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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Straßburger Verfassungsleben.

wir die acht Cvnstofeln zu Se. Peter, vor dem Münster, in Kalbesgassc, zu
Se. Niclause, in Spettergasse, zu Se. Thoman, an der Oberstraßc und am
Hohlwege. Die Constofcln hatten die öffentliche Sicherheit, den Wachtdienst,
die Thorhnt, ferner auch die Steuerumlage zu besorgen. Sie thaten den früher
so wichtigen Dienst zu Pferde, während die Handwerker das Fußvolk bildeten.
Als letztere 1332 zur Herrschaft kamen, bedürfte es einer besondern Verordnung,
damit sie auch beritten wurden. Ausdrücklich erzählt Königshöfen: "Under den
kam die gewohnheit of, das die antwerglüte uf wegcne wurden: ritende wenn
man vszogete in reisen. Wan Vormols giengent sü zu fusse." Die Coustofeln
trockneten allmählich ein, jemehr sich das selbständige Zunftwesen entwickelte.
Der Adel hatte übrigens schließlich nach mannichfachen Schwankungen nur zwei
Kurier oder Stuben, welche für ihn politische Einigungspunktc bedeuteten:
"zum Hohensteg" und "zum Mühlstein."

Die Zahl der Zünfte schwankte nicht minder häufig; von 10 auf 28, auf
24 und schließlich auf 20, soviel es dann 309 Jahre hindurch geblieben sind.
Diese 20 hatten eine bestimmte, bei allen Amtshandlungen eifersüchtig beobachtete
Reihenfolge.*) Schon die geringe Anzahl deutet darauf, daß die Begriffe
"Zunft" und "Gewerbe" sich nicht decken könne"; vielmehr war eine Zunft der
Sammelort für verschiedne Gewerbe, meist in zufälliger Zusammensetzung ohne
organische Anglicdernng. In der Zunft zum "Spiegel" fanden sich beispiels¬
weise die Apotheker mit den Bettvertaufcrn zusammen; in der "Lucern" oder
"Latern" die Chirurgen und die Koruhändler; ja die Zunft der "Weiusticher"
bestand schließlich nur noch aus Perrückemmichern und Friseuren, und die
"Freyburger" aus Leuten, welche überhaupt kein Gewerbe betrieben, also so
etwas wie einen "Verein der Vereinslosen" bildeten. Unter dem drohenden
Beil des Zimmerlentwappcns vereinigten sich neben den Zimmerern die Ver¬
fertiger musikalischer Instrumente und die Wagner, bei der "Steitz" die Kunst¬
maler, Buchdrucker, Buchbinder und Buchhändler, also alles, was heute zur
Heranögnbc eines Prachtwerkes mitwirkt. Ob Gutenberg bei der "Steitz" ge¬
dient hat, weiß man nicht; wohl aber, wo andre berühmte Leute "gedient" haben,



*) Ein aus dem siebzehnten Jahrhundert stammendes Merkspriichlein giebt die
Reihenfolge:
Es wird bey löblicher Statt Straßburg freyem Wesen
Aus Edlen und Gemeind die Bnrgerschafft erlesen.
Des Adels Stuben seind: Hochsieg und Mi'chlcnstcin;
Die andern teilen sich in zwantzig Mufften ein:
Als Ureter, Spiegel, Blum, Freyburger, Tuch-, Lucerner,
Die Morin und die Steitz. Brodbecker, Kürschner. Ferner:
In Kueffer, Gerbersleuth, Wcinsticher, Schneider, Schmidt,
Den Schuft- und Fischeren der Zimmermann nachtritt;
Der dreyfach Gärtner Hauff und Maurer thun beschließen
Mit Wunsch, daß jeder Zunfft viel fangen mög zufließen.
Straßburger Verfassungsleben.

wir die acht Cvnstofeln zu Se. Peter, vor dem Münster, in Kalbesgassc, zu
Se. Niclause, in Spettergasse, zu Se. Thoman, an der Oberstraßc und am
Hohlwege. Die Constofcln hatten die öffentliche Sicherheit, den Wachtdienst,
die Thorhnt, ferner auch die Steuerumlage zu besorgen. Sie thaten den früher
so wichtigen Dienst zu Pferde, während die Handwerker das Fußvolk bildeten.
Als letztere 1332 zur Herrschaft kamen, bedürfte es einer besondern Verordnung,
damit sie auch beritten wurden. Ausdrücklich erzählt Königshöfen: „Under den
kam die gewohnheit of, das die antwerglüte uf wegcne wurden: ritende wenn
man vszogete in reisen. Wan Vormols giengent sü zu fusse." Die Coustofeln
trockneten allmählich ein, jemehr sich das selbständige Zunftwesen entwickelte.
Der Adel hatte übrigens schließlich nach mannichfachen Schwankungen nur zwei
Kurier oder Stuben, welche für ihn politische Einigungspunktc bedeuteten:
„zum Hohensteg" und „zum Mühlstein."

