Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Friede mit Rom.

Alle freilich sehen dies nicht ein, und so ist auch die Schaar derer nicht
unbedeutend, welche den kirchlichen Frieden mit scheelen Augen betrachten.

Zunächst sind dies die katholischen Jntransigenten und ihr Wclfenfnhrer
Windthorst. Ihre Opposition ist natürlich, da ihre Herrschaft bedroht ist;
wegen ihrer egoistischen Motive bedürfen Leute dieses Schlages keine weitere
Vcachtnng. Ihnen gleich stehen alle, die an der Zerstörung des Reiches arbeiten:
Polen, Sozialdemokrcitcn und leider auch der Fortschritt, letzercr, weil er fürchtet,
mit dem Einflüsse von Windthorst auch die Reihen seiner Wählerschaft zu
verlieren.

Unzufrieden sind aber auch die protestantischen Kreise und zwar sowohl
die Nationalliberalen als die Hochkirchler. Beide Parteien bedürfen einer ein¬
gehenderen Würdigung.

Bei den Nationalliberalen herrscht immer noch ein gewisser Doktrinarismus;
sie können sich trotz der gemachten Erfahrungen noch uicht von dem Gedanken
frei machen, daß sich die katholische Kirche auf dem Wege der Gesetzgebung
zu einem ewigen Stillschweigen verurteilen ließe. Aber sie sind in ihrem
Widerspruche nicht völlig einig; es macht den Eindruck, als ob sie den Frieden
wünschten, aber doch ihrerseits die Herbeiführung desselben nur zuließen, um
mit dem gebildeten Teile ihrer Wählerschaft nicht in Zwiespalt zu kommen.
Deshalb ist ihre Opposition auch nicht zu fürchten; sie werden an den Segnungen
des Friedens kräftig mitwirken und in den spätern Stadien auch ihre Doktrin
der praktischen Einsicht gern zum Opfer bringen.

Anders sind die Hochkirchler und alle diejenigen, welchen der protestantische
Glaube am Herzen liegt; sie erblicken in den Konzessionen des Staates eine
Kräftigung der katholischen Propaganda und sehen sich ängstlich nach Mitteln
um, wodurch denselben zum Heile des reinen Evangeliums ein Damm gesetzt
werden könnte.

Zunächst widerspricht es der Erfahrung, daß der Kampf mit dem Staate
dem Umsichgreifen des Katholizismus geschadet habe; was der letztre auch innerlich
verloren haben mag, äußerlich ist derselbe durch den Kulturkampf gewachsen.
Dagegen ist es unzweifelhaft richtig, daß die katholische Propaganda mehr und
mehr den Prvtestnutismus verdrängt. Überall sehen wir den katholischen Glauben
festen Fuß fasse"; er hat sich nicht nur uuter den heidnischen Völkern Asiens
und Afrikas ganze Territorien erobert, er hat nicht nur in England und in den
Vereinigten Staaten an Umfang zugenommen, der jetzt schon Millionen von
Angehörigen zählt, er gewinnt auch in dem protestantischen Teile Deutsch¬
lands mehr und mehr Stätten. Diese Thatsache ist so ernst, daß alle, welche
die protestantische Freiheit im Herzen tragen, mit Recht ihr Augenmerk darauf
richten müssen. Allein man muß sich nur über die Ursache dieser Erscheinung
klar werden, welche offenbar darin liegt, daß der Protestantismus nicht mehr
die volle Kraft besitzt, sich seinen Einfluß ans das Volk zu sichern. Die


Der Friede mit Rom.

Alle freilich sehen dies nicht ein, und so ist auch die Schaar derer nicht
unbedeutend, welche den kirchlichen Frieden mit scheelen Augen betrachten.

Zunächst sind dies die katholischen Jntransigenten und ihr Wclfenfnhrer
Windthorst. Ihre Opposition ist natürlich, da ihre Herrschaft bedroht ist;
wegen ihrer egoistischen Motive bedürfen Leute dieses Schlages keine weitere
Vcachtnng. Ihnen gleich stehen alle, die an der Zerstörung des Reiches arbeiten:
Polen, Sozialdemokrcitcn und leider auch der Fortschritt, letzercr, weil er fürchtet,
mit dem Einflüsse von Windthorst auch die Reihen seiner Wählerschaft zu
verlieren.

Unzufrieden sind aber auch die protestantischen Kreise und zwar sowohl
die Nationalliberalen als die Hochkirchler. Beide Parteien bedürfen einer ein¬
gehenderen Würdigung.

