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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Friede mit Rom.

ein Seelsorgern. Die langjährige Verwaisung der bischöflichen Sitze und der mit
derselben verbundene Mangel an der ordentlichen Disziplin und Gerichtsbarkeit
zog allmählich Unbotmcißigkeit und Zuchtlosigkeit im niedern Klerus groß.
Während der Fels Petri im katholischen Sinne nur durch seinen autoritativen
und autokratischen Charakter seine Stärke, Kraft und Macht in allen Zeiten zu
bewahren verstand, begannen demokratische und demagogische Anschauungen einzu-
reißen, und Anarchie drohte den stolzen, einheitlichen Bau der katholischem Kirche
zu gefährden. Die Klagen, welche über dieses Gebcchren der niedern Geistlich¬
keit bis an den päpstlichen Stuhl drangen, konnten auf einen Mann von so
weitem Blick, wie Papst Leo es ist, nicht ohne Eindruck bleiben, und sie mußten
ihn bei seiner eingebornen Friedensliebe umso geneigter machen, sich mit der
Preußischen Regierung zu verständigen.

Waren so beide Teile "des langen Haders müde," so wäre es thöricht
gewesen, wenn man, um eine Verständigung zu finden, zunächst die unveräußer¬
lichen Rechte des Staates oder der Kirche hätte feststellen wollen. In dieser
Hinsicht giebt es zwischen den beiden Gewalten keine Versöhnung. Prinzipiell
steht heute die katholische Kirche noch ganz auf den Grundsätzen, wie sie in der
Bulle Hu-zur Llmot-Am von Bonifacius VIII. verkündet worden find; nach ihr
steht heute noch die Kirche über dem Staate, weil das geistliche Schwert
höher als das weltliche ist; nach ihr ist heute noch der Papst der oberste
Richter in der Christenheit, und seinem Winke sind die Fürsten und alle weltliche
Obrigkeit Unterthan. Wem diese Grundsätze nicht gefallen, der muß einen
Kreuzzug gegen die katholische Kirche zustande bringen und das Papsttum
vernichten oder, wie ihrer Zeit die französischen Könige, in die Gefangenschaft
setzen. Solche Machtmittel stehen aber dem modernen konstitutionellen oder
parlamentarischen Staate nicht zu Gebote. Namentlich darf man bei der
Universalität der katholischen Kirche nicht glauben, daß eine Demütigung derselben
durch die Gesetzgebung eines einzelnen, auch noch so mächtigen Staates zu er¬
reichen sei.

Es kann sich also nur darum handeln, daß man die etwaigen Übergriffe
der Kirche in das staatliche Gebiet abwehrt, daß man die Macht, die in dem
Staate neben der staatlichen Gewalt besteht, nicht so mächtig werden läßt, daß
ihr die letztere auch in weltlichen Dingen dienstbar wird. Hier ist schon ein
Boden, auf welchem sich durch Verhandeln, durch Geben und Nehmen, Leistung
und Gegenleistung eine Einigung erreichen läßt. Hier liegt aber ein sehr breites
Feld vor uns, ehe man sagen kann, daß die Grenze von der einen oder andern
Seite überschritten sei, freilich ein ebenso großer Spielraum für Doktrinäre,
die sich diese Grenzen nach eigner Willkür setzen.

Die Kirchengesetze des Ministers Falk werden sicherlich nicht für sich das
Privilegium in Anspruch nehmen können, in dem jahrhundertelangen Grenzstreitc
der staatlichen und kirchlichen Gewalt die richtige Entscheidung getroffen zu


Der Friede mit Rom.

ein Seelsorgern. Die langjährige Verwaisung der bischöflichen Sitze und der mit
derselben verbundene Mangel an der ordentlichen Disziplin und Gerichtsbarkeit
zog allmählich Unbotmcißigkeit und Zuchtlosigkeit im niedern Klerus groß.
Während der Fels Petri im katholischen Sinne nur durch seinen autoritativen
und autokratischen Charakter seine Stärke, Kraft und Macht in allen Zeiten zu
bewahren verstand, begannen demokratische und demagogische Anschauungen einzu-
reißen, und Anarchie drohte den stolzen, einheitlichen Bau der katholischem Kirche
zu gefährden. Die Klagen, welche über dieses Gebcchren der niedern Geistlich¬
keit bis an den päpstlichen Stuhl drangen, konnten auf einen Mann von so
weitem Blick, wie Papst Leo es ist, nicht ohne Eindruck bleiben, und sie mußten
ihn bei seiner eingebornen Friedensliebe umso geneigter machen, sich mit der
Preußischen Regierung zu verständigen.

Waren so beide Teile „des langen Haders müde," so wäre es thöricht
gewesen, wenn man, um eine Verständigung zu finden, zunächst die unveräußer¬
lichen Rechte des Staates oder der Kirche hätte feststellen wollen. In dieser
Hinsicht giebt es zwischen den beiden Gewalten keine Versöhnung. Prinzipiell
steht heute die katholische Kirche noch ganz auf den Grundsätzen, wie sie in der
Bulle Hu-zur Llmot-Am von Bonifacius VIII. verkündet worden find; nach ihr
steht heute noch die Kirche über dem Staate, weil das geistliche Schwert
höher als das weltliche ist; nach ihr ist heute noch der Papst der oberste
Richter in der Christenheit, und seinem Winke sind die Fürsten und alle weltliche
Obrigkeit Unterthan. Wem diese Grundsätze nicht gefallen, der muß einen
Kreuzzug gegen die katholische Kirche zustande bringen und das Papsttum
vernichten oder, wie ihrer Zeit die französischen Könige, in die Gefangenschaft
setzen. Solche Machtmittel stehen aber dem modernen konstitutionellen oder
parlamentarischen Staate nicht zu Gebote. Namentlich darf man bei der
Universalität der katholischen Kirche nicht glauben, daß eine Demütigung derselben
durch die Gesetzgebung eines einzelnen, auch noch so mächtigen Staates zu er¬
reichen sei.

Es kann sich also nur darum handeln, daß man die etwaigen Übergriffe
der Kirche in das staatliche Gebiet abwehrt, daß man die Macht, die in dem
Staate neben der staatlichen Gewalt besteht, nicht so mächtig werden läßt, daß
ihr die letztere auch in weltlichen Dingen dienstbar wird. Hier ist schon ein
Boden, auf welchem sich durch Verhandeln, durch Geben und Nehmen, Leistung
und Gegenleistung eine Einigung erreichen läßt. Hier liegt aber ein sehr breites
Feld vor uns, ehe man sagen kann, daß die Grenze von der einen oder andern
Seite überschritten sei, freilich ein ebenso großer Spielraum für Doktrinäre,
die sich diese Grenzen nach eigner Willkür setzen.

Die Kirchengesetze des Ministers Falk werden sicherlich nicht für sich das
Privilegium in Anspruch nehmen können, in dem jahrhundertelangen Grenzstreitc
der staatlichen und kirchlichen Gewalt die richtige Entscheidung getroffen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/555>, abgerufen am 02.07.2024.