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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Zwiespalt zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen hat uns jedoch diese
Naivität.des Standpunktes geraubt. Man ist auf beiden Seiten so mißtrauisch
geworden, daß man Naivität nicht mehr von Satire und Bosheit unterscheiden
kaun. Ein Fortschritt auf dem von Abbe eingeschlagnen Wege kann daher sehr
bedenkliche Folgen haben, und es ist deshalb den jungen Naturalisten anzuraten,
eine so abschüssige Bahn zu vermeiden.

Abbe selbst hat sich mit einem dritten Bilde auch wieder auf das historische
Gebiet zurückgezogen. Es ist eine Darstellung des Abendmahls, aber nur im
Kreise der Jünger. Was wäre bei einer Modernisirung aus diesem Gegenstande
geworden? Christus hätte dann die Rolle eines Geistliche" unsrer Tage über¬
nehmen müssen, welcher jedem an den Abendmahlstisch herantretenden Brot
und Wein austeilt. Und das würde im allgemeinen die Stellung Christi sein,
wenn sich diese familiäre Auslegung der evangelischen Heilslehre in der Kunst
einbürgern wollte. Wie der Seelsorger der Gemeinde, so würde auch Christus selbst
zu jedem Mahle nach einer heiligen Handlung hinzugezogen werden dürfen, und
das würde unreifen, aber verwegnen Künstlern einen Tummelplatz eröffnen, der
ihnen bei Zeiten verschlossen werden muß, damit kein Ärgernis entsteht und die
Kunst nicht unter dem Zelotismns leidet. Wenn Abbe nicht in seiue frühern
Eigentümlichkeiten zurückfällt, darf man sagen, daß er mit seinem "Abendmahl"
das Durchgangsstadium überwunden hat. Es war ein kühnes Unterfangen, nach
Ednard von Gebhardt mit einem zweiten naturalistische!! Abendmahl in so kurzer
Zeit hervorzutreten. Vielleicht ist es ein Zeichen unsrer rapiden Geschichts- und
Kunstentwicklung, daß ein solches Wagnis geglückt ist. Der einzige Künstler,
der ein typisches, für beide Konfessionen gleich verehrungswürdiges Abendmahl
geschaffen hat, ist, wie jedermann weiß, Leonardo da Vinci. Erst nach beinahe
vier Jahrhunderten ist es E. von Gebhardt gelungen, eine zweite Darstellung
des Abendmahls protestantischen Kreisen annehmbar zu macheu. Seine Auf¬
fassung ist jedoch im Vergleich zu der Uhdeschen noch eine gemäßigte. Er hat
die traditionelle Anordnung wenigstens insofern beibehalten, als Christus in der
Mitte, an der Langseite des Tisches, sein Antlitz dem Beschauer zukehrend, sitzt.
Abbe ist auch in der Komposition ein Revolutionär. Der Heiland und seine
Jünger sind um einen ovalen Tisch versammelt. Damit Christus von dem aus
den Fenstern einfallenden Lichte voll beschienen werden kann, sitzt er mit dem
Rücken gegen den Beschauer, aber zwei Dritteile des Angesichtes demselben zu¬
wendend. Er hat eben das verhängnisvolle Wort: "Einer unter euch wird
mich verraten!" gesprochen, und die Wirkung desselben spiegelt sich auf den
Mienen der Jünger ab. Abbe hat auf diesem Bilde seine reichen Darstellungs-
mittel in so vollem Maße entfaltet, daß die kleine Gemeinde unter dem Vorsitze
des göttlichen Dulders einen tiefen Eindruck macht, welcher durch die naturalistische
Gestalteubildnng nicht beeinträchtigt werden kann. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß eine neue Entwicklung der religiösen Malerei von hier anheben wird, obwohl


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Zwiespalt zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen hat uns jedoch diese
Naivität.des Standpunktes geraubt. Man ist auf beiden Seiten so mißtrauisch
geworden, daß man Naivität nicht mehr von Satire und Bosheit unterscheiden
kaun. Ein Fortschritt auf dem von Abbe eingeschlagnen Wege kann daher sehr
bedenkliche Folgen haben, und es ist deshalb den jungen Naturalisten anzuraten,
eine so abschüssige Bahn zu vermeiden.

