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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Uirche und der Staat.

ein selbständiger Organismus geworden ist. Allerdings wird sie von dem Landes¬
herrn in Preußen regiert, aber nur weil er Landesherr ist, nicht als Landes¬
herr. Das Kirchenregiment ist ein Annex, aber kein Bestandteil seiner Landes¬
hoheit. Die Hauptsache und die treibende Kraft bleibt stets der kirchliche Or¬
ganismus in seinen Synoden, die auf den Stufen vom Kreise zur Provinz und
zum ganzen Lande (Generalsynoden) mit den Vertretern des Regiments zusammen
zugleich gesetzgeberisch und verwaltend thätig sind und durch Räte und Aus¬
schüsse auch noch zwischen den Zeiten der Sessionen eine ständige Einwirkung
üben. Das ist viel, aber wir erinnern uns leicht, daß diese Ordnung nur dürf¬
tige Ausdehnung erhalten hat. Sie beherrscht nur die alten Provinzen Preußens,
nicht einmal ganz Preußen, und für die andern evangelischen Landeskirchen in
Deutschland oder für die sonstigen Evangelischen hat diese Gesetzgebung keine
Bedeutung, wiewohl ihr ein Blick auf die zukünftige Verbindung dieser andern
evangelischen Teile einverleibt ist.

Sodann ist natürlich auch der preußische Staat mit Hoheitsrechten der
evangelischen Kirche gegenüber ausgestattet worden, und am meisten gegen diese
dem Staate zugewiesenen Schutzgesetze und die dem konsistorialen Elemente ver¬
bliebene kirchliche Regierungsgewalt richten sich Wünsche wie die Hammerstein-
schen. Das ist, wie gesagt, vollkommen loyal. Es ist vollkommen möglich, daß
man in der Abgrenzung der staatlichen und konsistorial-kirchlichen Rechte gegen¬
über der kirchlichen Selbstverwaltung Mißgriffe macht, die ihre Berichtigung im
Laufe der Zeit durch die Wechselwirkung der entgegengesetzten Parteien finden
müssen. Aber das ist richtig, daß hierbei allgemeine Phrasen ohne großen Wert
sind. Sagt man bloß, man wünsche größere Freiheit und Selbständigkeit der
evangelischen Kirche und mehr Geld vom Staate zum Besten der evangelischen
Kirche, so ist das letztere sehr fremdartig und hat mit der katholischen sieg¬
reichen Kirchenpolitik nichts zu thun. Denn die Katholiken wollten ihre StantS-
gelder nur nicht verlieren, aber eine Erhöhung verlangten sie nicht, und die
erstgenannten Forderungen sind eben ganz inhaltslos, sodaß sie erst verständlich
werden durch die Andeutungen, man wolle die Vorbildung der evangelischen
Geistlichen durch die kirchliche Mitwirkung bei der Anstellung der Professoren
der Theologie sichern, anch durch Einrichtung von geistlichen Seminarien für
diesen Zweck wirken. Hat man solche bestimmte Pläne in einzelnen Desiderieu
vor sich, so läßt sich darüber sprechen. Vielleicht bildet sich eine evangelische
Zentrumspartei heraus, als Vertretung der Interessen der evangelischen Kirche
Preußens. Wir brauchen uns dabei noch weniger als die Katholiken durch den
Gedanken beengen zu lassen, daß eigentlich nur die Kleriker und ihre Versamm¬
lungen das kirchliche Interesse mit Einsicht vertreten können, denn bei uns ist
die Hierarchie nicht mit besondern Privilegien gegenüber den Laien ausgestattet.



D. Red. Man vergleiche Hiernut die Ausführungen des zweiten Artikels.
Die evangelische Uirche und der Staat.

ein selbständiger Organismus geworden ist. Allerdings wird sie von dem Landes¬
herrn in Preußen regiert, aber nur weil er Landesherr ist, nicht als Landes¬
herr. Das Kirchenregiment ist ein Annex, aber kein Bestandteil seiner Landes¬
hoheit. Die Hauptsache und die treibende Kraft bleibt stets der kirchliche Or¬
ganismus in seinen Synoden, die auf den Stufen vom Kreise zur Provinz und
zum ganzen Lande (Generalsynoden) mit den Vertretern des Regiments zusammen
zugleich gesetzgeberisch und verwaltend thätig sind und durch Räte und Aus¬
schüsse auch noch zwischen den Zeiten der Sessionen eine ständige Einwirkung
üben. Das ist viel, aber wir erinnern uns leicht, daß diese Ordnung nur dürf¬
tige Ausdehnung erhalten hat. Sie beherrscht nur die alten Provinzen Preußens,
nicht einmal ganz Preußen, und für die andern evangelischen Landeskirchen in
Deutschland oder für die sonstigen Evangelischen hat diese Gesetzgebung keine
Bedeutung, wiewohl ihr ein Blick auf die zukünftige Verbindung dieser andern
evangelischen Teile einverleibt ist.

