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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Englische Gpcr in Berlin.

auch die dritte der führenden Kulturnationen in den erhabene" Wettkampf der
Zeit eintrittt, in den Kampf um die Operette des Tages.

Es ist fraglich, ob W. S. Gilbert, der englische Humorist, mit der Ver-
kcilmierung zufrieden sein wird, die der deutsche Übersetzer, ein Herr C. Carlotta,
schon im Inhaltsverzeichnisse seines Stückes "zart" angedeutet hat und im weiter"
Verlaufe immer energischer und grausamer durchführt. Es ist fraglich, ob er
ihm nicht die stolze Ausnahmestellung "Burlcsl-Oper" geschenkt hätte für eine
ruhige Übersetzung seines köstlich steifleinenen, hvlzschuittmäßigcn Kasperletheatcr-
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tho Nilciiäc". Aber es ist auch fraglich, ob Schulze und Müller, und Meder
und Cohn gleich gewußt hätten, wornu sie sich halten sollten bei diesem kurios
individuellen Operettentitel.

Knrios und individuell, das sind allerdings Begriffe, die mit der modernen
Operette nichts zu thun haben. Trivial und sensationell, das sind ihre Stich-
wörter. Und ist es nun nicht eine Erscheinung, fast noch kurioser und indivi¬
dueller als sie selbst, eine ganze kuriose und individuelle Operette? Es ist nur
gut, daß mau sie englisch giebt und so die wenigsten Opcretteukenuer, welche der
Kvllektivmiuistcrpvrtefeuillctouist und ein riesiges Litfaßsänlengcmälde eindeutigsten
Charakters angezogen hat, etwas davon verstehen. Bei ihrem Hasse gegen die
obengenannten Eigenschaften würden sie vielleicht den armen Mikado auspfeisen.
Dem kalauernden Übersetzer ist es zu danken, daß er sie etwas versöhnt hat.
So bleibt es den Freunden kuriosen Humors und individuellen Unsinns un¬
benommen, auch einmal auf der komischen Bühne ihre Rechnung zu finden.

Fast will es scheinen, als ob ihre Zahl nicht so gering wäre, wenn man
das volle Hcuis betrachtet lind die vielen Gesichter, die garnicht auf ein
Operettenparket zugeschnitten sind. Und auch das liebe Volk scheint ja seine
Rechnung zu finden, denn es lacht herzhaft über die grotesken Sprünge und
verzweifelten Grimassen der putzigen gelben Kerle in ihren prächtigen Schlaf¬
röcken. Es wird in dieser Beziehung des Guten etwas zu viel gethan, und eine
allzu gewissenhafte Gehcimratszeitung hat etwas Brandygcrnch darin gewittert.
Nun, meinetwegen. Es ist die Frage, was hier unangenehmer ist, Brandy oder
muffiges Patchvuli. Im Theater des Aristophanes wird es nicht immer nach
Bisam gerochen haben, sondern stellenweise sehr nach den Lieblingsgewllrzen des
Kerameikosphilisters, nach Lauch und Zwiebeln. Die komische Bühne, das ist
ja der einzige Ort, wo die Kunst hohen Stils in Berührung tritt mit der ganzen
Skala des Gemeinen. Sie spielt darauf drastisch und unbefangen, wie der ge¬
wöhnliche Spaßmacher, aber es ist ihre überlegne Meisterschaft, welche die schrillen,
unerquicklichen Töne in eine eigentümliche Beziehung bringt, sodaß daraus eine
Art Harmonie entsteht vou grotesker Erhabenheit, die selbst den gemeinsten Zu¬
hörer seltsam ergreift und ihn zwingt, inmitten seines naiven Behagens und
seiner stupiden Lustigkeit sich recht tief innerlich zu schämen.


Englische Gpcr in Berlin.

auch die dritte der führenden Kulturnationen in den erhabene» Wettkampf der
Zeit eintrittt, in den Kampf um die Operette des Tages.

Es ist fraglich, ob W. S. Gilbert, der englische Humorist, mit der Ver-
kcilmierung zufrieden sein wird, die der deutsche Übersetzer, ein Herr C. Carlotta,
schon im Inhaltsverzeichnisse seines Stückes „zart" angedeutet hat und im weiter»
Verlaufe immer energischer und grausamer durchführt. Es ist fraglich, ob er
ihm nicht die stolze Ausnahmestellung „Burlcsl-Oper" geschenkt hätte für eine
ruhige Übersetzung seines köstlich steifleinenen, hvlzschuittmäßigcn Kasperletheatcr-
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und Cohn gleich gewußt hätten, wornu sie sich halten sollten bei diesem kurios
individuellen Operettentitel.

Knrios und individuell, das sind allerdings Begriffe, die mit der modernen
Operette nichts zu thun haben. Trivial und sensationell, das sind ihre Stich-
wörter. Und ist es nun nicht eine Erscheinung, fast noch kurioser und indivi¬
dueller als sie selbst, eine ganze kuriose und individuelle Operette? Es ist nur
gut, daß mau sie englisch giebt und so die wenigsten Opcretteukenuer, welche der
Kvllektivmiuistcrpvrtefeuillctouist und ein riesiges Litfaßsänlengcmälde eindeutigsten
Charakters angezogen hat, etwas davon verstehen. Bei ihrem Hasse gegen die
obengenannten Eigenschaften würden sie vielleicht den armen Mikado auspfeisen.
Dem kalauernden Übersetzer ist es zu danken, daß er sie etwas versöhnt hat.
So bleibt es den Freunden kuriosen Humors und individuellen Unsinns un¬
benommen, auch einmal auf der komischen Bühne ihre Rechnung zu finden.