Bei den Nationalliberalen herrscht immer noch ein gewisser Doktrinarismus;
sie können sich trotz der gemachten Erfahrungen noch uicht von dem Gedanken
frei machen, daß sich die katholische Kirche auf dem Wege der Gesetzgebung
zu einem ewigen Stillschweigen verurteilen ließe. Aber sie sind in ihrem
Widerspruche nicht völlig einig; es macht den Eindruck, als ob sie den Frieden
wünschten, aber doch ihrerseits die Herbeiführung desselben nur zuließen, um
mit dem gebildeten Teile ihrer Wählerschaft nicht in Zwiespalt zu kommen.
Deshalb ist ihre Opposition auch nicht zu fürchten; sie werden an den Segnungen
des Friedens kräftig mitwirken und in den spätern Stadien auch ihre Doktrin
der praktischen Einsicht gern zum Opfer bringen.

Anders sind die Hochkirchler und alle diejenigen, welchen der protestantische
Glaube am Herzen liegt; sie erblicken in den Konzessionen des Staates eine
Kräftigung der katholischen Propaganda und sehen sich ängstlich nach Mitteln
um, wodurch denselben zum Heile des reinen Evangeliums ein Damm gesetzt
werden könnte.

Zunächst widerspricht es der Erfahrung, daß der Kampf mit dem Staate
dem Umsichgreifen des Katholizismus geschadet habe; was der letztre auch innerlich
verloren haben mag, äußerlich ist derselbe durch den Kulturkampf gewachsen.
Dagegen ist es unzweifelhaft richtig, daß die katholische Propaganda mehr und
mehr den Prvtestnutismus verdrängt. Überall sehen wir den katholischen Glauben
festen Fuß fasse»; er hat sich nicht nur uuter den heidnischen Völkern Asiens
und Afrikas ganze Territorien erobert, er hat nicht nur in England und in den
Vereinigten Staaten an Umfang zugenommen, der jetzt schon Millionen von
Angehörigen zählt, er gewinnt auch in dem protestantischen Teile Deutsch¬
lands mehr und mehr Stätten. Diese Thatsache ist so ernst, daß alle, welche
die protestantische Freiheit im Herzen tragen, mit Recht ihr Augenmerk darauf
richten müssen. Allein man muß sich nur über die Ursache dieser Erscheinung
klar werden, welche offenbar darin liegt, daß der Protestantismus nicht mehr
die volle Kraft besitzt, sich seinen Einfluß ans das Volk zu sichern. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0560" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198626"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Friede mit Rom.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1603"> Alle freilich sehen dies nicht ein, und so ist auch die Schaar derer nicht<lb/>
unbedeutend, welche den kirchlichen Frieden mit scheelen Augen betrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1604"> Zunächst sind dies die katholischen Jntransigenten und ihr Wclfenfnhrer<lb/>
Windthorst. Ihre Opposition ist natürlich, da ihre Herrschaft bedroht ist;<lb/>
wegen ihrer egoistischen Motive bedürfen Leute dieses Schlages keine weitere<lb/>
Vcachtnng. Ihnen gleich stehen alle, die an der Zerstörung des Reiches arbeiten:<lb/>
Polen, Sozialdemokrcitcn und leider auch der Fortschritt, letzercr, weil er fürchtet,<lb/>
mit dem Einflüsse von Windthorst auch die Reihen seiner Wählerschaft zu<lb/>
verlieren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1605"> Unzufrieden sind aber auch die protestantischen Kreise und zwar sowohl<lb/>
die Nationalliberalen als die Hochkirchler. Beide Parteien bedürfen einer ein¬<lb/>
gehenderen Würdigung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1606"> Bei den Nationalliberalen herrscht immer noch ein gewisser Doktrinarismus;<lb/>
sie können sich trotz der gemachten Erfahrungen noch uicht von dem Gedanken<lb/>
frei machen, daß sich die katholische Kirche auf dem Wege der Gesetzgebung<lb/>
zu einem ewigen Stillschweigen verurteilen ließe. Aber sie sind in ihrem<lb/>
Widerspruche nicht völlig einig; es macht den Eindruck, als ob sie den Frieden<lb/>
wünschten, aber doch ihrerseits die Herbeiführung desselben nur zuließen, um<lb/>
mit dem gebildeten Teile ihrer Wählerschaft nicht in Zwiespalt zu kommen.<lb/>
Deshalb ist ihre Opposition auch nicht zu fürchten; sie werden an den Segnungen<lb/>
des Friedens kräftig mitwirken und in den spätern Stadien auch ihre Doktrin<lb/>
der praktischen Einsicht gern zum Opfer bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1607"> Anders sind die Hochkirchler und alle diejenigen, welchen der protestantische<lb/>
Glaube am Herzen liegt; sie erblicken in den Konzessionen des Staates eine<lb/>
Kräftigung der katholischen Propaganda und sehen sich ängstlich nach Mitteln<lb/>
