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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Buchdruck und Buchhandel
im fünfzehnten Jahrhundert.

l
e Beschäftigung mit der politischen Geschichte Deutschlands am
Ausgange des Mittelnlters ist nicht geeignet, eiuen erfreulichen
Eindruck zu hinterlassen. Alle Bestrebungen, die Einheit des
Reiches neu zu begründen und zu einem nationalen Staate zu
gelangen, scheitern an der Macht der Sonderinteressen, die mit
rücksichtsloser Offenheit geltend gemacht werden, nicht am wenigsten vonseiten
der Kaiser aus dem Hause Habsburg, denen alles an Festigung ihrer Haus¬
macht, gar nichts an der des ihrer Obhut unterstellten Reiches gelegen ist.

Wenn dennoch gerade die Zeit des Überganges vom Mittelalter zur
Reformation vor andern Perioden unsrer Geschichte immer wieder unser Inter¬
esse in Anspruch nimmt und zahlreiche Kräfte sich ihrer Erforschung widmen,
so muß dies einen besondern Grund haben, und zwar dürfte es der folgende sein:
dieselbe Zeit politischer Ohnmacht des Reiches ist auch die des Erstarkens des
deutschen Bürgertums, dessen Kräfte nach jahrhundertelanger Unthätigkeit all¬
mählich erwachen und gar bald Blüten und Früchte hervorbringe!?, die noch
heute unsre Bewunderung erregen. So kommt es, daß sich die kulturgeschichtliche
Betrachtung jener Periode in hohem Grade lohnend und anziehend gestaltet,
und wir uns immer wieder gern die Leistungen des deutschen Geistes in Wissen¬
schaft und Kunst, die damals zu Tage traten, vor Augen stellen.

Es kauu aber kein Zweifel sein, daß keine unter allen jenen Errungen¬
schaften größere und nachhaltigere Folgen gehabt hat, als die Erfindung der
Buchdruckerkunst. Darüber, daß wir dieselbe als eine That des deutschen
Geistes anzusehen haben, darüber besteht unter Kundigen heute kein Streit
mehr. Auch die Ausländer müssen uus diesen Ruhm ungeschmälert lassen und
Gutenberg die Krone des Erfinders zuerkennen. Aber wenn auch jedes Kind
den Namen dieses Mannes kennt und jeder Deutsche stolz auf ihn ist, viel mehr
als diese eine Thatsache, daß Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hat, ist
wohl im großer" Publikum nicht bekannt. Schon wenn die Frage gestellt
wird, worin denn das Wesen seiner Entdeckung bestehe, dürften die Antworten
unsicher genug ausfallen oder vielleicht noch häufiger ganz ausbleiben. Wie
wenige aber mag es geben, die überhaupt nur die Namen von Gutenbergs
Zeitgenossen und Mitarbeitern kennen, geschweige den", daß sie eine bestimmte
Vorstellung von der Art und der Bedeutung ihrer Leistungen haben! Gleich¬
wohl gehört es zu den anziehendsten Beschäftigungen, die frühesten Anfänge


Buchdruck und Buchhandel
im fünfzehnten Jahrhundert.

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e Beschäftigung mit der politischen Geschichte Deutschlands am
Ausgange des Mittelnlters ist nicht geeignet, eiuen erfreulichen
Eindruck zu hinterlassen. Alle Bestrebungen, die Einheit des
Reiches neu zu begründen und zu einem nationalen Staate zu
gelangen, scheitern an der Macht der Sonderinteressen, die mit
rücksichtsloser Offenheit geltend gemacht werden, nicht am wenigsten vonseiten
der Kaiser aus dem Hause Habsburg, denen alles an Festigung ihrer Haus¬
macht, gar nichts an der des ihrer Obhut unterstellten Reiches gelegen ist.

Wenn dennoch gerade die Zeit des Überganges vom Mittelalter zur
Reformation vor andern Perioden unsrer Geschichte immer wieder unser Inter¬
esse in Anspruch nimmt und zahlreiche Kräfte sich ihrer Erforschung widmen,
so muß dies einen besondern Grund haben, und zwar dürfte es der folgende sein:
dieselbe Zeit politischer Ohnmacht des Reiches ist auch die des Erstarkens des
deutschen Bürgertums, dessen Kräfte nach jahrhundertelanger Unthätigkeit all¬
mählich erwachen und gar bald Blüten und Früchte hervorbringe!?, die noch
heute unsre Bewunderung erregen. So kommt es, daß sich die kulturgeschichtliche
Betrachtung jener Periode in hohem Grade lohnend und anziehend gestaltet,
und wir uns immer wieder gern die Leistungen des deutschen Geistes in Wissen¬
schaft und Kunst, die damals zu Tage traten, vor Augen stellen.