Die Zahl der Zünfte schwankte nicht minder häufig; von 10 auf 28, auf
24 und schließlich auf 20, soviel es dann 309 Jahre hindurch geblieben sind.
Diese 20 hatten eine bestimmte, bei allen Amtshandlungen eifersüchtig beobachtete
Reihenfolge.*) Schon die geringe Anzahl deutet darauf, daß die Begriffe
„Zunft" und „Gewerbe" sich nicht decken könne»; vielmehr war eine Zunft der
Sammelort für verschiedne Gewerbe, meist in zufälliger Zusammensetzung ohne
organische Anglicdernng. In der Zunft zum „Spiegel" fanden sich beispiels¬
weise die Apotheker mit den Bettvertaufcrn zusammen; in der „Lucern" oder
„Latern" die Chirurgen und die Koruhändler; ja die Zunft der „Weiusticher"
bestand schließlich nur noch aus Perrückemmichern und Friseuren, und die
„Freyburger" aus Leuten, welche überhaupt kein Gewerbe betrieben, also so
etwas wie einen „Verein der Vereinslosen" bildeten. Unter dem drohenden
Beil des Zimmerlentwappcns vereinigten sich neben den Zimmerern die Ver¬
fertiger musikalischer Instrumente und die Wagner, bei der „Steitz" die Kunst¬
maler, Buchdrucker, Buchbinder und Buchhändler, also alles, was heute zur
Heranögnbc eines Prachtwerkes mitwirkt. Ob Gutenberg bei der „Steitz" ge¬
dient hat, weiß man nicht; wohl aber, wo andre berühmte Leute „gedient" haben,



*) Ein aus dem siebzehnten Jahrhundert stammendes Merkspriichlein giebt die
Reihenfolge:
Es wird bey löblicher Statt Straßburg freyem Wesen
Aus Edlen und Gemeind die Bnrgerschafft erlesen.
Des Adels Stuben seind: Hochsieg und Mi'chlcnstcin;
Die andern teilen sich in zwantzig Mufften ein:
Als Ureter, Spiegel, Blum, Freyburger, Tuch-, Lucerner,
Die Morin und die Steitz. Brodbecker, Kürschner. Ferner:
In Kueffer, Gerbersleuth, Wcinsticher, Schneider, Schmidt,
Den Schuft- und Fischeren der Zimmermann nachtritt;
Der dreyfach Gärtner Hauff und Maurer thun beschließen
Mit Wunsch, daß jeder Zunfft viel fangen mög zufließen.
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[0358] Straßburger Verfassungsleben. wir die acht Cvnstofeln zu Se. Peter, vor dem Münster, in Kalbesgassc, zu Se. Niclause, in Spettergasse, zu Se. Thoman, an der Oberstraßc und am Hohlwege. Die Constofcln hatten die öffentliche Sicherheit, den Wachtdienst, die Thorhnt, ferner auch die Steuerumlage zu besorgen. Sie thaten den früher so wichtigen Dienst zu Pferde, während die Handwerker das Fußvolk bildeten. Als letztere 1332 zur Herrschaft kamen, bedürfte es einer besondern Verordnung, damit sie auch beritten wurden. Ausdrücklich erzählt Königshöfen: „Under den kam die gewohnheit of, das die antwerglüte uf wegcne wurden: ritende wenn man vszogete in reisen. Wan Vormols giengent sü zu fusse." Die Coustofeln trockneten allmählich ein, jemehr sich das selbständige Zunftwesen entwickelte. Der Adel hatte übrigens schließlich nach mannichfachen Schwankungen nur zwei Kurier oder Stuben, welche für ihn politische Einigungspunktc bedeuteten: „zum Hohensteg" und „zum Mühlstein." Die Zahl der Zünfte schwankte nicht minder häufig; von 10 auf 28, auf 24 und schließlich auf 20, soviel es dann 309 Jahre hindurch geblieben sind. Diese 20 hatten eine bestimmte, bei allen Amtshandlungen eifersüchtig beobachtete Reihenfolge.*) Schon die geringe Anzahl deutet darauf, daß die Begriffe „Zunft" und „Gewerbe" sich nicht decken könne»; vielmehr war eine Zunft der Sammelort für verschiedne Gewerbe, meist in zufälliger Zusammensetzung ohne organische Anglicdernng. In der Zunft zum „Spiegel" fanden sich beispiels¬ weise die Apotheker mit den Bettvertaufcrn zusammen; in der „Lucern" oder „Latern" die Chirurgen und die Koruhändler; ja die Zunft der „Weiusticher" bestand schließlich nur noch aus Perrückemmichern und Friseuren, und die „Freyburger" aus Leuten, welche überhaupt kein Gewerbe betrieben, also so etwas wie einen „Verein der Vereinslosen" bildeten. Unter dem drohenden Beil des Zimmerlentwappcns vereinigten sich neben den Zimmerern die Ver¬ fertiger musikalischer Instrumente und die Wagner, bei der „Steitz" die Kunst¬ maler, Buchdrucker, Buchbinder und Buchhändler, also alles, was heute zur Heranögnbc eines Prachtwerkes mitwirkt. Ob Gutenberg bei der „Steitz" ge¬ dient hat, weiß man nicht; wohl aber, wo andre berühmte Leute „gedient" haben, *) Ein aus dem siebzehnten Jahrhundert stammendes Merkspriichlein giebt die Reihenfolge: Es wird bey löblicher Statt Straßburg freyem Wesen Aus Edlen und Gemeind die Bnrgerschafft erlesen. Des Adels Stuben seind: Hochsieg und Mi'chlcnstcin; Die andern teilen sich in zwantzig Mufften ein: Als Ureter, Spiegel, Blum, Freyburger, Tuch-, Lucerner, Die Morin und die Steitz. Brodbecker, Kürschner. Ferner: In Kueffer, Gerbersleuth, Wcinsticher, Schneider, Schmidt, Den Schuft- und Fischeren der Zimmermann nachtritt; Der dreyfach Gärtner Hauff und Maurer thun beschließen Mit Wunsch, daß jeder Zunfft viel fangen mög zufließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/358>, abgerufen am 26.09.2024.