Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.Camoens. In den Straßen, die zum Hafen führten, wuchsen der Zustrom und das Ge¬ Luis Camoens befand sich unter diesen wenigen. Nach kurzer traum¬ Camoens. In den Straßen, die zum Hafen führten, wuchsen der Zustrom und das Ge¬ Luis Camoens befand sich unter diesen wenigen. Nach kurzer traum¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198822"/> <fw type="header" place="top"> Camoens.</fw><lb/> <p xml:id="ID_289" prev="#ID_288"> In den Straßen, die zum Hafen führten, wuchsen der Zustrom und das Ge¬<lb/> tümmel mit den vorrückenden Minuten, schon mußten sich die bewaffneten Schaaren,<lb/> welche wirklich den Einschifsungsplätzen zustrebten, mit Gewalt den Weg durch<lb/> die hemmenden, hin- und herwogenden Massen bahnen. Ehe noch die ersten<lb/> Sonnenstrahlen die Türme der Kirchen und die Mastspitzen der Flotte ver¬<lb/> goldeten, standen Bürger und Volk von Lissabon, die Tausende der zur Stadt<lb/> geströmten Landleute in dichten, undurchdringlichen Reihen zu beiden Seiten<lb/> der Allerheiligenkirche, in welcher das feierliche Hochamt vor der Einschiffung<lb/> des Königs stattfinden sollte und von deren Hauptportal bis zum Jnncnhafeu<lb/> ein breiter Raum durch Soldaten und die königlichen Trabanten freigehalten<lb/> wurde. Die Kirche, deren sämtliche Pforten weit offen standen, war noch leer,<lb/> nur wer zum kriegerischen Gefolge des Königs oder zum Hofe gehörte, hatte<lb/> hier Zutritt. Man sah von außen einzelne Gestalten zwischen den Säulen¬<lb/> reihen hingehen, sah Kirchendiener und Chorknaben still geschäftig sich bewegen.<lb/> Und während am Hafenqnai dröhnender Lärm von den Schiffen und den Hunderten<lb/> herüber- und hinüberschießender Boote erscholl, blickte die zusammengepreßte Menge<lb/> hier schweigsam, ernst und fast düster auf die Vorbereitungen zum Hochamt<lb/> wie zur Einschiffung, und starrte uach deu Männern, welche sich in den frei¬<lb/> gehaltenen Räumen frei bewegen konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_290" next="#ID_291"> Luis Camoens befand sich unter diesen wenigen. Nach kurzer traum¬<lb/> schwerer Ruhe hatte es ihn in aller Morgenfrühe aus seiner schweigsamen Woh¬<lb/> nung hinweg, am Palast vorüber, nach dem Hafen hinabgetrieben. Je näher<lb/> die entscheidende Stunde rückte, umso leidenschaftlicher bangte er ihr entgegen,<lb/> ihm war fieberisch heiß, und die frische Luft kühlte ihm die Stirn nur auf Augen¬<lb/> blicke. Er hatte, im Gedanken an die kirchliche Feier, an die erwartete Begegnung<lb/> mit der Herzogin von Vraganza und ihrer Pflegbefohlenen sich so stattlich gekleidet,<lb/> als er es vermochte, ließ sich aber jetzt, unbekümmert um Gewand und Schmuck,<lb/> zwischen den Haufen der Gaffer, der haftenden Schiffsleute und Lastträger hin-<lb/> und herschicken und suchte deu Standort am Ufer zu gewinnen, von dem ans<lb/> man das Königsschiff am besten wahrzunehmen vermochte. Er gab sich nicht<lb/> Rechenschaft, warum er so unablässig die mächtige Galeere im Auge hielt; selbst<lb/> als er sich auf das Zeichen besonnen hatte, welches ihm das Recht zum Eintritt<lb/> in die Kirche und in den freien Raum zwischen Kirche und Hafen gab, blickte<lb/> er von den Stufen des Portals hinab und über die dichtgcschaarten Tausende<lb/> hinweg, immer wieder nach dein glänzenden Schiffe, zu dem unaufhörlich Boote<lb/> mit hohen Lasten hinanfuhren. Als sich die Kirche zu füllen begann, trat Ca¬<lb/> moens ein und ging an den Schranken hin und wieder, hinter denen sich die<lb/> Sitze der Damen befanden. Jede Minute meinte er die Herzogin von Vraganza<lb/> und die Gräfin Palmeirim eintreten zu sehen, ein paar Sitze in der ersten<lb/> Reihe, die leer blieben, sah er bestimmt als die ihrigen an. Aber die wachsende<lb/> Unruhe ließ ihn nicht bleiben, er trat wieder hinaus, schritt aufs neue bis zum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Camoens.