Es kauu aber kein Zweifel sein, daß keine unter allen jenen Errungen¬
schaften größere und nachhaltigere Folgen gehabt hat, als die Erfindung der
Buchdruckerkunst. Darüber, daß wir dieselbe als eine That des deutschen
Geistes anzusehen haben, darüber besteht unter Kundigen heute kein Streit
mehr. Auch die Ausländer müssen uus diesen Ruhm ungeschmälert lassen und
Gutenberg die Krone des Erfinders zuerkennen. Aber wenn auch jedes Kind
den Namen dieses Mannes kennt und jeder Deutsche stolz auf ihn ist, viel mehr
als diese eine Thatsache, daß Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hat, ist
wohl im großer» Publikum nicht bekannt. Schon wenn die Frage gestellt
wird, worin denn das Wesen seiner Entdeckung bestehe, dürften die Antworten
unsicher genug ausfallen oder vielleicht noch häufiger ganz ausbleiben. Wie
wenige aber mag es geben, die überhaupt nur die Namen von Gutenbergs
Zeitgenossen und Mitarbeitern kennen, geschweige den», daß sie eine bestimmte
Vorstellung von der Art und der Bedeutung ihrer Leistungen haben! Gleich¬
wohl gehört es zu den anziehendsten Beschäftigungen, die frühesten Anfänge


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[0367] Buchdruck und Buchhandel im fünfzehnten Jahrhundert. l e Beschäftigung mit der politischen Geschichte Deutschlands am Ausgange des Mittelnlters ist nicht geeignet, eiuen erfreulichen Eindruck zu hinterlassen. Alle Bestrebungen, die Einheit des Reiches neu zu begründen und zu einem nationalen Staate zu gelangen, scheitern an der Macht der Sonderinteressen, die mit rücksichtsloser Offenheit geltend gemacht werden, nicht am wenigsten vonseiten der Kaiser aus dem Hause Habsburg, denen alles an Festigung ihrer Haus¬ macht, gar nichts an der des ihrer Obhut unterstellten Reiches gelegen ist. Wenn dennoch gerade die Zeit des Überganges vom Mittelalter zur Reformation vor andern Perioden unsrer Geschichte immer wieder unser Inter¬ esse in Anspruch nimmt und zahlreiche Kräfte sich ihrer Erforschung widmen, so muß dies einen besondern Grund haben, und zwar dürfte es der folgende sein: dieselbe Zeit politischer Ohnmacht des Reiches ist auch die des Erstarkens des deutschen Bürgertums, dessen Kräfte nach jahrhundertelanger Unthätigkeit all¬ mählich erwachen und gar bald Blüten und Früchte hervorbringe!?, die noch heute unsre Bewunderung erregen. So kommt es, daß sich die kulturgeschichtliche Betrachtung jener Periode in hohem Grade lohnend und anziehend gestaltet, und wir uns immer wieder gern die Leistungen des deutschen Geistes in Wissen¬ schaft und Kunst, die damals zu Tage traten, vor Augen stellen. Es kauu aber kein Zweifel sein, daß keine unter allen jenen Errungen¬ schaften größere und nachhaltigere Folgen gehabt hat, als die Erfindung der Buchdruckerkunst. Darüber, daß wir dieselbe als eine That des deutschen Geistes anzusehen haben, darüber besteht unter Kundigen heute kein Streit mehr. Auch die Ausländer müssen uus diesen Ruhm ungeschmälert lassen und Gutenberg die Krone des Erfinders zuerkennen. Aber wenn auch jedes Kind den Namen dieses Mannes kennt und jeder Deutsche stolz auf ihn ist, viel mehr als diese eine Thatsache, daß Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hat, ist wohl im großer» Publikum nicht bekannt. Schon wenn die Frage gestellt wird, worin denn das Wesen seiner Entdeckung bestehe, dürften die Antworten unsicher genug ausfallen oder vielleicht noch häufiger ganz ausbleiben. Wie wenige aber mag es geben, die überhaupt nur die Namen von Gutenbergs Zeitgenossen und Mitarbeitern kennen, geschweige den», daß sie eine bestimmte Vorstellung von der Art und der Bedeutung ihrer Leistungen haben! Gleich¬ wohl gehört es zu den anziehendsten Beschäftigungen, die frühesten Anfänge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/367>, abgerufen am 26.07.2024.