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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Camoens.

brachte noch einen Scherz über die Lippen: Ihr seht, Manuel, bei Euch trifft
das spanische Sprichwort zu: Wem Gott den Weg bahnen will, dein schiebt er
selbst die Kiesel beiseite. Wie in Voraussicht des heutigen Tages seid Ihr
bei Esmcihs Taufe verhindert worden, ihr Pate zu sein -- jetzt wurde es
Euch Aufschub verursachen, wenn Ihr den Dispens des Bischofs bedürftet.

Schon die leicht hingeworfenen Worte waren ihm schwer geworden, das
helle, fröhliche Lachen seines alten Gefährten berührte ihn fast schmerzlich. Er
beherrschte seine Mienen und seine Lippen, wie kaum jemals zuvor, kein Mißlaut
sollte den Glücklichen diese Stunde stören. Doch fühlte er wohl, daß er nicht
lange solchen Zwang wider sich selbst zu üben vermöge. Als der Tag höher
stieg und Barreto sich anschickte, Esmah in ihre Zimmer znrückzngelcitcn und
selbst den Ritt zum Pfarrer von Collares anzutreten, atmete Camoens aus der
Tiefe seiner Brust auf, nie war ihm das Alleinsein nötiger gewesen als jetzt.
Er hatte, während des Frühmahls und mitten zwischen den Zukunftsplänen der
Verlobten, immer aufs neue nach Catarina Palmeirims Leben geforscht und
mehr vernommen, als die erzählende Esmah wußte und als er an Barreto
verriet. Er hatte, so oft er von den Brüdern hinwegblickte, das Gesicht Catarinas,
das Gesicht mit dem süßen, schwermütigen Ausdruck, bittend vor sich gesehen.
So schien es ihm wie eine Erlösung, daß er jetzt mit sich selbst und dem Sturme
in seinem Innern unter der Platane zurückblieb. Ritterlich küßte er Esmcihs
Hand und stammelte einen Glückwunsch, bei dem sie dankbar und doch befremdet
zu ihm aufsah, so stürmisch umarmte er den weggehenden Freund, daß es diesem
zu andrer Stunde wohl aufgefallen wäre. Unverwandt blickte er den beiden
durch den Garten und bis an den Eingang des Hauses nach, dann aber wandte
er sich schnell von den verschwindenden, aneinandergclehnten Gestalten ab und sagte
vor sich hin: Sie thun Recht, sie greifen nach dem Glücke, das ihnen wie eine
reife Frucht vom Baume fällt. Das Wüstenkind, die neue Nuth hat für sich -- der
Himmel weiß es -- das gute Teil erwählt. Barreto folgt seinein klaren Gestirn,
was zögere ich, dem meinigen zu folgen? Was habe ich seit Monden gethan, um
Catarina auch nur wissen zu lassen, daß ich in der Welt sei? Ich muß zuvor
frei werden, muß von hier hinweg! Was es auch koste, wie es auch ende, ich
will neben ihr stehen, sie soll mich nicht vermissen, wenn die Stunde kommt,
da sie meiner bedarf, wie Esmah hente Manuels!

Camoens sah noch einmal ans das Meer hinaus, doch andre Bilder standen
vor seinem Auge, als die leise an die Dünen anschlagende Flut und die bunten
Fischersegel beim Turme von Calhao de Corao. Jede Sehnsucht, jeden heißen
Wunsch des unbeglückten Mannes hatte das Erlebnis dieses Morgens in ihm
emporgestürmt. Er wollte selbst die nächste Stunde nicht mehr verlieren, ging
um den Secirtisch unter dem Palmenbaum zurück, riß ein Blatt aus der Schreib-
tafel, die er mit sich trug, und schrieb mit fliegendem Griffel die Zeilen an den
Herrn dieses Hauses, welche dieser in Camoens' seitherigen Gemach vorfinden


Camoens.

brachte noch einen Scherz über die Lippen: Ihr seht, Manuel, bei Euch trifft
das spanische Sprichwort zu: Wem Gott den Weg bahnen will, dein schiebt er
selbst die Kiesel beiseite. Wie in Voraussicht des heutigen Tages seid Ihr
bei Esmcihs Taufe verhindert worden, ihr Pate zu sein — jetzt wurde es
Euch Aufschub verursachen, wenn Ihr den Dispens des Bischofs bedürftet.

Schon die leicht hingeworfenen Worte waren ihm schwer geworden, das
helle, fröhliche Lachen seines alten Gefährten berührte ihn fast schmerzlich. Er
beherrschte seine Mienen und seine Lippen, wie kaum jemals zuvor, kein Mißlaut
sollte den Glücklichen diese Stunde stören. Doch fühlte er wohl, daß er nicht
lange solchen Zwang wider sich selbst zu üben vermöge. Als der Tag höher
stieg und Barreto sich anschickte, Esmah in ihre Zimmer znrückzngelcitcn und
selbst den Ritt zum Pfarrer von Collares anzutreten, atmete Camoens aus der
Tiefe seiner Brust auf, nie war ihm das Alleinsein nötiger gewesen als jetzt.
Er hatte, während des Frühmahls und mitten zwischen den Zukunftsplänen der
Verlobten, immer aufs neue nach Catarina Palmeirims Leben geforscht und
mehr vernommen, als die erzählende Esmah wußte und als er an Barreto
verriet. Er hatte, so oft er von den Brüdern hinwegblickte, das Gesicht Catarinas,
das Gesicht mit dem süßen, schwermütigen Ausdruck, bittend vor sich gesehen.
So schien es ihm wie eine Erlösung, daß er jetzt mit sich selbst und dem Sturme
in seinem Innern unter der Platane zurückblieb. Ritterlich küßte er Esmcihs
Hand und stammelte einen Glückwunsch, bei dem sie dankbar und doch befremdet
zu ihm aufsah, so stürmisch umarmte er den weggehenden Freund, daß es diesem
zu andrer Stunde wohl aufgefallen wäre. Unverwandt blickte er den beiden
durch den Garten und bis an den Eingang des Hauses nach, dann aber wandte
er sich schnell von den verschwindenden, aneinandergclehnten Gestalten ab und sagte
vor sich hin: Sie thun Recht, sie greifen nach dem Glücke, das ihnen wie eine
reife Frucht vom Baume fällt. Das Wüstenkind, die neue Nuth hat für sich — der
Himmel weiß es — das gute Teil erwählt. Barreto folgt seinein klaren Gestirn,
was zögere ich, dem meinigen zu folgen? Was habe ich seit Monden gethan, um
Catarina auch nur wissen zu lassen, daß ich in der Welt sei? Ich muß zuvor
frei werden, muß von hier hinweg! Was es auch koste, wie es auch ende, ich
will neben ihr stehen, sie soll mich nicht vermissen, wenn die Stunde kommt,
da sie meiner bedarf, wie Esmah hente Manuels!

Camoens sah noch einmal ans das Meer hinaus, doch andre Bilder standen
vor seinem Auge, als die leise an die Dünen anschlagende Flut und die bunten
Fischersegel beim Turme von Calhao de Corao. Jede Sehnsucht, jeden heißen
Wunsch des unbeglückten Mannes hatte das Erlebnis dieses Morgens in ihm
emporgestürmt. Er wollte selbst die nächste Stunde nicht mehr verlieren, ging
um den Secirtisch unter dem Palmenbaum zurück, riß ein Blatt aus der Schreib-
tafel, die er mit sich trug, und schrieb mit fliegendem Griffel die Zeilen an den
Herrn dieses Hauses, welche dieser in Camoens' seitherigen Gemach vorfinden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/645>, abgerufen am 27.12.2024.