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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Lamoens.

dem Steuermann-Wirt oder Barretos Hausmeister Joao angerufen zu werden.
Um dem zu entgehen, trat er zunächst vom Thore hinweg und ging dann
ziellos längs der Aloehecken und der Maulbeerpflanzungen hin, welche die kleinen
Gärten der Bürger einschlossen. Er hätte so gern dem Schicksal einen Schritt
cntgegengethan, hätte versucht, Catarina Palineirim zu sprechen, doch schien das
vollends unmöglich, seit er Barreto bei der Herzogin von Braganza wußte.
Auch wollte er sein Gelöbnis soweit halten, daß er den Palast selbst nicht
betrat. Unruhig sinnend, unablässig vorwärts eilend, erinnerte er sich auf einmal
jenes Teiles der Schloßgärten, nach denen er in der zweiten Nacht, welche er
seit seiner Heimkehr aus Indien in Cintra verbracht, sehnsüchtig träumerisch
hinübergeschaut hatte. Deutlich, mit allen Einzelheiten stand ein Bild von
ehemals vor seinem Auge; wenn zwanzig Jahre hier nichts verändert hatten,
so mußte es möglich sein, hinter der alten Kirche des heiligen Martin und ihren
Priestcrhüusern Eingang in jenen stillsten, einsamsten Teil der Gärten zu ge¬
winnen, ohne den Hof des Schlosses zu betreten, ja ohne zum Schloß empor¬
zusteigen. Auf der untersten Terrasse der Gurten, die sich unmittelbar über dem
Städtchen erhob und von der man nach der Thalschlucht von Collares hinaus¬
blickte, lag die schattige, verborgene Stelle, welche in seiner Erinnerung geheiligt
war. Wenn der lauschige grüne Platz und der Akaziengang, der zu ihm hin¬
führte, noch vorhanden waren -- sie wenigstens wollte er heute Abend wieder¬
sehen, dagegen konnte auch Manuel nicht zürnen. Mit plötzlich erwachender
Ortskenntnis schlug er sich zwischen Mauern, Gärten und Hecken zu der ver¬
witterten Kirche hindurch, deren spitzer Turm über ein Gewirr von Hütten
emporragte. Er fand sich bald auf Wegen, auf denen ihm -- ganz wie vor
Zeiten -- nicht ein Mensch begegnete. Er entdeckte den Pfad und die aus-
gewaschnen steinernen Stufen, welche dicht hinter der Kirche bergauf führten, er
sah, ganz wie er sie gekannt, die altersgraue Mauer des Königsgartens und
die breiten, riesigen Laubkronen über der Mauer. Nur das Pförtchen, dessen
er sich zu entsinnen meinte, vermochte er nicht mehr zu entdecken. War es im
Laufe der Jahre vermauert worden oder nie vorhanden gewesen, hier war nirgends
ein Eingang zu gewinnen. Nur einige Minuten indes verharrte er unschlüssig,
dann schlug er sichern Fußes den schmalen Weg ein, welcher zwischen Mauer
und Felsabsturz vorhanden war, sah prüfend am Gestein und zu dem über die
Mauer gestreckten Geäst empor und hatte rasch, was er suchte. Ein paar
hervortretende Zacken, ein mächtiger, abwärts gebogner Ast waren erspäht, sein
Fuß betrat die Zacken, sein Arm faßte den Ast, er hob sich mit einem sichern
Schwung ans die Mauer, an die sein Schwert klirrend anschlug, einen Augenblick
später stand er hochatmend am Fuße des Baumes und im Garten des Palastes.

Es war ein Bostel, wie die königlichen Gärten deren wohl hundert auf¬
wiesen, in dessen Schatten der Eindringling jetzt stand. In üppiger Fülle ver¬
schlang sich hier dunkles und lichtgrünes Laub, dichtgedrängte Büsche schlössen


Lamoens.

dem Steuermann-Wirt oder Barretos Hausmeister Joao angerufen zu werden.
Um dem zu entgehen, trat er zunächst vom Thore hinweg und ging dann
ziellos längs der Aloehecken und der Maulbeerpflanzungen hin, welche die kleinen
Gärten der Bürger einschlossen. Er hätte so gern dem Schicksal einen Schritt
cntgegengethan, hätte versucht, Catarina Palineirim zu sprechen, doch schien das
vollends unmöglich, seit er Barreto bei der Herzogin von Braganza wußte.
Auch wollte er sein Gelöbnis soweit halten, daß er den Palast selbst nicht
betrat. Unruhig sinnend, unablässig vorwärts eilend, erinnerte er sich auf einmal
jenes Teiles der Schloßgärten, nach denen er in der zweiten Nacht, welche er
seit seiner Heimkehr aus Indien in Cintra verbracht, sehnsüchtig träumerisch
hinübergeschaut hatte. Deutlich, mit allen Einzelheiten stand ein Bild von
ehemals vor seinem Auge; wenn zwanzig Jahre hier nichts verändert hatten,
so mußte es möglich sein, hinter der alten Kirche des heiligen Martin und ihren
Priestcrhüusern Eingang in jenen stillsten, einsamsten Teil der Gärten zu ge¬
winnen, ohne den Hof des Schlosses zu betreten, ja ohne zum Schloß empor¬
zusteigen. Auf der untersten Terrasse der Gurten, die sich unmittelbar über dem
Städtchen erhob und von der man nach der Thalschlucht von Collares hinaus¬
blickte, lag die schattige, verborgene Stelle, welche in seiner Erinnerung geheiligt
war. Wenn der lauschige grüne Platz und der Akaziengang, der zu ihm hin¬
führte, noch vorhanden waren — sie wenigstens wollte er heute Abend wieder¬
sehen, dagegen konnte auch Manuel nicht zürnen. Mit plötzlich erwachender
Ortskenntnis schlug er sich zwischen Mauern, Gärten und Hecken zu der ver¬
witterten Kirche hindurch, deren spitzer Turm über ein Gewirr von Hütten
emporragte. Er fand sich bald auf Wegen, auf denen ihm — ganz wie vor
Zeiten — nicht ein Mensch begegnete. Er entdeckte den Pfad und die aus-
gewaschnen steinernen Stufen, welche dicht hinter der Kirche bergauf führten, er
sah, ganz wie er sie gekannt, die altersgraue Mauer des Königsgartens und
die breiten, riesigen Laubkronen über der Mauer. Nur das Pförtchen, dessen
er sich zu entsinnen meinte, vermochte er nicht mehr zu entdecken. War es im
Laufe der Jahre vermauert worden oder nie vorhanden gewesen, hier war nirgends
ein Eingang zu gewinnen. Nur einige Minuten indes verharrte er unschlüssig,
dann schlug er sichern Fußes den schmalen Weg ein, welcher zwischen Mauer
und Felsabsturz vorhanden war, sah prüfend am Gestein und zu dem über die
Mauer gestreckten Geäst empor und hatte rasch, was er suchte. Ein paar
hervortretende Zacken, ein mächtiger, abwärts gebogner Ast waren erspäht, sein
Fuß betrat die Zacken, sein Arm faßte den Ast, er hob sich mit einem sichern
Schwung ans die Mauer, an die sein Schwert klirrend anschlug, einen Augenblick
später stand er hochatmend am Fuße des Baumes und im Garten des Palastes.

Es war ein Bostel, wie die königlichen Gärten deren wohl hundert auf¬
wiesen, in dessen Schatten der Eindringling jetzt stand. In üppiger Fülle ver¬
schlang sich hier dunkles und lichtgrünes Laub, dichtgedrängte Büsche schlössen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/444>, abgerufen am 28.12.2024.