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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Tamoens.

die Boskets von der davorliegenden Terrasse beinahe völlig ab, zwischen die
hochstämmigen Akazienreihen, welche die Rundungen mit einander verbanden,
fiel kaum noch ein letzter Schein des Abendlichts. Der Boden war hier nicht
mit glänzendem Kies überschüttet, Moose und Gräser hatten ungestört einen
weichen, dichten Teppich wirken können, auf dem die Schritte unhörbar wurden.
Alles, alles war hier wie vor zwei Jahrzehnten, nur dichteres Gezweig
hemmte den Ausblick, nur schwärzlicher schien die dunkle Rinde der Bäume ge¬
worden. Camoens vergaß in der That, während er den Akaziengang durch¬
wandelte, zwischen den Büschen hervor und über die Terrasse hiuwegblickte, die
unruhige Erwartung, die ihn hierher getrieben hatte. Mit dem ersten Schritte
zwischen die Magnoliensträ'nahe, die vor ihm standen und hinter ihm zusammen¬
schlugen, ward er ganz von der Erinnerung an längst vergangne Tage er¬
griffen. So heilten ihn die blütenschweren Zweige umrauscht und umhüllt,
wenn er in seliger Verborgenheit auf Catarina Atayde geharrt hatte; von jener
Terrasse, über deren bunte Steinfliesen heute wie damals der Abendsonnenstrahl
zitterte, hatte sie sich unbemerkt aus dem Gefolge der Königin-Witwe verloren
und war unter den Akazien erschienen, um ihm eine oder zwei Minuten des
Glückes zu schenken. Unhörbar, wie damals, glitt sein Fuß über den Rasen,
gleich linde, schmeichelnde Luft umhauchte ihn; dem Heute völlig entrückt, sah er
zu den alten Bäumen empor und grüßte sie als verschwiegne Freunde unverge߬
licher Zeit. Was er seit Wochen nicht mehr vermocht hatte, an jene Catarina
zu denken, deren verklärtes Bild vor der lockenden Schönheit, dem leuchtenden
Augenglanze ihrer Tochter verblaßt war, in dieser Einsamkeit vermochte er es,
und vermochte nichts andres. Glück und Leid jeder Stunde, welche er, vor seiner
Einschiffung nach Indien, hier verlebt hatte, wachten ans, mit stiller Andacht,
immer langsamer, ging er von Baum zu Baum und fühlte sich hier wunderbar
gebannt. Es ward dämmeriger zwischen dem dichten Grün, während draußen
die weite Thallaudschaft im Glutlicht des sonnigen Septemberabends schwamm.
Camoens weilte so in vergangnen Stunden, daß er das Verrinnen der gegen¬
wärtigen nicht spürte. In der Stimmung, die ihn hier überkam, erstarben die
leidenschaftliche Unruhe, die Sehnsucht und das Bangen des Tages, selbst der
geheime Wunsch, die lebende Catarina wiederzusehen. Die tiefe Stille des Ortes,
die Erinnerung, welche ihn belebte, gaben ihm mit einemmale jene ernste und
milde Fassung zurück, in welcher er bei der Heimkehr aus Indien an der vater¬
ländischen Küste gelandet war. Er empfand, daß, wenn er jetzt Barretv neben
sich hätte, er mit ihm zu einem neuen Einklang von Grund seiner Seele ge¬
langen könne.

Nicht lange währte der Zauber dieser Stunde, nicht lange die ungestörte
Einsamkeit, in der sich Camoens auf einmal wieder Herr seines Schicksals,
seiner Zukunft wähnte. Der Schall von Tritten auf den Steinplatten der
Terrasse weckte ihn und ließ ihn zugleich tiefer in den Grund des Boskets


Tamoens.

die Boskets von der davorliegenden Terrasse beinahe völlig ab, zwischen die
hochstämmigen Akazienreihen, welche die Rundungen mit einander verbanden,
fiel kaum noch ein letzter Schein des Abendlichts. Der Boden war hier nicht
mit glänzendem Kies überschüttet, Moose und Gräser hatten ungestört einen
weichen, dichten Teppich wirken können, auf dem die Schritte unhörbar wurden.
Alles, alles war hier wie vor zwei Jahrzehnten, nur dichteres Gezweig
hemmte den Ausblick, nur schwärzlicher schien die dunkle Rinde der Bäume ge¬
worden. Camoens vergaß in der That, während er den Akaziengang durch¬
wandelte, zwischen den Büschen hervor und über die Terrasse hiuwegblickte, die
unruhige Erwartung, die ihn hierher getrieben hatte. Mit dem ersten Schritte
zwischen die Magnoliensträ'nahe, die vor ihm standen und hinter ihm zusammen¬
schlugen, ward er ganz von der Erinnerung an längst vergangne Tage er¬
griffen. So heilten ihn die blütenschweren Zweige umrauscht und umhüllt,
wenn er in seliger Verborgenheit auf Catarina Atayde geharrt hatte; von jener
Terrasse, über deren bunte Steinfliesen heute wie damals der Abendsonnenstrahl
zitterte, hatte sie sich unbemerkt aus dem Gefolge der Königin-Witwe verloren
und war unter den Akazien erschienen, um ihm eine oder zwei Minuten des
Glückes zu schenken. Unhörbar, wie damals, glitt sein Fuß über den Rasen,
gleich linde, schmeichelnde Luft umhauchte ihn; dem Heute völlig entrückt, sah er
zu den alten Bäumen empor und grüßte sie als verschwiegne Freunde unverge߬
licher Zeit. Was er seit Wochen nicht mehr vermocht hatte, an jene Catarina
zu denken, deren verklärtes Bild vor der lockenden Schönheit, dem leuchtenden
Augenglanze ihrer Tochter verblaßt war, in dieser Einsamkeit vermochte er es,
und vermochte nichts andres. Glück und Leid jeder Stunde, welche er, vor seiner
Einschiffung nach Indien, hier verlebt hatte, wachten ans, mit stiller Andacht,
immer langsamer, ging er von Baum zu Baum und fühlte sich hier wunderbar
gebannt. Es ward dämmeriger zwischen dem dichten Grün, während draußen
die weite Thallaudschaft im Glutlicht des sonnigen Septemberabends schwamm.
Camoens weilte so in vergangnen Stunden, daß er das Verrinnen der gegen¬
wärtigen nicht spürte. In der Stimmung, die ihn hier überkam, erstarben die
leidenschaftliche Unruhe, die Sehnsucht und das Bangen des Tages, selbst der
geheime Wunsch, die lebende Catarina wiederzusehen. Die tiefe Stille des Ortes,
die Erinnerung, welche ihn belebte, gaben ihm mit einemmale jene ernste und
milde Fassung zurück, in welcher er bei der Heimkehr aus Indien an der vater¬
ländischen Küste gelandet war. Er empfand, daß, wenn er jetzt Barretv neben
sich hätte, er mit ihm zu einem neuen Einklang von Grund seiner Seele ge¬
langen könne.

Nicht lange währte der Zauber dieser Stunde, nicht lange die ungestörte
Einsamkeit, in der sich Camoens auf einmal wieder Herr seines Schicksals,
seiner Zukunft wähnte. Der Schall von Tritten auf den Steinplatten der
Terrasse weckte ihn und ließ ihn zugleich tiefer in den Grund des Boskets


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/445>, abgerufen am 28.12.2024.