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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

zum Auslande. Auch ist die Handelsbilanz doch immer nur ein Teil "der stets
schwankenden Nermögensbilanz verschiedner Länder"; und wenn eine anhaltende
Zahlungsverpflichtung eines Staates gegen das gesamte Ausland besteht, so
handelt es sich zunächst darum, welche im Inlande erzeugten oder erworbnen
Werte jener Staat zuerst veräußern und abgeben will. In dieser Hinsicht
besteht zwischen Fonds, Geldsorten, Waaren und umlaufender Münze eine leicht
ersichtliche Stufenfolge, sowohl betreffs ihrer Bedeutung als Wertgegenstand
für die Nation, wie auch betreffs der diesen Werten innewohnenden Neigung,
auszuwandern oder im Lande zu verbleiben. Das umlaufende Metallgeld aber
ist nach dieser Abstufung das bedeutungs- und wertvollste Vermögensvbjekt
eines Landes. Ehe ein Staat also sich seiner Zirkulationsmittel entkleidet, wird
er zur Ausgleichung der Handelsbilanz weit eher zu einer Waaren- und Kapital-
veräußeruug schreiten und schließlich nur im äußersten Falle seine Geldsorten
angreifen. Freilich wird eine solche erzwungene Veräußerung ein Sinken des
Preises der Landesprodukte zur Folge haben; es könnte demnach scheinen,
als sei die Bezahlung mit Münze, ungeachtet ihrer Gebundenheit an das In¬
land, dennoch vorteilhafter wegen ihres unveränderlichen Wertverhältnisses zum
Auslande. Allein ein Abfluß des Metallgeldes würde ebenfalls ein Steigen
des Geldwertes und mithin eine Preiserniedriguug aller andern Vermögens-
objekte zur Folge haben. Jedes Streben also, mit Münze im Auslande Zahlung
zu leisten, um die Veräußerung anderweitiger Werte unter dem Preise zu ver¬
meiden, würde sich immer erfolglos erweisen, da gerade durch dieses Streben
der Preis aller übrigen Werte entsprechend sinken muß. Ein solcher Grad der
Verarmung aber, der bei gänzlichem Mangel sonstiger veräußerlichen Vermögens-
objekte den Staat zwänge, sich seines Mctallvorrats zu entledigen, ist bei der
Entwicklung des heutigen Kreditlebeus nicht denkbar. Vielmehr lehrt die Finanz-
gcschichte aller europäischen Staaten, daß für gewöhnlich die Handelsbilanz
durch Waaren- und Kapitalsübertragungen ausgeglichen wird, daß Geldsorten nur
bei plötzlich auftretenden Forderungen (Kontributionen, Getreideaukäufeu infolge
von Mißernten ^c.) angegriffen werden, während ein Abfluß umlaufenden baaren
Geldes in den allerseltensten Fällen und selbst dann nur vorübergehend eintritt.
In letzterer Hinsicht ist die Abwicklung der französischen Kontributionszahluug in
deu Jahren 1871^73 ein neuer charakteristischer Beweis, daß die Landesmünze
stets nach der Heimat zurückstrcbt und selbst nach massenhafter Auswanderung
binnen kurzem durch Waaren und auswärtige Rentenfordernngen eingetauscht wird.

Die drei verschiedenartigen Erklärungen, welche man für das Verschwinden
der russischen Münze zu finden geglaubt hat, entbehren also teils jedes sachlichen
Halts, teils beruhen sie auf einer mangelhaften Unterscheidung zwischen den
Begriffen Geld und Kapital. Die erwähnten Vorgänge können wohl zeitweilige
Schwankungen der Valuta hervorrufen, vermögen aber nicht eine so nachhaltige
Wirkung auszuüben.


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

zum Auslande. Auch ist die Handelsbilanz doch immer nur ein Teil „der stets
schwankenden Nermögensbilanz verschiedner Länder"; und wenn eine anhaltende
Zahlungsverpflichtung eines Staates gegen das gesamte Ausland besteht, so
handelt es sich zunächst darum, welche im Inlande erzeugten oder erworbnen
Werte jener Staat zuerst veräußern und abgeben will. In dieser Hinsicht
besteht zwischen Fonds, Geldsorten, Waaren und umlaufender Münze eine leicht
ersichtliche Stufenfolge, sowohl betreffs ihrer Bedeutung als Wertgegenstand
für die Nation, wie auch betreffs der diesen Werten innewohnenden Neigung,
auszuwandern oder im Lande zu verbleiben. Das umlaufende Metallgeld aber
ist nach dieser Abstufung das bedeutungs- und wertvollste Vermögensvbjekt
eines Landes. Ehe ein Staat also sich seiner Zirkulationsmittel entkleidet, wird
er zur Ausgleichung der Handelsbilanz weit eher zu einer Waaren- und Kapital-
veräußeruug schreiten und schließlich nur im äußersten Falle seine Geldsorten
angreifen. Freilich wird eine solche erzwungene Veräußerung ein Sinken des
Preises der Landesprodukte zur Folge haben; es könnte demnach scheinen,
als sei die Bezahlung mit Münze, ungeachtet ihrer Gebundenheit an das In¬
land, dennoch vorteilhafter wegen ihres unveränderlichen Wertverhältnisses zum
Auslande. Allein ein Abfluß des Metallgeldes würde ebenfalls ein Steigen
des Geldwertes und mithin eine Preiserniedriguug aller andern Vermögens-
objekte zur Folge haben. Jedes Streben also, mit Münze im Auslande Zahlung
zu leisten, um die Veräußerung anderweitiger Werte unter dem Preise zu ver¬
meiden, würde sich immer erfolglos erweisen, da gerade durch dieses Streben
der Preis aller übrigen Werte entsprechend sinken muß. Ein solcher Grad der
Verarmung aber, der bei gänzlichem Mangel sonstiger veräußerlichen Vermögens-
objekte den Staat zwänge, sich seines Mctallvorrats zu entledigen, ist bei der
Entwicklung des heutigen Kreditlebeus nicht denkbar. Vielmehr lehrt die Finanz-
gcschichte aller europäischen Staaten, daß für gewöhnlich die Handelsbilanz
durch Waaren- und Kapitalsübertragungen ausgeglichen wird, daß Geldsorten nur
bei plötzlich auftretenden Forderungen (Kontributionen, Getreideaukäufeu infolge
von Mißernten ^c.) angegriffen werden, während ein Abfluß umlaufenden baaren
Geldes in den allerseltensten Fällen und selbst dann nur vorübergehend eintritt.
In letzterer Hinsicht ist die Abwicklung der französischen Kontributionszahluug in
deu Jahren 1871^73 ein neuer charakteristischer Beweis, daß die Landesmünze
stets nach der Heimat zurückstrcbt und selbst nach massenhafter Auswanderung
binnen kurzem durch Waaren und auswärtige Rentenfordernngen eingetauscht wird.

