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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

dem Programm Salisburys: ein paar Jahrzehnte ZwcmgSgcsetze in Irland und
kräftige Beförderung der Auswanderung des keltisch-katholischen Elements auf
Kosten des Staates, wird es kaum gehen. Auch hieße das die Feinde Englands
in Nordamerika verdoppeln, die jetzt schon zahlreich und stark genug sind.

Es sieht gegenwärtig aus, als wollte das englische Parteileben sich um¬
gestalten, jedenfalls zeigen die alten Gebilde desselben Risse und Spalten,
welche sich kaum wieder schließen lassen werden, und vielleicht hat der Streit
um Irland schon das Wort emporgehoben, um das die sich trennenden Elemente
sich neu gruppiren werden, wo nicht für die Dauer, doch für die nächste Zeit.
Allerdings gehen solche Auflösungen und Neubildungen in England langsam
vor sich. Die beiden Hauptparteien halten mehr oder minder zäh ihre alten
Namen fest. Wenn Lord Churchill sich oft als Tory bezeichnet, fo folgt er
dem Beispiele Veacousfields, der seinen guten Grund dazu hatte; denn er hatte
als Mr. Disraeli in Romanen und öffentlichen Reden den Konservatismus,
wie Peel seine Milderung des alten Tory-Kredos getauft hatte, nicht selten ver¬
spottet. Er ging deshalb auf die alte Bezeichnung zurück, die überdies, da sie
eigentlich nichts mehr sagte, elastischer war und jede unverhoffte Entwicklung
decken konnte. Als z. B. 1867 eine Reformbill, die viel weiter als die von
den Liberalen vorgeschlagne ging, nicht wohl von einer konservativen Negierung
kommen konnte, stützte sich Disraeli aus die paradoxe Behauptung, die Tories
wären bisher stets die nationale und auf das Wohl des Volkes bedachte Partei
gewesen und sollten auch fernerhin so aufgefaßt werden. Indes hatte dies bisher
nur teilweise Erfolg. Es giebt in England keine "toryistischen" Vereine, und kein
Wahlkandidat nennt sich einen "Tory," wogegen man zahlreichen "konservativen"
Klubs und "konstitutionellen" Vereinigungen begegnet, welche alle dieselben
Politiker einschließen, die Salisbury gelegentlich als Tories anredet. Stets aber
wechseln die drei Bezeichnungen, als ob die Partei, die sie gebraucht, nicht recht
wüßte, welche sie wählen sollte. Ihre Gegner waren bisher besser daran: der
große liberale Regenschirm vereinigte bis vor kurzem eine Gruppe sehr ver-
schiedner Geister unter sich: alte Whigs, denen Lord Nandolph Churchill ein
Revolutionär war, stramme Fortschrittsfreunde altmodischen Charakters, Volks-
wirtschaftlcr mit streng freihändlerischen Grundsätzen nach jeder Beziehung hin,
Fürsprecher für Landverteilung, Verteidiger des Home Rule und einen Schweif
von Radikalen, denen das Recht der großen Gnmdeigcntümcr, das Oberhaus
und die Staatskirche als ebensoviele Greuel erscheinen. Heutzutage aber ver¬
einigt das Wort "liberal" so wenig mehr, daß man es garnicht mehr anwenden
sollte. Es kann jetzt einen Homeruler, einen Mann, der mit Gladstone blind¬
lings dnrch Dick und Dünn geht, einen Parnelliten, einen gemäßigten Separatisten
bezeichnen, anderseits aber auch einen Whig, einen liberalen Unionistcn, einen
Radikalen von Chamberlains Farbe und einen, dem Brights Ansichten besser
zusagen. Diese Zersetzung hat einzig und allem die irische Bill hervorgerufen.


Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

dem Programm Salisburys: ein paar Jahrzehnte ZwcmgSgcsetze in Irland und
kräftige Beförderung der Auswanderung des keltisch-katholischen Elements auf
Kosten des Staates, wird es kaum gehen. Auch hieße das die Feinde Englands
in Nordamerika verdoppeln, die jetzt schon zahlreich und stark genug sind.

