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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Friede mit Rom.

gefühlt. Das neue deutsche Reich, diese herrlichste Schöpfung unsrer Tage, sah
sich durch den Kampf mit der katholischen Kirche seinen wesentlichsten Aufgaben
entfremdet. Eine mächtige Partei übernahm angeblich den Schutz der bedrohten
Rechte der Kirche und geriet dabei unvermerkt unter die Leitung eines notorischen
Welfcncigitators, d. h. des bedeutendsten innern Gegners, den das Reich hat.
Unter seiner Führung ist keine Vorlage sachlich, sondern lediglich nach den Be¬
dürfnissen einer jesuitisch-welfischen Politik geprüft worden. Diese Partei fand
die Unterstützung bei allen Fraktionen, welche ihr Ziel in der Bekämpfung der
Reichspolitik finden. Gerade solche, welche weder im Staat noch in der Kirche
irgendeine Autorität anerkennen, gerade solche, welche programmmäßig die
positive Religion bekämpfen oder sogar sich offen zum Atheismus bekennen,
waren in der Gegnerschaft gegen das Reich und dessen Regierung die getreuen
Bundesgenossen der katholischen Partei. Diesen Anstrengungen gegenüber hatte
das neue Reich, wenn man will, Tag für Tag um seine Existenz zu ringen,
um mir dasjenige durchzusetzen, was unbedingt zu seiner notdürftigen Unter¬
haltung nötig war. An große Reformpläne war nicht zu denken; nur einem
so bedeutenden Manne wie dem Fürsten Bismarck konnte es gelingen, in dieser
Zeit der Kämpfe den Frieden nach außen zu erhalten, die soziale Frage in
Angriff zu nehmen und die neuen Ideen einer gesunden Handels-, Zoll- und
Steuerpolitik in die Massen zu werfen. Wo einmal der eine oder der andre
Plan zur Ausführung kam, geschah dies nur unter großen Opfern, immer war
es der kirchliche Unfriede, der zum Deckmantel für alle Angriffe benutzt wurde.

Aber wenn auf der einen Seite der Staat für sich aus dem Kampfe keinen
Segen sprießen sah, so mußte jeder ernste und nicht vom Augenblick befangne
Mann sich sagen, daß auch die katholische Kirche in Deutschland ans abschüssigem
Wege war. Sie, deren ganze Grundlage in der Anerkenntnis der Autorität
besteht, mußte die staatliche Autorität fortwährend bekämpfen und oft mit Bundes¬
genossen und Mitteln, die eben nur bei einem erbitterten Kampfe ihre Erklärung
finden. Eine so hartnäckige Bekämpfung der Autorität hat aber Gefahren für den
Bekämpfenden, wenn das Volk so durchaus monarchisch und königstreu ist wie das
preußische. Den gebildeten Elementen ging die kirchliche Kampfesweise schon vom
Beginne des Kulturkampfes an viel zu weit, das Umsichgreifen des Jesuitismus
und der Demagogie im niedern Klerus flößte ihnen Besorgnis und Absehen ein.
Es war zu befürchten, daß sich dieser gute Kern gänzlich von dem kirchlichen Leben
losen und daß die Lauheit des Glaubens, durch welche sich die höhern prote¬
stantischen Kreise in so wenig vorteilhafter Weise auszeichnen, auch die bessere
katholische Bevölkerung ergreifen werde. Die niedere aber mußte in ihren sittlichen
Begriffen schwankend werden, wenn sie das ihnen so hochstehende Königtum, in
welchem sich in ihren Augen der Staat verkörpert, von der zweiten Autorität
mit anerkannten Feinden der Gesellschaft oft in maßloser Weise angegriffen sah.
Im Osten aber verwilderte das kirchliche Leben gänzlich durch den Mangel


Der Friede mit Rom.

gefühlt. Das neue deutsche Reich, diese herrlichste Schöpfung unsrer Tage, sah
sich durch den Kampf mit der katholischen Kirche seinen wesentlichsten Aufgaben
entfremdet. Eine mächtige Partei übernahm angeblich den Schutz der bedrohten
Rechte der Kirche und geriet dabei unvermerkt unter die Leitung eines notorischen
Welfcncigitators, d. h. des bedeutendsten innern Gegners, den das Reich hat.
Unter seiner Führung ist keine Vorlage sachlich, sondern lediglich nach den Be¬
dürfnissen einer jesuitisch-welfischen Politik geprüft worden. Diese Partei fand
die Unterstützung bei allen Fraktionen, welche ihr Ziel in der Bekämpfung der
Reichspolitik finden. Gerade solche, welche weder im Staat noch in der Kirche
irgendeine Autorität anerkennen, gerade solche, welche programmmäßig die
positive Religion bekämpfen oder sogar sich offen zum Atheismus bekennen,
waren in der Gegnerschaft gegen das Reich und dessen Regierung die getreuen
Bundesgenossen der katholischen Partei. Diesen Anstrengungen gegenüber hatte
das neue Reich, wenn man will, Tag für Tag um seine Existenz zu ringen,
um mir dasjenige durchzusetzen, was unbedingt zu seiner notdürftigen Unter¬
haltung nötig war. An große Reformpläne war nicht zu denken; nur einem
so bedeutenden Manne wie dem Fürsten Bismarck konnte es gelingen, in dieser
Zeit der Kämpfe den Frieden nach außen zu erhalten, die soziale Frage in
Angriff zu nehmen und die neuen Ideen einer gesunden Handels-, Zoll- und
Steuerpolitik in die Massen zu werfen. Wo einmal der eine oder der andre
Plan zur Ausführung kam, geschah dies nur unter großen Opfern, immer war
es der kirchliche Unfriede, der zum Deckmantel für alle Angriffe benutzt wurde.