Die drei verschiedenartigen Erklärungen, welche man für das Verschwinden
der russischen Münze zu finden geglaubt hat, entbehren also teils jedes sachlichen
Halts, teils beruhen sie auf einer mangelhaften Unterscheidung zwischen den
Begriffen Geld und Kapital. Die erwähnten Vorgänge können wohl zeitweilige
Schwankungen der Valuta hervorrufen, vermögen aber nicht eine so nachhaltige
Wirkung auszuüben.


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[0514] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. zum Auslande. Auch ist die Handelsbilanz doch immer nur ein Teil „der stets schwankenden Nermögensbilanz verschiedner Länder"; und wenn eine anhaltende Zahlungsverpflichtung eines Staates gegen das gesamte Ausland besteht, so handelt es sich zunächst darum, welche im Inlande erzeugten oder erworbnen Werte jener Staat zuerst veräußern und abgeben will. In dieser Hinsicht besteht zwischen Fonds, Geldsorten, Waaren und umlaufender Münze eine leicht ersichtliche Stufenfolge, sowohl betreffs ihrer Bedeutung als Wertgegenstand für die Nation, wie auch betreffs der diesen Werten innewohnenden Neigung, auszuwandern oder im Lande zu verbleiben. Das umlaufende Metallgeld aber ist nach dieser Abstufung das bedeutungs- und wertvollste Vermögensvbjekt eines Landes. Ehe ein Staat also sich seiner Zirkulationsmittel entkleidet, wird er zur Ausgleichung der Handelsbilanz weit eher zu einer Waaren- und Kapital- veräußeruug schreiten und schließlich nur im äußersten Falle seine Geldsorten angreifen. Freilich wird eine solche erzwungene Veräußerung ein Sinken des Preises der Landesprodukte zur Folge haben; es könnte demnach scheinen, als sei die Bezahlung mit Münze, ungeachtet ihrer Gebundenheit an das In¬ land, dennoch vorteilhafter wegen ihres unveränderlichen Wertverhältnisses zum Auslande. Allein ein Abfluß des Metallgeldes würde ebenfalls ein Steigen des Geldwertes und mithin eine Preiserniedriguug aller andern Vermögens- objekte zur Folge haben. Jedes Streben also, mit Münze im Auslande Zahlung zu leisten, um die Veräußerung anderweitiger Werte unter dem Preise zu ver¬ meiden, würde sich immer erfolglos erweisen, da gerade durch dieses Streben der Preis aller übrigen Werte entsprechend sinken muß. Ein solcher Grad der Verarmung aber, der bei gänzlichem Mangel sonstiger veräußerlichen Vermögens- objekte den Staat zwänge, sich seines Mctallvorrats zu entledigen, ist bei der Entwicklung des heutigen Kreditlebeus nicht denkbar. Vielmehr lehrt die Finanz- gcschichte aller europäischen Staaten, daß für gewöhnlich die Handelsbilanz durch Waaren- und Kapitalsübertragungen ausgeglichen wird, daß Geldsorten nur bei plötzlich auftretenden Forderungen (Kontributionen, Getreideaukäufeu infolge von Mißernten ^c.) angegriffen werden, während ein Abfluß umlaufenden baaren Geldes in den allerseltensten Fällen und selbst dann nur vorübergehend eintritt. In letzterer Hinsicht ist die Abwicklung der französischen Kontributionszahluug in deu Jahren 1871^73 ein neuer charakteristischer Beweis, daß die Landesmünze stets nach der Heimat zurückstrcbt und selbst nach massenhafter Auswanderung binnen kurzem durch Waaren und auswärtige Rentenfordernngen eingetauscht wird. Die drei verschiedenartigen Erklärungen, welche man für das Verschwinden der russischen Münze zu finden geglaubt hat, entbehren also teils jedes sachlichen Halts, teils beruhen sie auf einer mangelhaften Unterscheidung zwischen den Begriffen Geld und Kapital. Die erwähnten Vorgänge können wohl zeitweilige Schwankungen der Valuta hervorrufen, vermögen aber nicht eine so nachhaltige Wirkung auszuüben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/514>, abgerufen am 30.06.2024.