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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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trat, sank auch der Wert, und die Eigenschaft als Wertträger verlor sich von
selbst. Die Sicherheit der Einlösung war min überhaupt von vornherein
gefährdet. Die Sechstel-Deckung, welche in den vierziger Jahren allenfalls
genügt haben mochte, konnte immer nur für gewöhnliche Zeitläufte ausreichen
und mußte sich jedesmal im entscheidenden Augenblicke als ungenügend erweisen.

Auch war vorauszusehen, daß bei der ersten Gelegenheit, wo ein plötzliches
Bedürfnis nach Geld eintreten würde, die Regierung der Versuchung zur weitern
Fabrikation dieses fiktiven Geldes nicht widerstehen werde. Schon in den Jahren
1849 und 1853 fand auf Grund kaiserlicher Erlasse eine jeweilige Vermehrung
der Kreditbillete um 20 bez. 40 Mill. statt. Der somit auf etwa 240 Will.
Rubel Silber gestiegene Betrag erhielt sich in dieser Höhe bis zum Jahre 1855
und entsprach damals dem Bedürfnis wie dem vorhandnen Umwechslungs-
fonds noch in ziemlich gesunder Weise.

Gleichzeitig aber war in dem Jahrzehnt von 1838 bis 1848 die eigentliche
Staatsschuld um mehr als 190 Millionen gewachsen, und dieses Wachstum nahm
in den letzten vier Friedensjahren noch größere Ausdehnung an. Dem Namen nach
lautete der Schuldbetrag zu Ende 1852 auf 888 Millionen Silberrubel; doch
fehlte dabei noch das Kapital, welches bei den Kreditbanken aufgenommen war
und etwa 15 Millionen betrug, sodaß die Gesamtsumme -- Terininschuld, un¬
kündbare, verzinsliche und unverzinsliche -- nicht weniger als 903 Millionen
ausmachte.

Mit solchen Finanzverhältnissen trat Rußland an den Krimkrieg heran.
Während seiner Vorbereitung und Einleitung stieg in dem einzigen Finanzjahre
1853 bis 1854 die Gesmntschnld um weitere 130 Millionen. Am 1. Januar
1854 ward die Summe der umlaufenden Kreditbillets ans 333 Millionen
angegeben, und wenige Wochen darauf erfolgte das Ausfuhrverbot für russische
Goldmünzen. Diese veraltete und von der Staatsökonomie längst als unzweck¬
mäßig verworfene Maßregel vermochte natürlich das Übel nicht zu heben, sondern
trug mir dazu bei, die Beurteilung der eigentlichen Sachlage zu trüben. Derartige
negative Auskunftsmittel (wie Ausfuhr- und Agioverbote), die auf keiner ver¬
nünftigen Grundlage ruhen, Pflegen gewöhnlich das Metall mir aus dem
Verkehr in geheime Berstecke zu treiben oder führen zur heimlichen Übertretung
der Gesetze, welche sich der Kontrole entzieht und also niemals zu einem klaren
Begriff von dem wirklichen Stand des metallischen Nivellements gelangen läßt.
Mit dem Beginne des Jahres 1855 hörte nun die Möglichkeit auf, die um¬
laufende Masse der aufnotirten Wertzeichen auch nur ungefähr zu überblicken,
denn der Ukas vom 10. Januar ermächtigte den Finanzminister, "alle außer¬
ordentlichen Kriegskosten" durch zeitweilige Emissionen von Kreditbillcts zu
decken. Vou diesem Augenblicke an fand also die Papierausgabe grundsätzlich
ihre alleinige Begrenzung in dein befriedigten Bedürfnisse des Staates; die einzige
Verpflichtung, welche dieser übernahm, war das Versprechen, das jetzt ausgegebene


trat, sank auch der Wert, und die Eigenschaft als Wertträger verlor sich von
selbst. Die Sicherheit der Einlösung war min überhaupt von vornherein
gefährdet. Die Sechstel-Deckung, welche in den vierziger Jahren allenfalls
genügt haben mochte, konnte immer nur für gewöhnliche Zeitläufte ausreichen
und mußte sich jedesmal im entscheidenden Augenblicke als ungenügend erweisen.

Auch war vorauszusehen, daß bei der ersten Gelegenheit, wo ein plötzliches
Bedürfnis nach Geld eintreten würde, die Regierung der Versuchung zur weitern
Fabrikation dieses fiktiven Geldes nicht widerstehen werde. Schon in den Jahren
1849 und 1853 fand auf Grund kaiserlicher Erlasse eine jeweilige Vermehrung
der Kreditbillete um 20 bez. 40 Mill. statt. Der somit auf etwa 240 Will.
Rubel Silber gestiegene Betrag erhielt sich in dieser Höhe bis zum Jahre 1855
und entsprach damals dem Bedürfnis wie dem vorhandnen Umwechslungs-
fonds noch in ziemlich gesunder Weise.

Gleichzeitig aber war in dem Jahrzehnt von 1838 bis 1848 die eigentliche
Staatsschuld um mehr als 190 Millionen gewachsen, und dieses Wachstum nahm
in den letzten vier Friedensjahren noch größere Ausdehnung an. Dem Namen nach
lautete der Schuldbetrag zu Ende 1852 auf 888 Millionen Silberrubel; doch
fehlte dabei noch das Kapital, welches bei den Kreditbanken aufgenommen war
und etwa 15 Millionen betrug, sodaß die Gesamtsumme — Terininschuld, un¬
kündbare, verzinsliche und unverzinsliche — nicht weniger als 903 Millionen
ausmachte.

Mit solchen Finanzverhältnissen trat Rußland an den Krimkrieg heran.
Während seiner Vorbereitung und Einleitung stieg in dem einzigen Finanzjahre
1853 bis 1854 die Gesmntschnld um weitere 130 Millionen. Am 1. Januar
1854 ward die Summe der umlaufenden Kreditbillets ans 333 Millionen
angegeben, und wenige Wochen darauf erfolgte das Ausfuhrverbot für russische
Goldmünzen. Diese veraltete und von der Staatsökonomie längst als unzweck¬
mäßig verworfene Maßregel vermochte natürlich das Übel nicht zu heben, sondern
trug mir dazu bei, die Beurteilung der eigentlichen Sachlage zu trüben. Derartige
negative Auskunftsmittel (wie Ausfuhr- und Agioverbote), die auf keiner ver¬
nünftigen Grundlage ruhen, Pflegen gewöhnlich das Metall mir aus dem
Verkehr in geheime Berstecke zu treiben oder führen zur heimlichen Übertretung
der Gesetze, welche sich der Kontrole entzieht und also niemals zu einem klaren
Begriff von dem wirklichen Stand des metallischen Nivellements gelangen läßt.
Mit dem Beginne des Jahres 1855 hörte nun die Möglichkeit auf, die um¬
laufende Masse der aufnotirten Wertzeichen auch nur ungefähr zu überblicken,
denn der Ukas vom 10. Januar ermächtigte den Finanzminister, „alle außer¬
ordentlichen Kriegskosten" durch zeitweilige Emissionen von Kreditbillcts zu
decken. Vou diesem Augenblicke an fand also die Papierausgabe grundsätzlich
ihre alleinige Begrenzung in dein befriedigten Bedürfnisse des Staates; die einzige
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/509>, abgerufen am 28.12.2024.