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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Englische Gper in Berlin.

seine bessere Hälfte mit einem Jeddo-Cul behaftet sah, beiläufig gesagt, eine bei
dem herrschenden Extrem gar nicht so unwahrscheinliche NcaktionSkatastrvphe.
Kaltblütigere Naturen mochten sich zwar überlegen, daß die Kunde jeder be¬
stimmteren Physiognomie entbehre, daß zu den vielen Vorzügen des strebsamen
Fünfinsellandes auch das Fehlen der Leierkästen und somit der Operetten ge¬
höre, und daß, wenn selbst der "Bettelstndent" sich soweit vorgewagt haben sollte,
die neue Direktion des Wallnertheaters doch Austand nehmen würde, ihn in so
asiatischer Gestalt den Preis der Polin singen zu lassen. Denn die Polen,
reizbar wie sie sind, könnten sich an ihr rächen wie an Bismarck durch Nicht-
besuch der schlesischen Bäder, und wie sie lieber an der schrecklichsten Krankheit
sterben, als daß sie nach Neinerz oder Landeck gingen, so würden sie selbst bei
den schrecklichsten Qualen der Langenweile keinen Fuß mehr ins Walluertheater
setzen. Also die Sache war unwahrscheinlich, aber nicht geheuer schien sie doch.
Man fürchtet die Reklame, selbst wenn sie nichts bringt.

Nun, Enttäuschung ist unter Umständen eine sehr angenehme Überraschung,
und in diesem Sinne hat die bewußte japanische Opcrettcngesellschaft schließlich
wirklich angenehm überrascht. Sie entpuppte sich als eine durchaus nicht rckla-
menartige oder -bedürftige, Harm- und anspruchslose, ganz solide englische Opern-
gesellschaft, über deren Herkunft und Zusammensetzung zwar ein gewisses Dunkel
schwebt, die aber das Licht, in das sie plötzlich am kritischen Strande der Spree
getreten ist, garnicht zu scheuen braucht. Die Leutchen haben hier ein unge¬
wöhnliches Interesse erregt. Offenbares Wohlwollen ist ihnen von höchster
Stelle entgegengebracht worden, die Zeitungen haben sie durchweg ernst ge¬
nommen, man hört viel Lob, wenig Tadel, das trotz der Hitze ausverkaufte
Haus fehlt nicht, Dinge, die in ihrer Vereinigung -- im Sommer wenigstens --
ans etwas Ungewöhnliches schließen lassen. Sieht man näher zu, so findet man
die Erklärung doch nicht bloß in dem "Japan," wie der skeptische "Vollblnt-
berliner" (eine bedenkliche Zusammensetzung) nörgelnd bemerkt, sondern auch in
andern Momenten, deren Erörterung die Erscheinung dieser englischen Opern-
gesellschaft vielleicht über die Grenzen ihres Standquartieres hinaus dem deut¬
scheu Publikum interessant machen wird.

Mit dem "Japan" hatte es nämlich in gemisser Beziehung seine Richtig¬
keit, und wenn es auch keine wirklichen Japaner sind, wie sie sich im vorigen
Jahre draußen in der "Hygieine" so "ungeheuer echt" vorstellten, so sind es
wenigstens sehr gut nachgemachte, die da im Walluertheater den "Mikado" tra-
giren. Der ,,Mikado" ist nun zwar auch M orckiröl^ ^too s,na Orig'link ^gM-
uosL Oxorn, aber schon die Titelblattübersetzer haben daraus eine ganz unge¬
fährliche deutsche "Vurlcsk-Oper" gemacht. BnrlesbOpcr, da haben wir die Rubrik.
Ein Blick ins Personenverzeichnis: "Kvllektivministcrportefenilletoiüst"! An! sagt
Schulze zu Müller, und Meyer zu Cohn. Aber mit Befriedigung fühlen sie
sich orientirt. Eine neue Operette, eine englische Operette. Beweis, daß nun


Englische Gper in Berlin.

