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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Vio Ministerkrisis in London.

Bezug auf dessen irische "Reform" an, so wird die gesamte Partei, ihr libe¬
raler und ihr radikaler Flügel im Unterhaus?, mit den beiden Führern gehen
müssen. Es ist möglich, daß einzelne abfallen, aber das Gros der Gefolgschaft,
Whigs, Liberale vom geraden und krummen Horne und Radikale, werden jenen
beiden Lcitstieren folgen, selbst wenn sie gemerkt haben, daß deren Weg in
einen Sumpf endigt. Dann wird man eine weitverzweigte Organisation ans
Jahre hinaus mit gebundener Marschroute eine einzige Richtung zur Ordnung
der Angelegenheiten Irlands verfolgen und entweder regierend oder oppv-
nircnd durch Bündnis mit den Parnelliteu verkettet und deren Willen zu
thun gezwungen sehen. Setzen wir den nicht sehr wahrscheinlichen Fall, daß
die Liberalen unter einer solchen doppelten Führung, unterstützt dnrch die
irischen Mitglieder des Unterhauses, den Plan eines besondern Parlaments
für Irland siegreich durchdringen, so wird die Sache damit noch keineswegs
zu Eude sein. Die Ausgestaltung jenes Planes im einzelnen und die Ver¬
wirklichung seiner Einzelheiten im praktischen Leben wird ein Gegenstand fort¬
dauernder politischer Arbeiten und Streitigkeiten sein, und obwohl es vielleicht
dem englischen Volke unmöglich sein wird, die Zeiger zurückzuschieben und die
einmal erteilten Zugeständnisse zu widerrufen, so wird es doch die Urheber
des Unheils, das sich aus letztem entwickeln muß, strafen können. Die britische
Nation war 1782 nicht imstande, die Abtrennung der amerikanischen Kolonien
rückgängig zu macheu, wohl aber stieß sie den Lord North, der den Schaden
angerichtet hatte, vom Nuder. Die Liberalen werden, wenn Chamberlain doch
noch schwach genug sein sollte, sich von Gladstone verblenden und ins Schlepptau
nehmen zu lassen, in der Geschichte Großbritanniens als die Partei fortleben,
welche die Zerbröckelung des Reiches begann. Nachdem sie Irland aus dem
Verbände desselben herausgelöst haben, wird man sich fragen: welches Glied
wird nun an die Reihe kommen, von diesen politischen Operateuren amputirt
zu werden? Wann werden sie Gibraltar für Spanien, wann Malta für
Italien abschneiden? Wie steht es mit Kanada, und wird nicht gar am Ende
Indien geopfert werden? Wenn dagegen Chamberlain fest bleibt wie bisher,
wenn er es am 8. April, wo Gladstone seinen irischen Plan dem Unterhause
mitteilen und zur Entscheidung unterbreiten will, dem Führer des rechten
Flügels der liberalen Partei und diesem Flügel überlassen will, das betreffende
Risiko auf sich zu nehmen, so wird er von dem Radikalismus einen großen
Nachteil abwenden: er wird verhüten, daß derselbe in Zukunft den Vorwurf zu
tragen hat, ein Minderer des Reiches, ein Schwächer der Macht desselben zu
sein. Es existirt keine notwendige Verbindung zwischen demokratischen Grund¬
sätzen und Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der irischen Wortführer, obwohl
Demokraten überall viel von der Berechtigung des Volkswillens, von dem Rechte
des Volkes, seine Stellung und Zugehörigkeit selbst zu bestimmen, zu reden
pflegen. Wir können uns recht wohl ein Großbritannien vorstellen, wie es die


Vio Ministerkrisis in London.

