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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Frieden am Horizonte.

und Bonaparte das Andenke:? an allerlei Großthaten der Vergangenheit knüpft.
Jenseits des Kanals bemühen sich Gladstone und die irischen Homeruler das
Werk zu erschüttern und zu zerbröckeln, das Strongbow vor Jahrhunderten auf¬
richtete. Die Ansprüche Griechenlands, welche bis vor kurzem die Levante mit
Krieg bedrohten, hatten keinen andern Grund für sich anzuführen als Erinne¬
rungen an mittelalterliche Verhältnisse. Ganz in dasselbe Kapitel gehört es,
wenn der Bürgermeister von Moskau seinen Zaren in öffentlicher Ansprache
die Zeit ins Gedächtnis zurückrufen zu dürfen glaubt, wo auf der Kuppel der
Sophienkirche, die jetzt die Hauptmoschee von Konstantinopel ist, das Kreuz
glänzte.

Allerdings ist das würdige Stadthaupt einer im Rufe stark chauvinistischer
Gesinnung stehenden Metropole kein Verantwortlicher Staatsbeamter, und so
kann er sagen, was er will, ohne diplomatische Vorstellungen dadurch zu ver¬
anlassen. Trotzdem sah die Sache auf den ersten Blick sonderbar aus. Der
Zar und der Sultan befinden sich miteinander im Frieden, sie verkehren durch
Gesandtschaften in aller Freundschaft, sie haben noch ganz kürzlich sich über die
beste Methode verständigt, das Überschäumen des bulgarischen Einheitsdranges
zu verhüten, sie tauschen Komplimente und Geschenke aus. Nichtsdestoweniger
Hort der Kaiser Alexander ohne Widerspruch und Tadel aus dem Munde eines
hochstehenden Mannes einen frommen Wunsch an, dessen Ausführung die Ab-
sendung eines russischen Heeres in die Lande des Sultans und die Einnahme
von dessen Hauptstadt einschließt. Dieser Wunsch wurde nicht geradezu aus¬
gesprochen, schien aber deutlich durch die Erinnerung hindurch. In der Kirche
der heiligen Sophia fand am 29. Mai 1453 das letzte große Blutbad statt,
als die Türken Konstantinopel erstürmten. Der Kaiser war in der Bresche ge¬
fallen, die Soldaten desselben waren geflohen oder niedergehauen worden, eine
Masse Unbewaffneter, darunter Frauen und Kinder, hatten in den Mauern des
Gotteshauses eine Zuflucht gesucht und wurden hier von den Siegern ab¬
geschlachtet. Eine Legende der orientalischen Kirche berichtet, daß beim Ein¬
dringen der türkischen Krieger gerade zwei Priester in blauen Gewändern am
Altare Messe gelesen hätten nud bei Beginn des Gemetzels wunderbar entrückt
und in den massiven Wänden geborgen worden wären. Von Zeit zu Zeit
käme" sie heraus, um schweigend durch Geberden den geheiligten Ritus zu wieder¬
holen, und eines Tages würden sie wieder erscheinen, um zu sehen, wie der
Halbmond von der Kirche entfernt und durch das Shmbvl des Christentums
ersetzt werde" würde. Im Osten erhalten sich solche Erinnerungen lange, und
die Russen sind ein Volk des Ostens. Wenn ein Präsident der französischen
Republik, der mit uns freundschaftliche Beziehungen unterhielte, in einer öffent¬
lichen Ansprache an sich eine Stelle gestatten wollte, welche eine Anspielung
auf den Einmarsch des französischen Heeres in Berlin einschlösse, so würden
wir darin sicher ein Zeichen erblicken dürfen, daß nächstens ein Krieg ausbrechen


Frieden am Horizonte.

und Bonaparte das Andenke:? an allerlei Großthaten der Vergangenheit knüpft.
Jenseits des Kanals bemühen sich Gladstone und die irischen Homeruler das
Werk zu erschüttern und zu zerbröckeln, das Strongbow vor Jahrhunderten auf¬
richtete. Die Ansprüche Griechenlands, welche bis vor kurzem die Levante mit
Krieg bedrohten, hatten keinen andern Grund für sich anzuführen als Erinne¬
rungen an mittelalterliche Verhältnisse. Ganz in dasselbe Kapitel gehört es,
wenn der Bürgermeister von Moskau seinen Zaren in öffentlicher Ansprache
die Zeit ins Gedächtnis zurückrufen zu dürfen glaubt, wo auf der Kuppel der
Sophienkirche, die jetzt die Hauptmoschee von Konstantinopel ist, das Kreuz
glänzte.

Allerdings ist das würdige Stadthaupt einer im Rufe stark chauvinistischer
Gesinnung stehenden Metropole kein Verantwortlicher Staatsbeamter, und so
kann er sagen, was er will, ohne diplomatische Vorstellungen dadurch zu ver¬
anlassen. Trotzdem sah die Sache auf den ersten Blick sonderbar aus. Der
Zar und der Sultan befinden sich miteinander im Frieden, sie verkehren durch
Gesandtschaften in aller Freundschaft, sie haben noch ganz kürzlich sich über die
beste Methode verständigt, das Überschäumen des bulgarischen Einheitsdranges
zu verhüten, sie tauschen Komplimente und Geschenke aus. Nichtsdestoweniger
Hort der Kaiser Alexander ohne Widerspruch und Tadel aus dem Munde eines
hochstehenden Mannes einen frommen Wunsch an, dessen Ausführung die Ab-
sendung eines russischen Heeres in die Lande des Sultans und die Einnahme
von dessen Hauptstadt einschließt. Dieser Wunsch wurde nicht geradezu aus¬
gesprochen, schien aber deutlich durch die Erinnerung hindurch. In der Kirche
der heiligen Sophia fand am 29. Mai 1453 das letzte große Blutbad statt,
als die Türken Konstantinopel erstürmten. Der Kaiser war in der Bresche ge¬
fallen, die Soldaten desselben waren geflohen oder niedergehauen worden, eine
Masse Unbewaffneter, darunter Frauen und Kinder, hatten in den Mauern des
Gotteshauses eine Zuflucht gesucht und wurden hier von den Siegern ab¬
geschlachtet. Eine Legende der orientalischen Kirche berichtet, daß beim Ein¬
dringen der türkischen Krieger gerade zwei Priester in blauen Gewändern am
Altare Messe gelesen hätten nud bei Beginn des Gemetzels wunderbar entrückt
und in den massiven Wänden geborgen worden wären. Von Zeit zu Zeit
käme» sie heraus, um schweigend durch Geberden den geheiligten Ritus zu wieder¬
holen, und eines Tages würden sie wieder erscheinen, um zu sehen, wie der
Halbmond von der Kirche entfernt und durch das Shmbvl des Christentums
ersetzt werde» würde. Im Osten erhalten sich solche Erinnerungen lange, und
die Russen sind ein Volk des Ostens. Wenn ein Präsident der französischen
Republik, der mit uns freundschaftliche Beziehungen unterhielte, in einer öffent¬
lichen Ansprache an sich eine Stelle gestatten wollte, welche eine Anspielung
auf den Einmarsch des französischen Heeres in Berlin einschlösse, so würden
wir darin sicher ein Zeichen erblicken dürfen, daß nächstens ein Krieg ausbrechen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/539>, abgerufen am 30.06.2024.