um, wodurch denselben zum Heile des reinen Evangeliums ein Damm gesetzt<lb/>
werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1608" next="#ID_1609"> Zunächst widerspricht es der Erfahrung, daß der Kampf mit dem Staate<lb/>
dem Umsichgreifen des Katholizismus geschadet habe; was der letztre auch innerlich<lb/>
verloren haben mag, äußerlich ist derselbe durch den Kulturkampf gewachsen.<lb/>
Dagegen ist es unzweifelhaft richtig, daß die katholische Propaganda mehr und<lb/>
mehr den Prvtestnutismus verdrängt. Überall sehen wir den katholischen Glauben<lb/>
festen Fuß fasse»; er hat sich nicht nur uuter den heidnischen Völkern Asiens<lb/>
und Afrikas ganze Territorien erobert, er hat nicht nur in England und in den<lb/>
Vereinigten Staaten an Umfang zugenommen, der jetzt schon Millionen von<lb/>
Angehörigen zählt, er gewinnt auch in dem protestantischen Teile Deutsch¬<lb/>
lands mehr und mehr Stätten. Diese Thatsache ist so ernst, daß alle, welche<lb/>
die protestantische Freiheit im Herzen tragen, mit Recht ihr Augenmerk darauf<lb/>
richten müssen. Allein man muß sich nur über die Ursache dieser Erscheinung<lb/>
klar werden, welche offenbar darin liegt, daß der Protestantismus nicht mehr<lb/>
die volle Kraft besitzt, sich seinen Einfluß ans das Volk zu sichern. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0560] Der Friede mit Rom. Alle freilich sehen dies nicht ein, und so ist auch die Schaar derer nicht unbedeutend, welche den kirchlichen Frieden mit scheelen Augen betrachten. Zunächst sind dies die katholischen Jntransigenten und ihr Wclfenfnhrer Windthorst. Ihre Opposition ist natürlich, da ihre Herrschaft bedroht ist; wegen ihrer egoistischen Motive bedürfen Leute dieses Schlages keine weitere Vcachtnng. Ihnen gleich stehen alle, die an der Zerstörung des Reiches arbeiten: Polen, Sozialdemokrcitcn und leider auch der Fortschritt, letzercr, weil er fürchtet, mit dem Einflüsse von Windthorst auch die Reihen seiner Wählerschaft zu verlieren. Unzufrieden sind aber auch die protestantischen Kreise und zwar sowohl die Nationalliberalen als die Hochkirchler. Beide Parteien bedürfen einer ein¬ gehenderen Würdigung. Bei den Nationalliberalen herrscht immer noch ein gewisser Doktrinarismus; sie können sich trotz der gemachten Erfahrungen noch uicht von dem Gedanken frei machen, daß sich die katholische Kirche auf dem Wege der Gesetzgebung zu einem ewigen Stillschweigen verurteilen ließe. Aber sie sind in ihrem Widerspruche nicht völlig einig; es macht den Eindruck, als ob sie den Frieden wünschten, aber doch ihrerseits die Herbeiführung desselben nur zuließen, um mit dem gebildeten Teile ihrer Wählerschaft nicht in Zwiespalt zu kommen. Deshalb ist ihre Opposition auch nicht zu fürchten; sie werden an den Segnungen des Friedens kräftig mitwirken und in den spätern Stadien auch ihre Doktrin der praktischen Einsicht gern zum Opfer bringen. Anders sind die Hochkirchler und alle diejenigen, welchen der protestantische Glaube am Herzen liegt; sie erblicken in den Konzessionen des Staates eine Kräftigung der katholischen Propaganda und sehen sich ängstlich nach Mitteln um, wodurch denselben zum Heile des reinen Evangeliums ein Damm gesetzt werden könnte. Zunächst widerspricht es der Erfahrung, daß der Kampf mit dem Staate dem Umsichgreifen des Katholizismus geschadet habe; was der letztre auch innerlich verloren haben mag, äußerlich ist derselbe durch den Kulturkampf gewachsen. Dagegen ist es unzweifelhaft richtig, daß die katholische Propaganda mehr und mehr den Prvtestnutismus verdrängt. Überall sehen wir den katholischen Glauben festen Fuß fasse»; er hat sich nicht nur uuter den heidnischen Völkern Asiens und Afrikas ganze Territorien erobert, er hat nicht nur in England und in den Vereinigten Staaten an Umfang zugenommen, der jetzt schon Millionen von Angehörigen zählt, er gewinnt auch in dem protestantischen Teile Deutsch¬ lands mehr und mehr Stätten. Diese Thatsache ist so ernst, daß alle, welche die protestantische Freiheit im Herzen tragen, mit Recht ihr Augenmerk darauf richten müssen. Allein man muß sich nur über die Ursache dieser Erscheinung klar werden, welche offenbar darin liegt, daß der Protestantismus nicht mehr die volle Kraft besitzt, sich seinen Einfluß ans das Volk zu sichern. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/560
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/560>, abgerufen am 30.06.2024.