seine bessere Hälfte mit einem Jeddo-Cul behaftet sah, beiläufig gesagt, eine bei
dem herrschenden Extrem gar nicht so unwahrscheinliche NcaktionSkatastrvphe.
Kaltblütigere Naturen mochten sich zwar überlegen, daß die Kunde jeder be¬
stimmteren Physiognomie entbehre, daß zu den vielen Vorzügen des strebsamen
Fünfinsellandes auch das Fehlen der Leierkästen und somit der Operetten ge¬
höre, und daß, wenn selbst der „Bettelstndent" sich soweit vorgewagt haben sollte,
die neue Direktion des Wallnertheaters doch Austand nehmen würde, ihn in so
asiatischer Gestalt den Preis der Polin singen zu lassen. Denn die Polen,
reizbar wie sie sind, könnten sich an ihr rächen wie an Bismarck durch Nicht-
besuch der schlesischen Bäder, und wie sie lieber an der schrecklichsten Krankheit
sterben, als daß sie nach Neinerz oder Landeck gingen, so würden sie selbst bei
den schrecklichsten Qualen der Langenweile keinen Fuß mehr ins Walluertheater
setzen. Also die Sache war unwahrscheinlich, aber nicht geheuer schien sie doch.
Man fürchtet die Reklame, selbst wenn sie nichts bringt.

Nun, Enttäuschung ist unter Umständen eine sehr angenehme Überraschung,
und in diesem Sinne hat die bewußte japanische Opcrettcngesellschaft schließlich
wirklich angenehm überrascht. Sie entpuppte sich als eine durchaus nicht rckla-
menartige oder -bedürftige, Harm- und anspruchslose, ganz solide englische Opern-
gesellschaft, über deren Herkunft und Zusammensetzung zwar ein gewisses Dunkel
schwebt, die aber das Licht, in das sie plötzlich am kritischen Strande der Spree
getreten ist, garnicht zu scheuen braucht. Die Leutchen haben hier ein unge¬
wöhnliches Interesse erregt. Offenbares Wohlwollen ist ihnen von höchster
Stelle entgegengebracht worden, die Zeitungen haben sie durchweg ernst ge¬
nommen, man hört viel Lob, wenig Tadel, das trotz der Hitze ausverkaufte
Haus fehlt nicht, Dinge, die in ihrer Vereinigung — im Sommer wenigstens —
ans etwas Ungewöhnliches schließen lassen. Sieht man näher zu, so findet man
die Erklärung doch nicht bloß in dem „Japan," wie der skeptische „Vollblnt-
berliner" (eine bedenkliche Zusammensetzung) nörgelnd bemerkt, sondern auch in
andern Momenten, deren Erörterung die Erscheinung dieser englischen Opern-
gesellschaft vielleicht über die Grenzen ihres Standquartieres hinaus dem deut¬
scheu Publikum interessant machen wird.

Mit dem „Japan" hatte es nämlich in gemisser Beziehung seine Richtig¬
keit, und wenn es auch keine wirklichen Japaner sind, wie sie sich im vorigen
Jahre draußen in der „Hygieine" so „ungeheuer echt" vorstellten, so sind es
wenigstens sehr gut nachgemachte, die da im Walluertheater den „Mikado" tra-
giren. Der ,,Mikado" ist nun zwar auch M orckiröl^ ^too s,na Orig'link ^gM-
uosL Oxorn, aber schon die Titelblattübersetzer haben daraus eine ganz unge¬
fährliche deutsche „Vurlcsk-Oper" gemacht. BnrlesbOpcr, da haben wir die Rubrik.
Ein Blick ins Personenverzeichnis: „Kvllektivministcrportefenilletoiüst"! An! sagt
Schulze zu Müller, und Meyer zu Cohn. Aber mit Befriedigung fühlen sie
sich orientirt. Eine neue Operette, eine englische Operette. Beweis, daß nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/628>, abgerufen am 26.08.2024.