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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

es nicht an hervorragenden Künstlern fehlt, die, auf einem andern, zum Teil
völlig entgegengesetzten Standpunkte fußend, rüstig weiter arbeiten.

Die Berliner Jnbiläumsausstellung bietet uns zur Beurteilung dieser Be¬
strebungen ein mannichfaltiges Material. Pfannschmidt, wohl der letzte der
noch thätigen Corneliusschüler, hat zwei Lünettenkompositionen: "Die Grablegung
Christi" und "Die Frauen am Grabe Christi" ausgestellt, welche als Zeichnungen
hohe Achtung verdienen, aber durch die unglückliche Bnntfärbung das Verdienst
der Zeichnung wieder völlig aufheben. Georg Papperitz und Ludwig Thiersch
in München haben jeder eine Kreuztragung Christi gemalt und zwar in dem
Moment, wo der Heiland unter der Last des Kreuzes zusammenbricht und die
Frauen wehklagend seine Not zu lindern suchen. Es sind sehr ernsthafte, aber
ziemlich lahme Nachahmungen venezianischer und andrer italienischer Muster.
Des Polen Siemiradzti "Christus bei Maria und Martha" dient nur zum
Vorwande für ein trauliches Zwiegespräch im Garten, durch dessen Laubdach
die Sonne ihre goldnen Ringe herabsendet und auf Gesichtern und Gewändern
tanzen läßt. Das ist koloristisch sehr schön veranschaulicht, aber im Grnnde
uur ein Gaukelspiel, das keine ernste Beachtung verdient. Defreggers lebens¬
große Madonna mit dem Kinde, welche, in weißem Gewände und schwarzem
Kopfschlcier, zwischen Cherubim in den Wolken schwebt, ist weder durch ihre
Persönlichkeit, noch durch ihre malerische Behandlung anziehend genug, um ein
größeres Interesse hervorzurufen, als es durch den bekannten Namen ihres Ur¬
hebers bedingt ist. Der gekreuzigte Heiland von Gabriel Max, zu dessen Füßen
ein halbes Dutzend gerungener Hände, die Symbole der crlösungsbedürftigcn
Menschheit, sichtbar siud, ist ein so bizarres Experiment des spiritualistischen
Malers, daß man sich auf eine ernsthafte Diskussion nicht einlassen kann, zumal
da die abgeschnittenen Hände unter keinen Umständen ästhetisch zu rechtfertigen sind.
Nur ein Gemälde des aus Wien gebintigeu Alexander Götz: "Christus und die
Frauen," ein Gespräch des Heilands mit drei Jungfrauen am Brunnen, giebt
die Hoffnung, daß sich neben der naturalistischen Auffassung biblischer Motive
auch bereits die idealistisch-siilisirende nen zu entwickeln beginnt. Die vier Ge¬
stalten sind groß gedacht, frei behandelt und bei engem Anschluß an die Nainr
doch zu vornehmer Schönheit geadelt. Man wird a" Anselm Feuerbach erinnert.
Nur ist das Kolorit wärmer, goldiger, fast in der Weise der Venezianer, auf
welche auch die ganze Formenbildung hinweist. Dieses Bild zeigt auf den Weg,
auf welchem auch der Naturalismus zum Stil gelangen kann.


Adolf Rosenberg.


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

es nicht an hervorragenden Künstlern fehlt, die, auf einem andern, zum Teil
völlig entgegengesetzten Standpunkte fußend, rüstig weiter arbeiten.