Abbe selbst hat sich mit einem dritten Bilde auch wieder auf das historische
Gebiet zurückgezogen. Es ist eine Darstellung des Abendmahls, aber nur im
Kreise der Jünger. Was wäre bei einer Modernisirung aus diesem Gegenstande
geworden? Christus hätte dann die Rolle eines Geistliche» unsrer Tage über¬
nehmen müssen, welcher jedem an den Abendmahlstisch herantretenden Brot
und Wein austeilt. Und das würde im allgemeinen die Stellung Christi sein,
wenn sich diese familiäre Auslegung der evangelischen Heilslehre in der Kunst
einbürgern wollte. Wie der Seelsorger der Gemeinde, so würde auch Christus selbst
zu jedem Mahle nach einer heiligen Handlung hinzugezogen werden dürfen, und
das würde unreifen, aber verwegnen Künstlern einen Tummelplatz eröffnen, der
ihnen bei Zeiten verschlossen werden muß, damit kein Ärgernis entsteht und die
Kunst nicht unter dem Zelotismns leidet. Wenn Abbe nicht in seiue frühern
Eigentümlichkeiten zurückfällt, darf man sagen, daß er mit seinem „Abendmahl"
das Durchgangsstadium überwunden hat. Es war ein kühnes Unterfangen, nach
Ednard von Gebhardt mit einem zweiten naturalistische!! Abendmahl in so kurzer
Zeit hervorzutreten. Vielleicht ist es ein Zeichen unsrer rapiden Geschichts- und
Kunstentwicklung, daß ein solches Wagnis geglückt ist. Der einzige Künstler,
der ein typisches, für beide Konfessionen gleich verehrungswürdiges Abendmahl
geschaffen hat, ist, wie jedermann weiß, Leonardo da Vinci. Erst nach beinahe
vier Jahrhunderten ist es E. von Gebhardt gelungen, eine zweite Darstellung
des Abendmahls protestantischen Kreisen annehmbar zu macheu. Seine Auf¬
fassung ist jedoch im Vergleich zu der Uhdeschen noch eine gemäßigte. Er hat
die traditionelle Anordnung wenigstens insofern beibehalten, als Christus in der
Mitte, an der Langseite des Tisches, sein Antlitz dem Beschauer zukehrend, sitzt.
Abbe ist auch in der Komposition ein Revolutionär. Der Heiland und seine
Jünger sind um einen ovalen Tisch versammelt. Damit Christus von dem aus
den Fenstern einfallenden Lichte voll beschienen werden kann, sitzt er mit dem
Rücken gegen den Beschauer, aber zwei Dritteile des Angesichtes demselben zu¬
wendend. Er hat eben das verhängnisvolle Wort: „Einer unter euch wird
mich verraten!" gesprochen, und die Wirkung desselben spiegelt sich auf den
Mienen der Jünger ab. Abbe hat auf diesem Bilde seine reichen Darstellungs-
mittel in so vollem Maße entfaltet, daß die kleine Gemeinde unter dem Vorsitze
des göttlichen Dulders einen tiefen Eindruck macht, welcher durch die naturalistische
Gestalteubildnng nicht beeinträchtigt werden kann. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß eine neue Entwicklung der religiösen Malerei von hier anheben wird, obwohl


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[0573] Die religiöse Malerei der Gegenwart. Zwiespalt zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen hat uns jedoch diese Naivität.des Standpunktes geraubt. Man ist auf beiden Seiten so mißtrauisch geworden, daß man Naivität nicht mehr von Satire und Bosheit unterscheiden kaun. Ein Fortschritt auf dem von Abbe eingeschlagnen Wege kann daher sehr bedenkliche Folgen haben, und es ist deshalb den jungen Naturalisten anzuraten, eine so abschüssige Bahn zu vermeiden. Abbe selbst hat sich mit einem dritten Bilde auch wieder auf das historische Gebiet zurückgezogen. Es ist eine Darstellung des Abendmahls, aber nur im Kreise der Jünger. Was wäre bei einer Modernisirung aus diesem Gegenstande geworden? Christus hätte dann die Rolle eines Geistliche» unsrer Tage über¬ nehmen müssen, welcher jedem an den Abendmahlstisch herantretenden Brot und Wein austeilt. Und das würde im allgemeinen die Stellung Christi sein, wenn sich diese familiäre Auslegung der evangelischen Heilslehre in der Kunst einbürgern wollte. Wie der Seelsorger der Gemeinde, so würde auch Christus selbst zu jedem Mahle nach einer heiligen Handlung hinzugezogen werden dürfen, und das würde unreifen, aber verwegnen Künstlern einen Tummelplatz eröffnen, der ihnen bei Zeiten verschlossen werden muß, damit kein Ärgernis entsteht und die Kunst nicht unter dem Zelotismns leidet. Wenn Abbe nicht in seiue frühern Eigentümlichkeiten zurückfällt, darf man sagen, daß er mit seinem „Abendmahl" das Durchgangsstadium überwunden hat. Es war ein kühnes Unterfangen, nach Ednard von Gebhardt mit einem zweiten naturalistische!! Abendmahl in so kurzer Zeit hervorzutreten. Vielleicht ist es ein Zeichen unsrer rapiden Geschichts- und Kunstentwicklung, daß ein solches Wagnis geglückt ist. Der einzige Künstler, der ein typisches, für beide Konfessionen gleich verehrungswürdiges Abendmahl geschaffen hat, ist, wie jedermann weiß, Leonardo da Vinci. Erst nach beinahe vier Jahrhunderten ist es E. von Gebhardt gelungen, eine zweite Darstellung des Abendmahls protestantischen Kreisen annehmbar zu macheu. Seine Auf¬ fassung ist jedoch im Vergleich zu der Uhdeschen noch eine gemäßigte. Er hat die traditionelle Anordnung wenigstens insofern beibehalten, als Christus in der Mitte, an der Langseite des Tisches, sein Antlitz dem Beschauer zukehrend, sitzt. Abbe ist auch in der Komposition ein Revolutionär. Der Heiland und seine Jünger sind um einen ovalen Tisch versammelt. Damit Christus von dem aus den Fenstern einfallenden Lichte voll beschienen werden kann, sitzt er mit dem Rücken gegen den Beschauer, aber zwei Dritteile des Angesichtes demselben zu¬ wendend. Er hat eben das verhängnisvolle Wort: „Einer unter euch wird mich verraten!" gesprochen, und die Wirkung desselben spiegelt sich auf den Mienen der Jünger ab. Abbe hat auf diesem Bilde seine reichen Darstellungs- mittel in so vollem Maße entfaltet, daß die kleine Gemeinde unter dem Vorsitze des göttlichen Dulders einen tiefen Eindruck macht, welcher durch die naturalistische Gestalteubildnng nicht beeinträchtigt werden kann. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine neue Entwicklung der religiösen Malerei von hier anheben wird, obwohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/573>, abgerufen am 24.07.2024.