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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

aus Berlin gebürtiger Miller, glaubte das Charakteristische nach der Seite des
Häßlichen ausbeuten zu müssen und führte unter dem Titel "Der zwölfjährige
Jcsusknabe im Tempel" einen verschmitzten, rothaarigen Judenjungen unsrer
Tage vor, welcher durch vorwitzige Fragen und altkluge Antworten einige im
Kleiderhandel ergraute Greise aufs Glatteis führt. Diese naturalistische Grimasse
fand so geringen Beifall, daß ihr Urheber keine Fortsetzung folgen ließ. Wir
waren damals für diesen Grad von Cynismus noch nicht reif und sind es zum
Glück auch bis heute uicht geworden. Allgemeine Anerkennung wurde dagegen
der Behandlung desselben Gegenstandes durch den Münchner Ernst Zimmer¬
mann zu Teil, welcher die neu gefundene, geschichtliche Wahrheit mit den Schön-
heitsbegrisfen der Zeit zu vereinigen suchte. Er ging von der Ansicht aus,
daß zunächst das ästhetische Bedürfnis befriedigt werden müßte, nachdem das
Dogma von der idealen Göttlichkeit Christi in der Überzeugung der Gebildeten
einen derben Stoß erlitten. Damit kam er ungefähr auf den Standpunkt von
Strauß, der in dem Kultus der Poesie, der Musik und anderer Künste einen
Eisatz für die obsolet gewordenen Andachtsübungen empfahl. Doch besaß er
in der Kraft der Darstellung, die dem schwächlichen Strauß bekanntlich fehlte,
und in dem Glanz und der Tiefe seines Kolorits Mittel, vorwärts zu kommen.
Sein Jcsusknabe im Tempel enthielt bereits den Quell aller Poesie, die Be¬
geisterung und die Absicht, die Wahrheit zu sagen, ohne zu verletzen oder gar
an die Karikatur zu streifen. Das Schönheitsgefühl der Gebildeten, welche
sich mit den Ergebnissen der unerbittlichen historischen Forschung vertraut
gemacht haben, kann durch solche Schildereien nicht mehr verletzt werden,
umsoweniger, als Zimmermann all seinen Grundsätzen festgehalten hat. Die
Berliner Jubiläumsausstelluug, welche uns das neueste Material zu unsern Be-
obachtungen bietet, enthält ein Bild von seiner Hand, das nur eine weitere Ent¬
wicklung seines vorher erwähnten Gemäldes darstellt. Drei galiläische Fischer
sind nach Beendigung ihres Tagewerks zu Christo, der sich am Ufer nieder¬
gelassen hat, herangetreten, um die Heilswahrheit aus seinem Munde zu ver¬
nehmen. Das Bild hat vier Hauptfiguren, welche so weit sichtbar sind, daß nur
die Kniee und der obere Teil der Unterschenkel erscheinen. Es ist also ein Kon¬
versationsstück nach dem Vorbilde der Venezianer; und an sie erinnert auch der
warme Gesamtton, der noch durch die Abendstimmung besonders bedingt wird.
Wir sehen heute an diesem Beispiele, wie schnell sich Streben nach Wahrheit
und realistische Formengebung zu einer Art von Idealismus im Sinne der
Gegenwart geläutert hat. Weniger glücklich in der Farbe, auch härter in der
Formenbehandlung ist ein ebenfalls auf der Jubiläumsausstellung befindliches
Gemälde von C. A. Geiger in München: Christus und Judas Ischarioth,
eine poetische Phantasie. In der Abenddämmerung ist der Verräter dein Heilande
begegnet, wie es scheint, der ruhelos umhergetriebene Geist dem Verklärten.
Judas sucht mit inbrünstiger Geberde die Verzeihung des Verratenen zu erflehen


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

aus Berlin gebürtiger Miller, glaubte das Charakteristische nach der Seite des
Häßlichen ausbeuten zu müssen und führte unter dem Titel „Der zwölfjährige
Jcsusknabe im Tempel" einen verschmitzten, rothaarigen Judenjungen unsrer
Tage vor, welcher durch vorwitzige Fragen und altkluge Antworten einige im
Kleiderhandel ergraute Greise aufs Glatteis führt. Diese naturalistische Grimasse
fand so geringen Beifall, daß ihr Urheber keine Fortsetzung folgen ließ. Wir
waren damals für diesen Grad von Cynismus noch nicht reif und sind es zum
Glück auch bis heute uicht geworden. Allgemeine Anerkennung wurde dagegen
der Behandlung desselben Gegenstandes durch den Münchner Ernst Zimmer¬
mann zu Teil, welcher die neu gefundene, geschichtliche Wahrheit mit den Schön-
heitsbegrisfen der Zeit zu vereinigen suchte. Er ging von der Ansicht aus,
daß zunächst das ästhetische Bedürfnis befriedigt werden müßte, nachdem das
Dogma von der idealen Göttlichkeit Christi in der Überzeugung der Gebildeten
einen derben Stoß erlitten. Damit kam er ungefähr auf den Standpunkt von
Strauß, der in dem Kultus der Poesie, der Musik und anderer Künste einen
Eisatz für die obsolet gewordenen Andachtsübungen empfahl. Doch besaß er
in der Kraft der Darstellung, die dem schwächlichen Strauß bekanntlich fehlte,
und in dem Glanz und der Tiefe seines Kolorits Mittel, vorwärts zu kommen.
Sein Jcsusknabe im Tempel enthielt bereits den Quell aller Poesie, die Be¬
geisterung und die Absicht, die Wahrheit zu sagen, ohne zu verletzen oder gar
an die Karikatur zu streifen. Das Schönheitsgefühl der Gebildeten, welche
sich mit den Ergebnissen der unerbittlichen historischen Forschung vertraut
gemacht haben, kann durch solche Schildereien nicht mehr verletzt werden,
umsoweniger, als Zimmermann all seinen Grundsätzen festgehalten hat. Die
Berliner Jubiläumsausstelluug, welche uns das neueste Material zu unsern Be-
obachtungen bietet, enthält ein Bild von seiner Hand, das nur eine weitere Ent¬
wicklung seines vorher erwähnten Gemäldes darstellt. Drei galiläische Fischer
sind nach Beendigung ihres Tagewerks zu Christo, der sich am Ufer nieder¬
gelassen hat, herangetreten, um die Heilswahrheit aus seinem Munde zu ver¬
nehmen. Das Bild hat vier Hauptfiguren, welche so weit sichtbar sind, daß nur
die Kniee und der obere Teil der Unterschenkel erscheinen. Es ist also ein Kon¬
versationsstück nach dem Vorbilde der Venezianer; und an sie erinnert auch der
warme Gesamtton, der noch durch die Abendstimmung besonders bedingt wird.
Wir sehen heute an diesem Beispiele, wie schnell sich Streben nach Wahrheit
und realistische Formengebung zu einer Art von Idealismus im Sinne der
Gegenwart geläutert hat. Weniger glücklich in der Farbe, auch härter in der
Formenbehandlung ist ein ebenfalls auf der Jubiläumsausstellung befindliches
Gemälde von C. A. Geiger in München: Christus und Judas Ischarioth,
eine poetische Phantasie. In der Abenddämmerung ist der Verräter dein Heilande
begegnet, wie es scheint, der ruhelos umhergetriebene Geist dem Verklärten.
Judas sucht mit inbrünstiger Geberde die Verzeihung des Verratenen zu erflehen