In den Straßen, die zum Hafen führten, wuchsen der Zustrom und das Ge¬
tümmel mit den vorrückenden Minuten, schon mußten sich die bewaffneten Schaaren,
welche wirklich den Einschifsungsplätzen zustrebten, mit Gewalt den Weg durch
die hemmenden, hin- und herwogenden Massen bahnen. Ehe noch die ersten
Sonnenstrahlen die Türme der Kirchen und die Mastspitzen der Flotte ver¬
goldeten, standen Bürger und Volk von Lissabon, die Tausende der zur Stadt
geströmten Landleute in dichten, undurchdringlichen Reihen zu beiden Seiten
der Allerheiligenkirche, in welcher das feierliche Hochamt vor der Einschiffung
des Königs stattfinden sollte und von deren Hauptportal bis zum Jnncnhafeu
ein breiter Raum durch Soldaten und die königlichen Trabanten freigehalten
wurde. Die Kirche, deren sämtliche Pforten weit offen standen, war noch leer,
nur wer zum kriegerischen Gefolge des Königs oder zum Hofe gehörte, hatte
hier Zutritt. Man sah von außen einzelne Gestalten zwischen den Säulen¬
reihen hingehen, sah Kirchendiener und Chorknaben still geschäftig sich bewegen.
Und während am Hafenqnai dröhnender Lärm von den Schiffen und den Hunderten
herüber- und hinüberschießender Boote erscholl, blickte die zusammengepreßte Menge
hier schweigsam, ernst und fast düster auf die Vorbereitungen zum Hochamt
wie zur Einschiffung, und starrte uach deu Männern, welche sich in den frei¬
gehaltenen Räumen frei bewegen konnten.
Luis Camoens befand sich unter diesen wenigen. Nach kurzer traum¬
schwerer Ruhe hatte es ihn in aller Morgenfrühe aus seiner schweigsamen Woh¬
nung hinweg, am Palast vorüber, nach dem Hafen hinabgetrieben. Je näher
die entscheidende Stunde rückte, umso leidenschaftlicher bangte er ihr entgegen,
ihm war fieberisch heiß, und die frische Luft kühlte ihm die Stirn nur auf Augen¬
blicke. Er hatte, im Gedanken an die kirchliche Feier, an die erwartete Begegnung
mit der Herzogin von Vraganza und ihrer Pflegbefohlenen sich so stattlich gekleidet,
als er es vermochte, ließ sich aber jetzt, unbekümmert um Gewand und Schmuck,
zwischen den Haufen der Gaffer, der haftenden Schiffsleute und Lastträger hin-
und herschicken und suchte deu Standort am Ufer zu gewinnen, von dem ans
man das Königsschiff am besten wahrzunehmen vermochte. Er gab sich nicht
Rechenschaft, warum er so unablässig die mächtige Galeere im Auge hielt; selbst
als er sich auf das Zeichen besonnen hatte, welches ihm das Recht zum Eintritt
in die Kirche und in den freien Raum zwischen Kirche und Hafen gab, blickte
er von den Stufen des Portals hinab und über die dichtgcschaarten Tausende
hinweg, immer wieder nach dein glänzenden Schiffe, zu dem unaufhörlich Boote
mit hohen Lasten hinanfuhren. Als sich die Kirche zu füllen begann, trat Ca¬
moens ein und ging an den Schranken hin und wieder, hinter denen sich die
Sitze der Damen befanden. Jede Minute meinte er die Herzogin von Vraganza
und die Gräfin Palmeirim eintreten zu sehen, ein paar Sitze in der ersten
Reihe, die leer blieben, sah er bestimmt als die ihrigen an. Aber die wachsende
Unruhe ließ ihn nicht bleiben, er trat wieder hinaus, schritt aufs neue bis zum
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