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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Schlafe plötzlich zu neuem Dasein erweckt zu sein scheinen. Zu dieser Wahrheit
des Lebens tritt dann der archäologische Apparat hinzu, ein großer Aufwand
von prächtigen oder doch malerischen Trachten, von Waffen und Rüstungen,
von Architektur und Gerätschaften, der den Anlaß zur Entfaltung jener kolo¬
ristischen Reize und Kunstgriffe giebt, welche die moderne Malerei charakterisiren.
Auch das ist bedeutungsvoll, daß diese neue Richtung der religiösen Malerei
sofort im Besitze von Darstellungsmitteln auftritt, wie sie die frühern Kunst¬
epochen nicht gekannt haben.

Nach dem großen Erfolge, welchen Muukacshs Bild auf seiner Wander¬
schaft fand, ist es erklärlich, daß die Nachahmer manche Äußerlichkeiten über¬
trieben, ohne für den geistigen Kernpunkt das richtige Verständnis zu besitzen.
Die Berliner Jubiläumsausstelluug bietet zwei solcher Beispiele: die Auf-
erweckung einer Toten von Albert Keller in München und Christus und die
Ehebrecherin von A. Wolff in München. Ersterer ist weniger abhängig von
Munkacsy als letzterer. Die Verwandtschaft besteht nur in der reichen Ver¬
wendung des archäologischen Apparats und in der Charakteristik der Haupt¬
person, welche ebenfalls vom Standpunkte historischer Kritik aufgefaßt ist. Die
malerische Darstellung Kellers ist eine andre als die Munkaesys, aber an und
für sich ebenfalls vortrefflich und durch Kraft und Reichtum fesselnd. Obwohl
der Künstler keine bestimmte Angabe gemacht hat, wird man an die Auferweckung
der Tochter des Jairus denken dürfen. Der Maler ist von der Voraussetzung
ausgegangen, daß die Bestattuugswcise der alten Hebräer der altäghptischen
ähnlich gewesen sei, wofür ja auch einige Andeutungen in den biblischen Schriften
sprechen. In einer offnen Halle, die sich in einem Garten befindet, ist die
Tote auf einen Sarkophag gebettet worden. Ihren schlanken, zarten Körper
hat man wie eine äghptische Mumie in schmale Linnenstreifen gewickelt. Der
große Arzt und Wunderthäter ist, von den Mitgliedern der trauernden Fa¬
milie und von fnckeltrageuden Sklaven begleitet, in die Halle getreten und
hat das belebende Wort gesprochen. Das Mädchen hat sich bereits mit halbem
Leibe aufgerichtet und blickt mit erstaunten Augen ins Leere, während die Ver¬
wandten allmählich die Zeugstreifcu von ihrem Leibe wieder abwickeln. In den
Mienen der Umstehenden, welche das Wunder noch nicht zu fassen vermögen,
prägt sich starres Entsetzen in mannichfaltiger Weise aus. Mau muß vor einer
solchen Darstellung den Begriff des religiösen Gemäldes oder gar des Andachts¬
bildes völlig aufgeben. Es ist ein historisches Genrebild, welches nnr zufällig
mit der Person Jesu von Nazareth verknüpft ist, im allgemeinen aber mit den
archäologischen Resurrektivnen eines Alma-Tadema auf gleicher Stufe steht,
wobei freilich die eine Einschränkung zu machen ist, daß Keller das Antlitz des
Nazareners durch das Vorgefühl kommenden Leidens, schwerer Enttäuschungen
durchgeistigt hat. Nur in diesem einen Zuge lebt die alte germanische Tradition
nach. Wir scheu niemals den unerschrockenen Prediger, sondern stets das Opfer


Grenzboten II. 188ö. 71
Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Schlafe plötzlich zu neuem Dasein erweckt zu sein scheinen. Zu dieser Wahrheit
des Lebens tritt dann der archäologische Apparat hinzu, ein großer Aufwand
von prächtigen oder doch malerischen Trachten, von Waffen und Rüstungen,
von Architektur und Gerätschaften, der den Anlaß zur Entfaltung jener kolo¬
ristischen Reize und Kunstgriffe giebt, welche die moderne Malerei charakterisiren.
Auch das ist bedeutungsvoll, daß diese neue Richtung der religiösen Malerei
sofort im Besitze von Darstellungsmitteln auftritt, wie sie die frühern Kunst¬
epochen nicht gekannt haben.