Sodann ist natürlich auch der preußische Staat mit Hoheitsrechten der
evangelischen Kirche gegenüber ausgestattet worden, und am meisten gegen diese
dem Staate zugewiesenen Schutzgesetze und die dem konsistorialen Elemente ver¬
bliebene kirchliche Regierungsgewalt richten sich Wünsche wie die Hammerstein-
schen. Das ist, wie gesagt, vollkommen loyal. Es ist vollkommen möglich, daß
man in der Abgrenzung der staatlichen und konsistorial-kirchlichen Rechte gegen¬
über der kirchlichen Selbstverwaltung Mißgriffe macht, die ihre Berichtigung im
Laufe der Zeit durch die Wechselwirkung der entgegengesetzten Parteien finden
müssen. Aber das ist richtig, daß hierbei allgemeine Phrasen ohne großen Wert
sind. Sagt man bloß, man wünsche größere Freiheit und Selbständigkeit der
evangelischen Kirche und mehr Geld vom Staate zum Besten der evangelischen
Kirche, so ist das letztere sehr fremdartig und hat mit der katholischen sieg¬
reichen Kirchenpolitik nichts zu thun. Denn die Katholiken wollten ihre StantS-
gelder nur nicht verlieren, aber eine Erhöhung verlangten sie nicht, und die
erstgenannten Forderungen sind eben ganz inhaltslos, sodaß sie erst verständlich
werden durch die Andeutungen, man wolle die Vorbildung der evangelischen
Geistlichen durch die kirchliche Mitwirkung bei der Anstellung der Professoren
der Theologie sichern, anch durch Einrichtung von geistlichen Seminarien für
diesen Zweck wirken. Hat man solche bestimmte Pläne in einzelnen Desiderieu
vor sich, so läßt sich darüber sprechen. Vielleicht bildet sich eine evangelische
Zentrumspartei heraus, als Vertretung der Interessen der evangelischen Kirche
Preußens. Wir brauchen uns dabei noch weniger als die Katholiken durch den
Gedanken beengen zu lassen, daß eigentlich nur die Kleriker und ihre Versamm¬
lungen das kirchliche Interesse mit Einsicht vertreten können, denn bei uns ist
die Hierarchie nicht mit besondern Privilegien gegenüber den Laien ausgestattet.



D. Red. Man vergleiche Hiernut die Ausführungen des zweiten Artikels.
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[0611] Die evangelische Uirche und der Staat. ein selbständiger Organismus geworden ist. Allerdings wird sie von dem Landes¬ herrn in Preußen regiert, aber nur weil er Landesherr ist, nicht als Landes¬ herr. Das Kirchenregiment ist ein Annex, aber kein Bestandteil seiner Landes¬ hoheit. Die Hauptsache und die treibende Kraft bleibt stets der kirchliche Or¬ ganismus in seinen Synoden, die auf den Stufen vom Kreise zur Provinz und zum ganzen Lande (Generalsynoden) mit den Vertretern des Regiments zusammen zugleich gesetzgeberisch und verwaltend thätig sind und durch Räte und Aus¬ schüsse auch noch zwischen den Zeiten der Sessionen eine ständige Einwirkung üben. Das ist viel, aber wir erinnern uns leicht, daß diese Ordnung nur dürf¬ tige Ausdehnung erhalten hat. Sie beherrscht nur die alten Provinzen Preußens, nicht einmal ganz Preußen, und für die andern evangelischen Landeskirchen in Deutschland oder für die sonstigen Evangelischen hat diese Gesetzgebung keine Bedeutung, wiewohl ihr ein Blick auf die zukünftige Verbindung dieser andern evangelischen Teile einverleibt ist. Sodann ist natürlich auch der preußische Staat mit Hoheitsrechten der evangelischen Kirche gegenüber ausgestattet worden, und am meisten gegen diese dem Staate zugewiesenen Schutzgesetze und die dem konsistorialen Elemente ver¬ bliebene kirchliche Regierungsgewalt richten sich Wünsche wie die Hammerstein- schen. Das ist, wie gesagt, vollkommen loyal. Es ist vollkommen möglich, daß man in der Abgrenzung der staatlichen und konsistorial-kirchlichen Rechte gegen¬ über der kirchlichen Selbstverwaltung Mißgriffe macht, die ihre Berichtigung im Laufe der Zeit durch die Wechselwirkung der entgegengesetzten Parteien finden müssen. Aber das ist richtig, daß hierbei allgemeine Phrasen ohne großen Wert sind. Sagt man bloß, man wünsche größere Freiheit und Selbständigkeit der evangelischen Kirche und mehr Geld vom Staate zum Besten der evangelischen Kirche, so ist das letztere sehr fremdartig und hat mit der katholischen sieg¬ reichen Kirchenpolitik nichts zu thun. Denn die Katholiken wollten ihre StantS- gelder nur nicht verlieren, aber eine Erhöhung verlangten sie nicht, und die erstgenannten Forderungen sind eben ganz inhaltslos, sodaß sie erst verständlich werden durch die Andeutungen, man wolle die Vorbildung der evangelischen Geistlichen durch die kirchliche Mitwirkung bei der Anstellung der Professoren der Theologie sichern, anch durch Einrichtung von geistlichen Seminarien für diesen Zweck wirken. Hat man solche bestimmte Pläne in einzelnen Desiderieu vor sich, so läßt sich darüber sprechen. Vielleicht bildet sich eine evangelische Zentrumspartei heraus, als Vertretung der Interessen der evangelischen Kirche Preußens. Wir brauchen uns dabei noch weniger als die Katholiken durch den Gedanken beengen zu lassen, daß eigentlich nur die Kleriker und ihre Versamm¬ lungen das kirchliche Interesse mit Einsicht vertreten können, denn bei uns ist die Hierarchie nicht mit besondern Privilegien gegenüber den Laien ausgestattet. D. Red. Man vergleiche Hiernut die Ausführungen des zweiten Artikels.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/611>, abgerufen am 29.12.2024.