen Interesse an denselben entfremdet
zu sehen. Daß sie, jemehr ihnen demgemäß eignes Verständnis und Urteil ver¬
loren gegangen ist, umsomehr jener Demagogie zur Beute fallen, die sich
neuerdings auch auf kommunalen Gebiete vielfach so breit macht, mag neben¬
sächlich sein, ist aber jedenfalls kein Vorteil. Alles dies ist aber das wenigste;
das schlimmste liegt in dem Einflüsse, den das Mietwohnuugswesen zunächst
schon auf das Familienleben als solches, dann aber auch auf die geistige und ge¬
mütliche und nicht minder die körperliche und gesundheitliche Entwicklung der
Familienmitglieder notwendigerweise ausüben muß. Dieser Punkt wird am
besten als ein Ganzes aufgefaßt.

Man kann sagen, daß, wie der normale Mann sich eine Familie gründen,
so die Familie sich in Besitz und Genuß eines eignen Hauses setzen soll. Das
Familienleben kann doch in der That nur im eignen Hause zu voller Ent¬
faltung gelangen; nur da, wo die Familie in die zur Verfügung stehenden
Räume und die Nutzbarmachung derselben recht eigentlich hineinwächst, ist
die Wohnstätte der Vorstellungen würdig, welche einer hochgesteigertcn Kultur
entsprechen. Denn die Wohnung ist von dem Menschen und seinem ganzen
Sinn und Wesen noch viel weniger zu trennen als die Kleidung, weil die
selbständigen Eindrücke, welche sie fortwährend auf den Menschen übt, viel
zahlreicher und stärker sind. Wenn nun schon (wie gewiß niemand bestreiten
wird) in der Kleidung, in Stoff und Farbe, in Qualität, Schnitt, Differen-
zirung derselben, in dem öfteren oder selteneren Wechsel ?c. eine Summe von
Einwirkungen auf deu Träger liegt, so müssen sich offenbar die Einwirkungen
der Wohnung noch als ungleich vielseitigere und intensivere darstellen; und man
wird denn auch ohne Übertreibung sagen können, daß der Mensch in wesentlichen
Seiten seines Wesens nur eine Wiederspiegelung der ihn umgebenden Wohnungs¬
verhältnisse ist. Man nehme, um sich dies in voller Schärfe zu vergegenwär¬
tige", den denkbar größten Kontrast: auf der einen Seite die Arbeiterfamilie
in feuchtem Kellerloch oder in zugiger, undichter, kaum heizbarer Dachwohnung,
ohne irgend etwas Freundliches oder auch nur Uuterhaltlichcs, auf dem der
Blick einmal ruhen könnte, trotz des starken Luftwechsels von schlechten Dünsten
erfüllt, rauchig und stockig oder schwammig, aus einem, günstigenfalls aus zwei
Räumen bestehend, die aber (gleichviel, ob in der Familie erwachsene Mädchen
sind oder nicht) fast immer noch mit andern Personen geteilt werden müssen;
und auf der andern Seite eine Familie (die nicht einmal in glänzenden Ver¬
hältnissen zu leben braucht) eine in hübschem Garten stehende Villa allein be-


Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

nicht daran vorbei kann, Gcmeindeeinwvhner zu sein — an und für sich sehr
zuträglich wäre, zum eignen Interesse an den oben angeführten Dingen genötigt
zu sein, und daß es kein erfreuliches, sondern schon von diesem Standpunkte
aus ein recht bedauerliches Resultat des Mietwohnungswesens ist, den Leuten
alle mit jenen Dingen verbundenen Sorgen und Mühwaltungen prinzipiell ab¬
genommen und sie dadurch auch einem lebendigen Interesse an denselben entfremdet
zu sehen. Daß sie, jemehr ihnen demgemäß eignes Verständnis und Urteil ver¬
loren gegangen ist, umsomehr jener Demagogie zur Beute fallen, die sich
neuerdings auch auf kommunalen Gebiete vielfach so breit macht, mag neben¬
sächlich sein, ist aber jedenfalls kein Vorteil. Alles dies ist aber das wenigste;
das schlimmste liegt in dem Einflüsse, den das Mietwohnuugswesen zunächst
schon auf das Familienleben als solches, dann aber auch auf die geistige und ge¬
mütliche und nicht minder die körperliche und gesundheitliche Entwicklung der
Familienmitglieder notwendigerweise ausüben muß. Dieser Punkt wird am
besten als ein Ganzes aufgefaßt.