Aber wenn auf der einen Seite der Staat für sich aus dem Kampfe keinen
Segen sprießen sah, so mußte jeder ernste und nicht vom Augenblick befangne
Mann sich sagen, daß auch die katholische Kirche in Deutschland ans abschüssigem
Wege war. Sie, deren ganze Grundlage in der Anerkenntnis der Autorität
besteht, mußte die staatliche Autorität fortwährend bekämpfen und oft mit Bundes¬
genossen und Mitteln, die eben nur bei einem erbitterten Kampfe ihre Erklärung
finden. Eine so hartnäckige Bekämpfung der Autorität hat aber Gefahren für den
Bekämpfenden, wenn das Volk so durchaus monarchisch und königstreu ist wie das
preußische. Den gebildeten Elementen ging die kirchliche Kampfesweise schon vom
Beginne des Kulturkampfes an viel zu weit, das Umsichgreifen des Jesuitismus
und der Demagogie im niedern Klerus flößte ihnen Besorgnis und Absehen ein.
Es war zu befürchten, daß sich dieser gute Kern gänzlich von dem kirchlichen Leben
losen und daß die Lauheit des Glaubens, durch welche sich die höhern prote¬
stantischen Kreise in so wenig vorteilhafter Weise auszeichnen, auch die bessere
katholische Bevölkerung ergreifen werde. Die niedere aber mußte in ihren sittlichen
Begriffen schwankend werden, wenn sie das ihnen so hochstehende Königtum, in
welchem sich in ihren Augen der Staat verkörpert, von der zweiten Autorität
mit anerkannten Feinden der Gesellschaft oft in maßloser Weise angegriffen sah.
Im Osten aber verwilderte das kirchliche Leben gänzlich durch den Mangel


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[0554] Der Friede mit Rom. gefühlt. Das neue deutsche Reich, diese herrlichste Schöpfung unsrer Tage, sah sich durch den Kampf mit der katholischen Kirche seinen wesentlichsten Aufgaben entfremdet. Eine mächtige Partei übernahm angeblich den Schutz der bedrohten Rechte der Kirche und geriet dabei unvermerkt unter die Leitung eines notorischen Welfcncigitators, d. h. des bedeutendsten innern Gegners, den das Reich hat. Unter seiner Führung ist keine Vorlage sachlich, sondern lediglich nach den Be¬ dürfnissen einer jesuitisch-welfischen Politik geprüft worden. Diese Partei fand die Unterstützung bei allen Fraktionen, welche ihr Ziel in der Bekämpfung der Reichspolitik finden. Gerade solche, welche weder im Staat noch in der Kirche irgendeine Autorität anerkennen, gerade solche, welche programmmäßig die positive Religion bekämpfen oder sogar sich offen zum Atheismus bekennen, waren in der Gegnerschaft gegen das Reich und dessen Regierung die getreuen Bundesgenossen der katholischen Partei. Diesen Anstrengungen gegenüber hatte das neue Reich, wenn man will, Tag für Tag um seine Existenz zu ringen, um mir dasjenige durchzusetzen, was unbedingt zu seiner notdürftigen Unter¬ haltung nötig war. An große Reformpläne war nicht zu denken; nur einem so bedeutenden Manne wie dem Fürsten Bismarck konnte es gelingen, in dieser Zeit der Kämpfe den Frieden nach außen zu erhalten, die soziale Frage in Angriff zu nehmen und die neuen Ideen einer gesunden Handels-, Zoll- und Steuerpolitik in die Massen zu werfen. Wo einmal der eine oder der andre Plan zur Ausführung kam, geschah dies nur unter großen Opfern, immer war es der kirchliche Unfriede, der zum Deckmantel für alle Angriffe benutzt wurde. Aber wenn auf der einen Seite der Staat für sich aus dem Kampfe keinen Segen sprießen sah, so mußte jeder ernste und nicht vom Augenblick befangne Mann sich sagen, daß auch die katholische Kirche in Deutschland ans abschüssigem Wege war. Sie, deren ganze Grundlage in der Anerkenntnis der Autorität besteht, mußte die staatliche Autorität fortwährend bekämpfen und oft mit Bundes¬ genossen und Mitteln, die eben nur bei einem erbitterten Kampfe ihre Erklärung finden. Eine so hartnäckige Bekämpfung der Autorität hat aber Gefahren für den Bekämpfenden, wenn das Volk so durchaus monarchisch und königstreu ist wie das preußische. Den gebildeten Elementen ging die kirchliche Kampfesweise schon vom Beginne des Kulturkampfes an viel zu weit, das Umsichgreifen des Jesuitismus und der Demagogie im niedern Klerus flößte ihnen Besorgnis und Absehen ein. Es war zu befürchten, daß sich dieser gute Kern gänzlich von dem kirchlichen Leben losen und daß die Lauheit des Glaubens, durch welche sich die höhern prote¬ stantischen Kreise in so wenig vorteilhafter Weise auszeichnen, auch die bessere katholische Bevölkerung ergreifen werde. Die niedere aber mußte in ihren sittlichen Begriffen schwankend werden, wenn sie das ihnen so hochstehende Königtum, in welchem sich in ihren Augen der Staat verkörpert, von der zweiten Autorität mit anerkannten Feinden der Gesellschaft oft in maßloser Weise angegriffen sah. Im Osten aber verwilderte das kirchliche Leben gänzlich durch den Mangel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/554>, abgerufen am 30.06.2024.