Es sieht gegenwärtig aus, als wollte das englische Parteileben sich um¬
gestalten, jedenfalls zeigen die alten Gebilde desselben Risse und Spalten,
welche sich kaum wieder schließen lassen werden, und vielleicht hat der Streit
um Irland schon das Wort emporgehoben, um das die sich trennenden Elemente
sich neu gruppiren werden, wo nicht für die Dauer, doch für die nächste Zeit.
Allerdings gehen solche Auflösungen und Neubildungen in England langsam
vor sich. Die beiden Hauptparteien halten mehr oder minder zäh ihre alten
Namen fest. Wenn Lord Churchill sich oft als Tory bezeichnet, fo folgt er
dem Beispiele Veacousfields, der seinen guten Grund dazu hatte; denn er hatte
als Mr. Disraeli in Romanen und öffentlichen Reden den Konservatismus,
wie Peel seine Milderung des alten Tory-Kredos getauft hatte, nicht selten ver¬
spottet. Er ging deshalb auf die alte Bezeichnung zurück, die überdies, da sie
eigentlich nichts mehr sagte, elastischer war und jede unverhoffte Entwicklung
decken konnte. Als z. B. 1867 eine Reformbill, die viel weiter als die von
den Liberalen vorgeschlagne ging, nicht wohl von einer konservativen Negierung
kommen konnte, stützte sich Disraeli aus die paradoxe Behauptung, die Tories
wären bisher stets die nationale und auf das Wohl des Volkes bedachte Partei
gewesen und sollten auch fernerhin so aufgefaßt werden. Indes hatte dies bisher
nur teilweise Erfolg. Es giebt in England keine „toryistischen" Vereine, und kein
Wahlkandidat nennt sich einen „Tory," wogegen man zahlreichen „konservativen"
Klubs und „konstitutionellen" Vereinigungen begegnet, welche alle dieselben
Politiker einschließen, die Salisbury gelegentlich als Tories anredet. Stets aber
wechseln die drei Bezeichnungen, als ob die Partei, die sie gebraucht, nicht recht
wüßte, welche sie wählen sollte. Ihre Gegner waren bisher besser daran: der
große liberale Regenschirm vereinigte bis vor kurzem eine Gruppe sehr ver-
schiedner Geister unter sich: alte Whigs, denen Lord Nandolph Churchill ein
Revolutionär war, stramme Fortschrittsfreunde altmodischen Charakters, Volks-
wirtschaftlcr mit streng freihändlerischen Grundsätzen nach jeder Beziehung hin,
Fürsprecher für Landverteilung, Verteidiger des Home Rule und einen Schweif
von Radikalen, denen das Recht der großen Gnmdeigcntümcr, das Oberhaus
und die Staatskirche als ebensoviele Greuel erscheinen. Heutzutage aber ver¬
einigt das Wort „liberal" so wenig mehr, daß man es garnicht mehr anwenden
sollte. Es kann jetzt einen Homeruler, einen Mann, der mit Gladstone blind¬
lings dnrch Dick und Dünn geht, einen Parnelliten, einen gemäßigten Separatisten
bezeichnen, anderseits aber auch einen Whig, einen liberalen Unionistcn, einen
Radikalen von Chamberlains Farbe und einen, dem Brights Ansichten besser
zusagen. Diese Zersetzung hat einzig und allem die irische Bill hervorgerufen.


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[0587] Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England. dem Programm Salisburys: ein paar Jahrzehnte ZwcmgSgcsetze in Irland und kräftige Beförderung der Auswanderung des keltisch-katholischen Elements auf Kosten des Staates, wird es kaum gehen. Auch hieße das die Feinde Englands in Nordamerika verdoppeln, die jetzt schon zahlreich und stark genug sind. Es sieht gegenwärtig aus, als wollte das englische Parteileben sich um¬ gestalten, jedenfalls zeigen die alten Gebilde desselben Risse und Spalten, welche sich kaum wieder schließen lassen werden, und vielleicht hat der Streit um Irland schon das Wort emporgehoben, um das die sich trennenden Elemente sich neu gruppiren werden, wo nicht für die Dauer, doch für die nächste Zeit. Allerdings gehen solche Auflösungen und Neubildungen in England langsam vor sich. Die beiden Hauptparteien halten mehr oder minder zäh ihre alten Namen fest. Wenn Lord Churchill sich oft als Tory bezeichnet, fo folgt er dem Beispiele Veacousfields, der seinen guten Grund dazu hatte; denn er hatte als Mr. Disraeli in Romanen und öffentlichen Reden den Konservatismus, wie Peel seine Milderung des alten Tory-Kredos getauft hatte, nicht selten ver¬ spottet. Er ging deshalb auf die alte Bezeichnung zurück, die überdies, da sie eigentlich nichts mehr sagte, elastischer war und jede unverhoffte Entwicklung decken konnte. Als z. B. 1867 eine Reformbill, die viel weiter als die von den Liberalen vorgeschlagne ging, nicht wohl von einer konservativen Negierung kommen konnte, stützte sich Disraeli aus die paradoxe Behauptung, die Tories wären bisher stets die nationale und auf das Wohl des Volkes bedachte Partei gewesen und sollten auch fernerhin so aufgefaßt werden. Indes hatte dies bisher nur teilweise Erfolg. Es giebt in England keine „toryistischen" Vereine, und kein Wahlkandidat nennt sich einen „Tory," wogegen man zahlreichen „konservativen" Klubs und „konstitutionellen" Vereinigungen begegnet, welche alle dieselben Politiker einschließen, die Salisbury gelegentlich als Tories anredet. Stets aber wechseln die drei Bezeichnungen, als ob die Partei, die sie gebraucht, nicht recht wüßte, welche sie wählen sollte. Ihre Gegner waren bisher besser daran: der große liberale Regenschirm vereinigte bis vor kurzem eine Gruppe sehr ver- schiedner Geister unter sich: alte Whigs, denen Lord Nandolph Churchill ein Revolutionär war, stramme Fortschrittsfreunde altmodischen Charakters, Volks- wirtschaftlcr mit streng freihändlerischen Grundsätzen nach jeder Beziehung hin, Fürsprecher für Landverteilung, Verteidiger des Home Rule und einen Schweif von Radikalen, denen das Recht der großen Gnmdeigcntümcr, das Oberhaus und die Staatskirche als ebensoviele Greuel erscheinen. Heutzutage aber ver¬ einigt das Wort „liberal" so wenig mehr, daß man es garnicht mehr anwenden sollte. Es kann jetzt einen Homeruler, einen Mann, der mit Gladstone blind¬ lings dnrch Dick und Dünn geht, einen Parnelliten, einen gemäßigten Separatisten bezeichnen, anderseits aber auch einen Whig, einen liberalen Unionistcn, einen Radikalen von Chamberlains Farbe und einen, dem Brights Ansichten besser zusagen. Diese Zersetzung hat einzig und allem die irische Bill hervorgerufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/587>, abgerufen am 25.07.2024.