Die Berliner Jnbiläumsausstellung bietet uns zur Beurteilung dieser Be¬
strebungen ein mannichfaltiges Material. Pfannschmidt, wohl der letzte der
noch thätigen Corneliusschüler, hat zwei Lünettenkompositionen: „Die Grablegung
Christi" und „Die Frauen am Grabe Christi" ausgestellt, welche als Zeichnungen
hohe Achtung verdienen, aber durch die unglückliche Bnntfärbung das Verdienst
der Zeichnung wieder völlig aufheben. Georg Papperitz und Ludwig Thiersch
in München haben jeder eine Kreuztragung Christi gemalt und zwar in dem
Moment, wo der Heiland unter der Last des Kreuzes zusammenbricht und die
Frauen wehklagend seine Not zu lindern suchen. Es sind sehr ernsthafte, aber
ziemlich lahme Nachahmungen venezianischer und andrer italienischer Muster.
Des Polen Siemiradzti „Christus bei Maria und Martha" dient nur zum
Vorwande für ein trauliches Zwiegespräch im Garten, durch dessen Laubdach
die Sonne ihre goldnen Ringe herabsendet und auf Gesichtern und Gewändern
tanzen läßt. Das ist koloristisch sehr schön veranschaulicht, aber im Grnnde
uur ein Gaukelspiel, das keine ernste Beachtung verdient. Defreggers lebens¬
große Madonna mit dem Kinde, welche, in weißem Gewände und schwarzem
Kopfschlcier, zwischen Cherubim in den Wolken schwebt, ist weder durch ihre
Persönlichkeit, noch durch ihre malerische Behandlung anziehend genug, um ein
größeres Interesse hervorzurufen, als es durch den bekannten Namen ihres Ur¬
hebers bedingt ist. Der gekreuzigte Heiland von Gabriel Max, zu dessen Füßen
ein halbes Dutzend gerungener Hände, die Symbole der crlösungsbedürftigcn
Menschheit, sichtbar siud, ist ein so bizarres Experiment des spiritualistischen
Malers, daß man sich auf eine ernsthafte Diskussion nicht einlassen kann, zumal
da die abgeschnittenen Hände unter keinen Umständen ästhetisch zu rechtfertigen sind.
Nur ein Gemälde des aus Wien gebintigeu Alexander Götz: „Christus und die
Frauen," ein Gespräch des Heilands mit drei Jungfrauen am Brunnen, giebt
die Hoffnung, daß sich neben der naturalistischen Auffassung biblischer Motive
auch bereits die idealistisch-siilisirende nen zu entwickeln beginnt. Die vier Ge¬
stalten sind groß gedacht, frei behandelt und bei engem Anschluß an die Nainr
doch zu vornehmer Schönheit geadelt. Man wird a» Anselm Feuerbach erinnert.
Nur ist das Kolorit wärmer, goldiger, fast in der Weise der Venezianer, auf
welche auch die ganze Formenbildung hinweist. Dieses Bild zeigt auf den Weg,
auf welchem auch der Naturalismus zum Stil gelangen kann.


Adolf Rosenberg.


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[0574] Die religiöse Malerei der Gegenwart. es nicht an hervorragenden Künstlern fehlt, die, auf einem andern, zum Teil völlig entgegengesetzten Standpunkte fußend, rüstig weiter arbeiten. Die Berliner Jnbiläumsausstellung bietet uns zur Beurteilung dieser Be¬ strebungen ein mannichfaltiges Material. Pfannschmidt, wohl der letzte der noch thätigen Corneliusschüler, hat zwei Lünettenkompositionen: „Die Grablegung Christi" und „Die Frauen am Grabe Christi" ausgestellt, welche als Zeichnungen hohe Achtung verdienen, aber durch die unglückliche Bnntfärbung das Verdienst der Zeichnung wieder völlig aufheben. Georg Papperitz und Ludwig Thiersch in München haben jeder eine Kreuztragung Christi gemalt und zwar in dem Moment, wo der Heiland unter der Last des Kreuzes zusammenbricht und die Frauen wehklagend seine Not zu lindern suchen. Es sind sehr ernsthafte, aber ziemlich lahme Nachahmungen venezianischer und andrer italienischer Muster. Des Polen Siemiradzti „Christus bei Maria und Martha" dient nur zum Vorwande für ein trauliches Zwiegespräch im Garten, durch dessen Laubdach die Sonne ihre goldnen Ringe herabsendet und auf Gesichtern und Gewändern tanzen läßt. Das ist koloristisch sehr schön veranschaulicht, aber im Grnnde uur ein Gaukelspiel, das keine ernste Beachtung verdient. Defreggers lebens¬ große Madonna mit dem Kinde, welche, in weißem Gewände und schwarzem Kopfschlcier, zwischen Cherubim in den Wolken schwebt, ist weder durch ihre Persönlichkeit, noch durch ihre malerische Behandlung anziehend genug, um ein größeres Interesse hervorzurufen, als es durch den bekannten Namen ihres Ur¬ hebers bedingt ist. Der gekreuzigte Heiland von Gabriel Max, zu dessen Füßen ein halbes Dutzend gerungener Hände, die Symbole der crlösungsbedürftigcn Menschheit, sichtbar siud, ist ein so bizarres Experiment des spiritualistischen Malers, daß man sich auf eine ernsthafte Diskussion nicht einlassen kann, zumal da die abgeschnittenen Hände unter keinen Umständen ästhetisch zu rechtfertigen sind. Nur ein Gemälde des aus Wien gebintigeu Alexander Götz: „Christus und die Frauen," ein Gespräch des Heilands mit drei Jungfrauen am Brunnen, giebt die Hoffnung, daß sich neben der naturalistischen Auffassung biblischer Motive auch bereits die idealistisch-siilisirende nen zu entwickeln beginnt. Die vier Ge¬ stalten sind groß gedacht, frei behandelt und bei engem Anschluß an die Nainr doch zu vornehmer Schönheit geadelt. Man wird a» Anselm Feuerbach erinnert. Nur ist das Kolorit wärmer, goldiger, fast in der Weise der Venezianer, auf welche auch die ganze Formenbildung hinweist. Dieses Bild zeigt auf den Weg, auf welchem auch der Naturalismus zum Stil gelangen kann. Adolf Rosenberg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/574>, abgerufen am 24.07.2024.