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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Papier "drei Jahre nach Abschluß des Friedens, und womöglich noch früher"
allmählich wieder einziehen zu wollen.

Der Abschluß einer Anleihe war erst möglich, als die Aussichten auf Frieden
an Wahrscheinlichkeit gewonnen hatten. Bis dahin hatte man sich ausschließlich
mit der Vermehrung der Billets geholfen, deren Gesamtsumme am 1. Januar 1856
etwa 509 Mill. betrug. Bisher hatte der Kurs keine nennenswerten Schwan¬
kungen erlitten; in manchen Landesteilen war sogar Papier gesucht, allein
wenigstens der gesetzlich bestimmte sechste Teil mußte in klingender Münze de-
ponirt sein, wenn bei dem immer mehr ersichtlichen Verschwinden der Münze zu
allen Kriegsnöten nicht noch die Entwertung des Papiergeldes hinzutreten sollte.
Nachdem auf den ausländischen Märkten die lockendsten Versuche fruchtlos ge¬
blieben waren, gelang es der Regierung endlich, mit dem Hause Stieglitz eine
Anleihe von 50 Millionen abzuschließen. Allein anch das mit dieser Finanz¬
operation teuer erkaufte Geld floß uur zum geringen Teil in den Um-
wcchslungsfonds und wurde von den dringenderen laufende" Ansprüchen auf¬
gesogen.

In dem Maße wie die Flut der papiernen Wertzeichen stieg und der
Metallslock des Landes abnahm, näherte sich der Zeitpunkt, wo die Einlösbarkeit
der Billets illusorisch und die Haltung des Parikurses unmöglich sein mußte.
An der Berliner Börse werden die Rubelkurse erst seit 1875 amtlich verzeichnet.
(Für den Wechselkurs vor dieser Zeit muß die Londoner Notiz zu Rate gezogen
werden. Dieselbe drückt den Wert des Rudels in Pence aus. Vor dem Krim¬
kriege war der Kurs 38 bis 39; 1854 fiel er auf 33,5, erhob sich 1855 auf
36,5, stand 1856 zeitweise wieder auf 39, schwankte in den nächsten Jahren
bis 1864 zwischen 38 und 34 und erreichte seinen tiefsten Stand während der
beiden Kriegsjahre 1866 und 1870 mit 26 und 28,50. Auch nachher, bis
1875, hielt sich der Kurs auf dem niedrigen Stande zwischen 31 und 34 Pence.)
Das Mißverhältnis zwischen dem Papier- und Metallvorrat wurde noch
gesteigert durch die infolge des Krieges eingetretene Entwertung des Grund¬
besitzes. Die Kreditschnld des Staates ist nämlich auf die bei den Banken ver¬
pfändeten Immobilien gegründet, und zwar vorzugsweise auf den Privatgrnnd-
besitz. Davon bildet wiederum den größten Teil das adliche Grundeigentum,
dessen Gesamtwert man unmittelbar vor dem Kriege auf etwas über 1300 Mil¬
lionen Silberrubel schätzte und das etwa zur Hälfte bei den Reichskreditanstalten
verpfändet war. Einschließlich der übrigen Pfandobjekte im Werte von ungefähr
50 Millionen hatte diese hypothekarische Sicherheit bisher eine materielle
Fundirnng der Kreditbillets mit etwa 700 Millionen ergeben. Nachdem nnn
der Krieg mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung und mehr als zehn
Prozent der lebenskräftigsten Altersklassen zu deu Waffen gerufen hatte, nachdem
der Grundbesitz verödet, der Bestand der Leibeigenen dezimirt und die Boden¬
kultur verwahrlost war, konnte von einem entsprechenden Werte der Fundirnng


Papier „drei Jahre nach Abschluß des Friedens, und womöglich noch früher"
allmählich wieder einziehen zu wollen.

Der Abschluß einer Anleihe war erst möglich, als die Aussichten auf Frieden
an Wahrscheinlichkeit gewonnen hatten. Bis dahin hatte man sich ausschließlich
mit der Vermehrung der Billets geholfen, deren Gesamtsumme am 1. Januar 1856
etwa 509 Mill. betrug. Bisher hatte der Kurs keine nennenswerten Schwan¬
kungen erlitten; in manchen Landesteilen war sogar Papier gesucht, allein
wenigstens der gesetzlich bestimmte sechste Teil mußte in klingender Münze de-
ponirt sein, wenn bei dem immer mehr ersichtlichen Verschwinden der Münze zu
allen Kriegsnöten nicht noch die Entwertung des Papiergeldes hinzutreten sollte.
Nachdem auf den ausländischen Märkten die lockendsten Versuche fruchtlos ge¬
blieben waren, gelang es der Regierung endlich, mit dem Hause Stieglitz eine
Anleihe von 50 Millionen abzuschließen. Allein anch das mit dieser Finanz¬
operation teuer erkaufte Geld floß uur zum geringen Teil in den Um-
wcchslungsfonds und wurde von den dringenderen laufende» Ansprüchen auf¬
gesogen.

In dem Maße wie die Flut der papiernen Wertzeichen stieg und der
Metallslock des Landes abnahm, näherte sich der Zeitpunkt, wo die Einlösbarkeit
der Billets illusorisch und die Haltung des Parikurses unmöglich sein mußte.
An der Berliner Börse werden die Rubelkurse erst seit 1875 amtlich verzeichnet.
(Für den Wechselkurs vor dieser Zeit muß die Londoner Notiz zu Rate gezogen
werden. Dieselbe drückt den Wert des Rudels in Pence aus. Vor dem Krim¬
kriege war der Kurs 38 bis 39; 1854 fiel er auf 33,5, erhob sich 1855 auf
36,5, stand 1856 zeitweise wieder auf 39, schwankte in den nächsten Jahren
bis 1864 zwischen 38 und 34 und erreichte seinen tiefsten Stand während der
beiden Kriegsjahre 1866 und 1870 mit 26 und 28,50. Auch nachher, bis
1875, hielt sich der Kurs auf dem niedrigen Stande zwischen 31 und 34 Pence.)
Das Mißverhältnis zwischen dem Papier- und Metallvorrat wurde noch
gesteigert durch die infolge des Krieges eingetretene Entwertung des Grund¬
besitzes. Die Kreditschnld des Staates ist nämlich auf die bei den Banken ver¬
pfändeten Immobilien gegründet, und zwar vorzugsweise auf den Privatgrnnd-
besitz. Davon bildet wiederum den größten Teil das adliche Grundeigentum,
dessen Gesamtwert man unmittelbar vor dem Kriege auf etwas über 1300 Mil¬
lionen Silberrubel schätzte und das etwa zur Hälfte bei den Reichskreditanstalten
verpfändet war. Einschließlich der übrigen Pfandobjekte im Werte von ungefähr
50 Millionen hatte diese hypothekarische Sicherheit bisher eine materielle
Fundirnng der Kreditbillets mit etwa 700 Millionen ergeben. Nachdem nnn
der Krieg mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung und mehr als zehn
Prozent der lebenskräftigsten Altersklassen zu deu Waffen gerufen hatte, nachdem
der Grundbesitz verödet, der Bestand der Leibeigenen dezimirt und die Boden¬
kultur verwahrlost war, konnte von einem entsprechenden Werte der Fundirnng


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/510>, abgerufen am 30.06.2024.