Man kann sagen, daß, wie der normale Mann sich eine Familie gründen,
so die Familie sich in Besitz und Genuß eines eignen Hauses setzen soll. Das
Familienleben kann doch in der That nur im eignen Hause zu voller Ent¬
faltung gelangen; nur da, wo die Familie in die zur Verfügung stehenden
Räume und die Nutzbarmachung derselben recht eigentlich hineinwächst, ist
die Wohnstätte der Vorstellungen würdig, welche einer hochgesteigertcn Kultur
entsprechen. Denn die Wohnung ist von dem Menschen und seinem ganzen
Sinn und Wesen noch viel weniger zu trennen als die Kleidung, weil die
selbständigen Eindrücke, welche sie fortwährend auf den Menschen übt, viel
zahlreicher und stärker sind. Wenn nun schon (wie gewiß niemand bestreiten
wird) in der Kleidung, in Stoff und Farbe, in Qualität, Schnitt, Differen-
zirung derselben, in dem öfteren oder selteneren Wechsel ?c. eine Summe von
Einwirkungen auf deu Träger liegt, so müssen sich offenbar die Einwirkungen
der Wohnung noch als ungleich vielseitigere und intensivere darstellen; und man
wird denn auch ohne Übertreibung sagen können, daß der Mensch in wesentlichen
Seiten seines Wesens nur eine Wiederspiegelung der ihn umgebenden Wohnungs¬
verhältnisse ist. Man nehme, um sich dies in voller Schärfe zu vergegenwär¬
tige», den denkbar größten Kontrast: auf der einen Seite die Arbeiterfamilie
in feuchtem Kellerloch oder in zugiger, undichter, kaum heizbarer Dachwohnung,
ohne irgend etwas Freundliches oder auch nur Uuterhaltlichcs, auf dem der
Blick einmal ruhen könnte, trotz des starken Luftwechsels von schlechten Dünsten
erfüllt, rauchig und stockig oder schwammig, aus einem, günstigenfalls aus zwei
Räumen bestehend, die aber (gleichviel, ob in der Familie erwachsene Mädchen
sind oder nicht) fast immer noch mit andern Personen geteilt werden müssen;
und auf der andern Seite eine Familie (die nicht einmal in glänzenden Ver¬
hältnissen zu leben braucht) eine in hübschem Garten stehende Villa allein be-


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[0116] Einfamilienhäuser und großstädtische Villen. nicht daran vorbei kann, Gcmeindeeinwvhner zu sein — an und für sich sehr zuträglich wäre, zum eignen Interesse an den oben angeführten Dingen genötigt zu sein, und daß es kein erfreuliches, sondern schon von diesem Standpunkte aus ein recht bedauerliches Resultat des Mietwohnungswesens ist, den Leuten alle mit jenen Dingen verbundenen Sorgen und Mühwaltungen prinzipiell ab¬ genommen und sie dadurch auch einem lebendigen Interesse an denselben entfremdet zu sehen. Daß sie, jemehr ihnen demgemäß eignes Verständnis und Urteil ver¬ loren gegangen ist, umsomehr jener Demagogie zur Beute fallen, die sich neuerdings auch auf kommunalen Gebiete vielfach so breit macht, mag neben¬ sächlich sein, ist aber jedenfalls kein Vorteil. Alles dies ist aber das wenigste; das schlimmste liegt in dem Einflüsse, den das Mietwohnuugswesen zunächst schon auf das Familienleben als solches, dann aber auch auf die geistige und ge¬ mütliche und nicht minder die körperliche und gesundheitliche Entwicklung der Familienmitglieder notwendigerweise ausüben muß. Dieser Punkt wird am besten als ein Ganzes aufgefaßt. Man kann sagen, daß, wie der normale Mann sich eine Familie gründen, so die Familie sich in Besitz und Genuß eines eignen Hauses setzen soll. Das Familienleben kann doch in der That nur im eignen Hause zu voller Ent¬ faltung gelangen; nur da, wo die Familie in die zur Verfügung stehenden Räume und die Nutzbarmachung derselben recht eigentlich hineinwächst, ist die Wohnstätte der Vorstellungen würdig, welche einer hochgesteigertcn Kultur entsprechen. Denn die Wohnung ist von dem Menschen und seinem ganzen Sinn und Wesen noch viel weniger zu trennen als die Kleidung, weil die selbständigen Eindrücke, welche sie fortwährend auf den Menschen übt, viel zahlreicher und stärker sind. Wenn nun schon (wie gewiß niemand bestreiten wird) in der Kleidung, in Stoff und Farbe, in Qualität, Schnitt, Differen- zirung derselben, in dem öfteren oder selteneren Wechsel ?c. eine Summe von Einwirkungen auf deu Träger liegt, so müssen sich offenbar die Einwirkungen der Wohnung noch als ungleich vielseitigere und intensivere darstellen; und man wird denn auch ohne Übertreibung sagen können, daß der Mensch in wesentlichen Seiten seines Wesens nur eine Wiederspiegelung der ihn umgebenden Wohnungs¬ verhältnisse ist. Man nehme, um sich dies in voller Schärfe zu vergegenwär¬ tige», den denkbar größten Kontrast: auf der einen Seite die Arbeiterfamilie in feuchtem Kellerloch oder in zugiger, undichter, kaum heizbarer Dachwohnung, ohne irgend etwas Freundliches oder auch nur Uuterhaltlichcs, auf dem der Blick einmal ruhen könnte, trotz des starken Luftwechsels von schlechten Dünsten erfüllt, rauchig und stockig oder schwammig, aus einem, günstigenfalls aus zwei Räumen bestehend, die aber (gleichviel, ob in der Familie erwachsene Mädchen sind oder nicht) fast immer noch mit andern Personen geteilt werden müssen; und auf der andern Seite eine Familie (die nicht einmal in glänzenden Ver¬ hältnissen zu leben braucht) eine in hübschem Garten stehende Villa allein be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/116>, abgerufen am 22.07.2024.