Bezug auf dessen irische „Reform" an, so wird die gesamte Partei, ihr libe¬
raler und ihr radikaler Flügel im Unterhaus?, mit den beiden Führern gehen
müssen. Es ist möglich, daß einzelne abfallen, aber das Gros der Gefolgschaft,
Whigs, Liberale vom geraden und krummen Horne und Radikale, werden jenen
beiden Lcitstieren folgen, selbst wenn sie gemerkt haben, daß deren Weg in
einen Sumpf endigt. Dann wird man eine weitverzweigte Organisation ans
Jahre hinaus mit gebundener Marschroute eine einzige Richtung zur Ordnung
der Angelegenheiten Irlands verfolgen und entweder regierend oder oppv-
nircnd durch Bündnis mit den Parnelliteu verkettet und deren Willen zu
thun gezwungen sehen. Setzen wir den nicht sehr wahrscheinlichen Fall, daß
die Liberalen unter einer solchen doppelten Führung, unterstützt dnrch die
irischen Mitglieder des Unterhauses, den Plan eines besondern Parlaments
für Irland siegreich durchdringen, so wird die Sache damit noch keineswegs
zu Eude sein. Die Ausgestaltung jenes Planes im einzelnen und die Ver¬
wirklichung seiner Einzelheiten im praktischen Leben wird ein Gegenstand fort¬
dauernder politischer Arbeiten und Streitigkeiten sein, und obwohl es vielleicht
dem englischen Volke unmöglich sein wird, die Zeiger zurückzuschieben und die
einmal erteilten Zugeständnisse zu widerrufen, so wird es doch die Urheber
des Unheils, das sich aus letztem entwickeln muß, strafen können. Die britische
Nation war 1782 nicht imstande, die Abtrennung der amerikanischen Kolonien
rückgängig zu macheu, wohl aber stieß sie den Lord North, der den Schaden
angerichtet hatte, vom Nuder. Die Liberalen werden, wenn Chamberlain doch
noch schwach genug sein sollte, sich von Gladstone verblenden und ins Schlepptau
nehmen zu lassen, in der Geschichte Großbritanniens als die Partei fortleben,
welche die Zerbröckelung des Reiches begann. Nachdem sie Irland aus dem
Verbände desselben herausgelöst haben, wird man sich fragen: welches Glied
wird nun an die Reihe kommen, von diesen politischen Operateuren amputirt
zu werden? Wann werden sie Gibraltar für Spanien, wann Malta für
Italien abschneiden? Wie steht es mit Kanada, und wird nicht gar am Ende
Indien geopfert werden? Wenn dagegen Chamberlain fest bleibt wie bisher,
wenn er es am 8. April, wo Gladstone seinen irischen Plan dem Unterhause
mitteilen und zur Entscheidung unterbreiten will, dem Führer des rechten
Flügels der liberalen Partei und diesem Flügel überlassen will, das betreffende
Risiko auf sich zu nehmen, so wird er von dem Radikalismus einen großen
Nachteil abwenden: er wird verhüten, daß derselbe in Zukunft den Vorwurf zu
tragen hat, ein Minderer des Reiches, ein Schwächer der Macht desselben zu
sein. Es existirt keine notwendige Verbindung zwischen demokratischen Grund¬
sätzen und Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der irischen Wortführer, obwohl
Demokraten überall viel von der Berechtigung des Volkswillens, von dem Rechte
des Volkes, seine Stellung und Zugehörigkeit selbst zu bestimmen, zu reden
pflegen. Wir können uns recht wohl ein Großbritannien vorstellen, wie es die


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[0042] Vio Ministerkrisis in London. Bezug auf dessen irische „Reform" an, so wird die gesamte Partei, ihr libe¬ raler und ihr radikaler Flügel im Unterhaus?, mit den beiden Führern gehen müssen. Es ist möglich, daß einzelne abfallen, aber das Gros der Gefolgschaft, Whigs, Liberale vom geraden und krummen Horne und Radikale, werden jenen beiden Lcitstieren folgen, selbst wenn sie gemerkt haben, daß deren Weg in einen Sumpf endigt. Dann wird man eine weitverzweigte Organisation ans Jahre hinaus mit gebundener Marschroute eine einzige Richtung zur Ordnung der Angelegenheiten Irlands verfolgen und entweder regierend oder oppv- nircnd durch Bündnis mit den Parnelliteu verkettet und deren Willen zu thun gezwungen sehen. Setzen wir den nicht sehr wahrscheinlichen Fall, daß die Liberalen unter einer solchen doppelten Führung, unterstützt dnrch die irischen Mitglieder des Unterhauses, den Plan eines besondern Parlaments für Irland siegreich durchdringen, so wird die Sache damit noch keineswegs zu Eude sein. Die Ausgestaltung jenes Planes im einzelnen und die Ver¬ wirklichung seiner Einzelheiten im praktischen Leben wird ein Gegenstand fort¬ dauernder politischer Arbeiten und Streitigkeiten sein, und obwohl es vielleicht dem englischen Volke unmöglich sein wird, die Zeiger zurückzuschieben und die einmal erteilten Zugeständnisse zu widerrufen, so wird es doch die Urheber des Unheils, das sich aus letztem entwickeln muß, strafen können. Die britische Nation war 1782 nicht imstande, die Abtrennung der amerikanischen Kolonien rückgängig zu macheu, wohl aber stieß sie den Lord North, der den Schaden angerichtet hatte, vom Nuder. Die Liberalen werden, wenn Chamberlain doch noch schwach genug sein sollte, sich von Gladstone verblenden und ins Schlepptau nehmen zu lassen, in der Geschichte Großbritanniens als die Partei fortleben, welche die Zerbröckelung des Reiches begann. Nachdem sie Irland aus dem Verbände desselben herausgelöst haben, wird man sich fragen: welches Glied wird nun an die Reihe kommen, von diesen politischen Operateuren amputirt zu werden? Wann werden sie Gibraltar für Spanien, wann Malta für Italien abschneiden? Wie steht es mit Kanada, und wird nicht gar am Ende Indien geopfert werden? Wenn dagegen Chamberlain fest bleibt wie bisher, wenn er es am 8. April, wo Gladstone seinen irischen Plan dem Unterhause mitteilen und zur Entscheidung unterbreiten will, dem Führer des rechten Flügels der liberalen Partei und diesem Flügel überlassen will, das betreffende Risiko auf sich zu nehmen, so wird er von dem Radikalismus einen großen Nachteil abwenden: er wird verhüten, daß derselbe in Zukunft den Vorwurf zu tragen hat, ein Minderer des Reiches, ein Schwächer der Macht desselben zu sein. Es existirt keine notwendige Verbindung zwischen demokratischen Grund¬ sätzen und Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der irischen Wortführer, obwohl Demokraten überall viel von der Berechtigung des Volkswillens, von dem Rechte des Volkes, seine Stellung und Zugehörigkeit selbst zu bestimmen, zu reden pflegen. Wir können uns recht wohl ein Großbritannien vorstellen, wie es die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/42>, abgerufen am 25.07.2024.