Fast will es scheinen, als ob ihre Zahl nicht so gering wäre, wenn man
das volle Hcuis betrachtet lind die vielen Gesichter, die garnicht auf ein
Operettenparket zugeschnitten sind. Und auch das liebe Volk scheint ja seine
Rechnung zu finden, denn es lacht herzhaft über die grotesken Sprünge und
verzweifelten Grimassen der putzigen gelben Kerle in ihren prächtigen Schlaf¬
röcken. Es wird in dieser Beziehung des Guten etwas zu viel gethan, und eine
allzu gewissenhafte Gehcimratszeitung hat etwas Brandygcrnch darin gewittert.
Nun, meinetwegen. Es ist die Frage, was hier unangenehmer ist, Brandy oder
muffiges Patchvuli. Im Theater des Aristophanes wird es nicht immer nach
Bisam gerochen haben, sondern stellenweise sehr nach den Lieblingsgewllrzen des
Kerameikosphilisters, nach Lauch und Zwiebeln. Die komische Bühne, das ist
ja der einzige Ort, wo die Kunst hohen Stils in Berührung tritt mit der ganzen
Skala des Gemeinen. Sie spielt darauf drastisch und unbefangen, wie der ge¬
wöhnliche Spaßmacher, aber es ist ihre überlegne Meisterschaft, welche die schrillen,
unerquicklichen Töne in eine eigentümliche Beziehung bringt, sodaß daraus eine
Art Harmonie entsteht vou grotesker Erhabenheit, die selbst den gemeinsten Zu¬
hörer seltsam ergreift und ihn zwingt, inmitten seines naiven Behagens und
seiner stupiden Lustigkeit sich recht tief innerlich zu schämen.


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[0629] Englische Gpcr in Berlin. auch die dritte der führenden Kulturnationen in den erhabene» Wettkampf der Zeit eintrittt, in den Kampf um die Operette des Tages. Es ist fraglich, ob W. S. Gilbert, der englische Humorist, mit der Ver- kcilmierung zufrieden sein wird, die der deutsche Übersetzer, ein Herr C. Carlotta, schon im Inhaltsverzeichnisse seines Stückes „zart" angedeutet hat und im weiter» Verlaufe immer energischer und grausamer durchführt. Es ist fraglich, ob er ihm nicht die stolze Ausnahmestellung „Burlcsl-Oper" geschenkt hätte für eine ruhige Übersetzung seines köstlich steifleinenen, hvlzschuittmäßigcn Kasperletheatcr- titcls: ^.u öutii'ol^ Uov s,na Orig'irw.1 ^-ixlmö8<z OpviÄ in too ^et« Liititlöä tho Nilciiäc». Aber es ist auch fraglich, ob Schulze und Müller, und Meder und Cohn gleich gewußt hätten, wornu sie sich halten sollten bei diesem kurios individuellen Operettentitel. Knrios und individuell, das sind allerdings Begriffe, die mit der modernen Operette nichts zu thun haben. Trivial und sensationell, das sind ihre Stich- wörter. Und ist es nun nicht eine Erscheinung, fast noch kurioser und indivi¬ dueller als sie selbst, eine ganze kuriose und individuelle Operette? Es ist nur gut, daß mau sie englisch giebt und so die wenigsten Opcretteukenuer, welche der Kvllektivmiuistcrpvrtefeuillctouist und ein riesiges Litfaßsänlengcmälde eindeutigsten Charakters angezogen hat, etwas davon verstehen. Bei ihrem Hasse gegen die obengenannten Eigenschaften würden sie vielleicht den armen Mikado auspfeisen. Dem kalauernden Übersetzer ist es zu danken, daß er sie etwas versöhnt hat. So bleibt es den Freunden kuriosen Humors und individuellen Unsinns un¬ benommen, auch einmal auf der komischen Bühne ihre Rechnung zu finden. Fast will es scheinen, als ob ihre Zahl nicht so gering wäre, wenn man das volle Hcuis betrachtet lind die vielen Gesichter, die garnicht auf ein Operettenparket zugeschnitten sind. Und auch das liebe Volk scheint ja seine Rechnung zu finden, denn es lacht herzhaft über die grotesken Sprünge und verzweifelten Grimassen der putzigen gelben Kerle in ihren prächtigen Schlaf¬ röcken. Es wird in dieser Beziehung des Guten etwas zu viel gethan, und eine allzu gewissenhafte Gehcimratszeitung hat etwas Brandygcrnch darin gewittert. Nun, meinetwegen. Es ist die Frage, was hier unangenehmer ist, Brandy oder muffiges Patchvuli. Im Theater des Aristophanes wird es nicht immer nach Bisam gerochen haben, sondern stellenweise sehr nach den Lieblingsgewllrzen des Kerameikosphilisters, nach Lauch und Zwiebeln. Die komische Bühne, das ist ja der einzige Ort, wo die Kunst hohen Stils in Berührung tritt mit der ganzen Skala des Gemeinen. Sie spielt darauf drastisch und unbefangen, wie der ge¬ wöhnliche Spaßmacher, aber es ist ihre überlegne Meisterschaft, welche die schrillen, unerquicklichen Töne in eine eigentümliche Beziehung bringt, sodaß daraus eine Art Harmonie entsteht vou grotesker Erhabenheit, die selbst den gemeinsten Zu¬ hörer seltsam ergreift und ihn zwingt, inmitten seines naiven Behagens und seiner stupiden Lustigkeit sich recht tief innerlich zu schämen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/629>, abgerufen am 25.08.2024.