Nach dem großen Erfolge, welchen Muukacshs Bild auf seiner Wander¬
schaft fand, ist es erklärlich, daß die Nachahmer manche Äußerlichkeiten über¬
trieben, ohne für den geistigen Kernpunkt das richtige Verständnis zu besitzen.
Die Berliner Jubiläumsausstelluug bietet zwei solcher Beispiele: die Auf-
erweckung einer Toten von Albert Keller in München und Christus und die
Ehebrecherin von A. Wolff in München. Ersterer ist weniger abhängig von
Munkacsy als letzterer. Die Verwandtschaft besteht nur in der reichen Ver¬
wendung des archäologischen Apparats und in der Charakteristik der Haupt¬
person, welche ebenfalls vom Standpunkte historischer Kritik aufgefaßt ist. Die
malerische Darstellung Kellers ist eine andre als die Munkaesys, aber an und
für sich ebenfalls vortrefflich und durch Kraft und Reichtum fesselnd. Obwohl
der Künstler keine bestimmte Angabe gemacht hat, wird man an die Auferweckung
der Tochter des Jairus denken dürfen. Der Maler ist von der Voraussetzung
ausgegangen, daß die Bestattuugswcise der alten Hebräer der altäghptischen
ähnlich gewesen sei, wofür ja auch einige Andeutungen in den biblischen Schriften
sprechen. In einer offnen Halle, die sich in einem Garten befindet, ist die
Tote auf einen Sarkophag gebettet worden. Ihren schlanken, zarten Körper
hat man wie eine äghptische Mumie in schmale Linnenstreifen gewickelt. Der
große Arzt und Wunderthäter ist, von den Mitgliedern der trauernden Fa¬
milie und von fnckeltrageuden Sklaven begleitet, in die Halle getreten und
hat das belebende Wort gesprochen. Das Mädchen hat sich bereits mit halbem
Leibe aufgerichtet und blickt mit erstaunten Augen ins Leere, während die Ver¬
wandten allmählich die Zeugstreifcu von ihrem Leibe wieder abwickeln. In den
Mienen der Umstehenden, welche das Wunder noch nicht zu fassen vermögen,
prägt sich starres Entsetzen in mannichfaltiger Weise aus. Mau muß vor einer
solchen Darstellung den Begriff des religiösen Gemäldes oder gar des Andachts¬
bildes völlig aufgeben. Es ist ein historisches Genrebild, welches nnr zufällig
mit der Person Jesu von Nazareth verknüpft ist, im allgemeinen aber mit den
archäologischen Resurrektivnen eines Alma-Tadema auf gleicher Stufe steht,
wobei freilich die eine Einschränkung zu machen ist, daß Keller das Antlitz des
Nazareners durch das Vorgefühl kommenden Leidens, schwerer Enttäuschungen
durchgeistigt hat. Nur in diesem einen Zuge lebt die alte germanische Tradition
nach. Wir scheu niemals den unerschrockenen Prediger, sondern stets das Opfer


Grenzboten II. 188ö. 71
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[0569] Die religiöse Malerei der Gegenwart. Schlafe plötzlich zu neuem Dasein erweckt zu sein scheinen. Zu dieser Wahrheit des Lebens tritt dann der archäologische Apparat hinzu, ein großer Aufwand von prächtigen oder doch malerischen Trachten, von Waffen und Rüstungen, von Architektur und Gerätschaften, der den Anlaß zur Entfaltung jener kolo¬ ristischen Reize und Kunstgriffe giebt, welche die moderne Malerei charakterisiren. Auch das ist bedeutungsvoll, daß diese neue Richtung der religiösen Malerei sofort im Besitze von Darstellungsmitteln auftritt, wie sie die frühern Kunst¬ epochen nicht gekannt haben. Nach dem großen Erfolge, welchen Muukacshs Bild auf seiner Wander¬ schaft fand, ist es erklärlich, daß die Nachahmer manche Äußerlichkeiten über¬ trieben, ohne für den geistigen Kernpunkt das richtige Verständnis zu besitzen. Die Berliner Jubiläumsausstelluug bietet zwei solcher Beispiele: die Auf- erweckung einer Toten von Albert Keller in München und Christus und die Ehebrecherin von A. Wolff in München. Ersterer ist weniger abhängig von Munkacsy als letzterer. Die Verwandtschaft besteht nur in der reichen Ver¬ wendung des archäologischen Apparats und in der Charakteristik der Haupt¬ person, welche ebenfalls vom Standpunkte historischer Kritik aufgefaßt ist. Die malerische Darstellung Kellers ist eine andre als die Munkaesys, aber an und für sich ebenfalls vortrefflich und durch Kraft und Reichtum fesselnd. Obwohl der Künstler keine bestimmte Angabe gemacht hat, wird man an die Auferweckung der Tochter des Jairus denken dürfen. Der Maler ist von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Bestattuugswcise der alten Hebräer der altäghptischen ähnlich gewesen sei, wofür ja auch einige Andeutungen in den biblischen Schriften sprechen. In einer offnen Halle, die sich in einem Garten befindet, ist die Tote auf einen Sarkophag gebettet worden. Ihren schlanken, zarten Körper hat man wie eine äghptische Mumie in schmale Linnenstreifen gewickelt. Der große Arzt und Wunderthäter ist, von den Mitgliedern der trauernden Fa¬ milie und von fnckeltrageuden Sklaven begleitet, in die Halle getreten und hat das belebende Wort gesprochen. Das Mädchen hat sich bereits mit halbem Leibe aufgerichtet und blickt mit erstaunten Augen ins Leere, während die Ver¬ wandten allmählich die Zeugstreifcu von ihrem Leibe wieder abwickeln. In den Mienen der Umstehenden, welche das Wunder noch nicht zu fassen vermögen, prägt sich starres Entsetzen in mannichfaltiger Weise aus. Mau muß vor einer solchen Darstellung den Begriff des religiösen Gemäldes oder gar des Andachts¬ bildes völlig aufgeben. Es ist ein historisches Genrebild, welches nnr zufällig mit der Person Jesu von Nazareth verknüpft ist, im allgemeinen aber mit den archäologischen Resurrektivnen eines Alma-Tadema auf gleicher Stufe steht, wobei freilich die eine Einschränkung zu machen ist, daß Keller das Antlitz des Nazareners durch das Vorgefühl kommenden Leidens, schwerer Enttäuschungen durchgeistigt hat. Nur in diesem einen Zuge lebt die alte germanische Tradition nach. Wir scheu niemals den unerschrockenen Prediger, sondern stets das Opfer Grenzboten II. 188ö. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/569>, abgerufen am 02.07.2024.