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[0475] Die religiöse Malerei der Gegenwart. aus Berlin gebürtiger Miller, glaubte das Charakteristische nach der Seite des Häßlichen ausbeuten zu müssen und führte unter dem Titel „Der zwölfjährige Jcsusknabe im Tempel" einen verschmitzten, rothaarigen Judenjungen unsrer Tage vor, welcher durch vorwitzige Fragen und altkluge Antworten einige im Kleiderhandel ergraute Greise aufs Glatteis führt. Diese naturalistische Grimasse fand so geringen Beifall, daß ihr Urheber keine Fortsetzung folgen ließ. Wir waren damals für diesen Grad von Cynismus noch nicht reif und sind es zum Glück auch bis heute uicht geworden. Allgemeine Anerkennung wurde dagegen der Behandlung desselben Gegenstandes durch den Münchner Ernst Zimmer¬ mann zu Teil, welcher die neu gefundene, geschichtliche Wahrheit mit den Schön- heitsbegrisfen der Zeit zu vereinigen suchte. Er ging von der Ansicht aus, daß zunächst das ästhetische Bedürfnis befriedigt werden müßte, nachdem das Dogma von der idealen Göttlichkeit Christi in der Überzeugung der Gebildeten einen derben Stoß erlitten. Damit kam er ungefähr auf den Standpunkt von Strauß, der in dem Kultus der Poesie, der Musik und anderer Künste einen Eisatz für die obsolet gewordenen Andachtsübungen empfahl. Doch besaß er in der Kraft der Darstellung, die dem schwächlichen Strauß bekanntlich fehlte, und in dem Glanz und der Tiefe seines Kolorits Mittel, vorwärts zu kommen. Sein Jcsusknabe im Tempel enthielt bereits den Quell aller Poesie, die Be¬ geisterung und die Absicht, die Wahrheit zu sagen, ohne zu verletzen oder gar an die Karikatur zu streifen. Das Schönheitsgefühl der Gebildeten, welche sich mit den Ergebnissen der unerbittlichen historischen Forschung vertraut gemacht haben, kann durch solche Schildereien nicht mehr verletzt werden, umsoweniger, als Zimmermann all seinen Grundsätzen festgehalten hat. Die Berliner Jubiläumsausstelluug, welche uns das neueste Material zu unsern Be- obachtungen bietet, enthält ein Bild von seiner Hand, das nur eine weitere Ent¬ wicklung seines vorher erwähnten Gemäldes darstellt. Drei galiläische Fischer sind nach Beendigung ihres Tagewerks zu Christo, der sich am Ufer nieder¬ gelassen hat, herangetreten, um die Heilswahrheit aus seinem Munde zu ver¬ nehmen. Das Bild hat vier Hauptfiguren, welche so weit sichtbar sind, daß nur die Kniee und der obere Teil der Unterschenkel erscheinen. Es ist also ein Kon¬ versationsstück nach dem Vorbilde der Venezianer; und an sie erinnert auch der warme Gesamtton, der noch durch die Abendstimmung besonders bedingt wird. Wir sehen heute an diesem Beispiele, wie schnell sich Streben nach Wahrheit und realistische Formengebung zu einer Art von Idealismus im Sinne der Gegenwart geläutert hat. Weniger glücklich in der Farbe, auch härter in der Formenbehandlung ist ein ebenfalls auf der Jubiläumsausstellung befindliches Gemälde von C. A. Geiger in München: Christus und Judas Ischarioth, eine poetische Phantasie. In der Abenddämmerung ist der Verräter dein Heilande begegnet, wie es scheint, der ruhelos umhergetriebene Geist dem Verklärten. Judas sucht mit inbrünstiger Geberde die Verzeihung des Verratenen zu erflehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/475>, abgerufen am 04.07.2024.