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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Überproduktion.

Der seit dem Jahre 1879 vollzogene Übergang Deutschlands von frei-
händlerischen zu schutzzöllncrischen Grundsätzen hat hiernach die Bedeutung, daß
damit in erster Linie die für das Inland arbeitende Produktion geschützt werden
soll, selbst auf die Gefahr hin, daß unsre für das Ausland arbeitende Industrie
eine Schwächung erleide. Man kann dies auch so ausdrücken: Deutschland soll
in Beziehung auf Produktion und Konsumtion in erster Linie auf sich selbst
gestellt sein. Allerdings können wir, wenn wir auf der Höhe unsers Wohl¬
standes verbleiben sollen, die für das Ausland arbeitende Industrie nicht völlig
entbehren. Die wichtigsten und großartigsten Produktionszweige sind daran be¬
teiligt. Und es ist deshalb gewiß Aufgabe einer weisen Negierung, möglichst
dahin zu wirken, daß auch dieser Industrie ihr Arbeitsfeld erhalten bleibe oder
neue Felder gewonnen werden. Erwägt man aber, daß diese Industrie uuter
allen Umständen nur eine unsichere, von mannichfachen Zufälligkeiten abhängige
Existenz hat, und daß es deshalb unmöglich wohlgethan sein kann, ihr zuliebe
die für das Inland arbeitende Produktion einer, möglicherweise sie vernichtenden,
ausländischen Konkurrenz preiszugeben, so wird man ein System mäßiger
Schutzzölle nicht so unverständig finden, wie unsre Freihändler es darzustellen
suchen.

Wenn heute nun Klage darüber geführt wird, daß unsre Industrie ihre
Waaren nicht mehr absetzen könne, also zu viel produzirt habe, so ist es ohne
Zweifel in erster Linie die für das Ausland arbeitende Industrie, welche diese
Klage zu führen hat, wenn auch deren Notleidcu einigermaßen auf die gesamte
Industrie zurückwirkt. Das Ausland will uus nicht mehr unsre Waaren in
dem Maße abnehmen, in welchem die Industrie sie absetzen zu können gehofft
und wonach sie ihre Produktion eingerichtet hat. Die Waaren stapeln sich auf
und erscheinen als "Überproduktion." Natürlich stockt auch der Handel, welcher
die Überführung unsrer Waaren ins Ausland vermittelt. Was für Gründe für
die verminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes vorhanden sind, ist schwer zu
sagen. Unzweifelhaft aber sind es Gründe mannichfacher Art und nicht etwa
bloß neu hervorgerufene Zollschranken, welche sich dem Eingänge unsrer Waaren
entgegenstellen. Und so bildet schon die gegenwärtige Lage einen Beweis dafür,
daß das Ausland unter allen Umständen ein unsicheres Absatzgebiet darbietet,
das man, solange es vorhält, mit Eifer benutzen mag, dein man aber keinesfalls
die für das Inland arbeitende Produktion opfern soll.

Die Erscheinung, die man "Überproduktion" nennt, ist hiernach nicht der
Grund, sondern nur das äußere Zeichen unsrer wirtschaftliche" Krankheit. Diese
Krankheit besteht in dem Glauben an eine unabänderliche und unbegrenzte Auf¬
nahmefähigkeit des Auslandes für unsre Produktion, wie sie in Wahrheit nicht
vorhanden ist. Dauert die geminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes, wie
sie zur Zeit sich thatsächlich ausweist, längere Zeit fort, so werden wir dadurch
belehrt, daß wir eben nicht so reich sind, als die zeitweise günstigen Verhältnisse


Die Überproduktion.

Der seit dem Jahre 1879 vollzogene Übergang Deutschlands von frei-
händlerischen zu schutzzöllncrischen Grundsätzen hat hiernach die Bedeutung, daß
damit in erster Linie die für das Inland arbeitende Produktion geschützt werden
soll, selbst auf die Gefahr hin, daß unsre für das Ausland arbeitende Industrie
eine Schwächung erleide. Man kann dies auch so ausdrücken: Deutschland soll
in Beziehung auf Produktion und Konsumtion in erster Linie auf sich selbst
gestellt sein. Allerdings können wir, wenn wir auf der Höhe unsers Wohl¬
standes verbleiben sollen, die für das Ausland arbeitende Industrie nicht völlig
entbehren. Die wichtigsten und großartigsten Produktionszweige sind daran be¬
teiligt. Und es ist deshalb gewiß Aufgabe einer weisen Negierung, möglichst
dahin zu wirken, daß auch dieser Industrie ihr Arbeitsfeld erhalten bleibe oder
neue Felder gewonnen werden. Erwägt man aber, daß diese Industrie uuter
allen Umständen nur eine unsichere, von mannichfachen Zufälligkeiten abhängige
Existenz hat, und daß es deshalb unmöglich wohlgethan sein kann, ihr zuliebe
die für das Inland arbeitende Produktion einer, möglicherweise sie vernichtenden,
ausländischen Konkurrenz preiszugeben, so wird man ein System mäßiger
Schutzzölle nicht so unverständig finden, wie unsre Freihändler es darzustellen
suchen.

Wenn heute nun Klage darüber geführt wird, daß unsre Industrie ihre
Waaren nicht mehr absetzen könne, also zu viel produzirt habe, so ist es ohne
Zweifel in erster Linie die für das Ausland arbeitende Industrie, welche diese
Klage zu führen hat, wenn auch deren Notleidcu einigermaßen auf die gesamte
Industrie zurückwirkt. Das Ausland will uus nicht mehr unsre Waaren in
dem Maße abnehmen, in welchem die Industrie sie absetzen zu können gehofft
und wonach sie ihre Produktion eingerichtet hat. Die Waaren stapeln sich auf
und erscheinen als „Überproduktion." Natürlich stockt auch der Handel, welcher
die Überführung unsrer Waaren ins Ausland vermittelt. Was für Gründe für
die verminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes vorhanden sind, ist schwer zu
sagen. Unzweifelhaft aber sind es Gründe mannichfacher Art und nicht etwa
bloß neu hervorgerufene Zollschranken, welche sich dem Eingänge unsrer Waaren
entgegenstellen. Und so bildet schon die gegenwärtige Lage einen Beweis dafür,
daß das Ausland unter allen Umständen ein unsicheres Absatzgebiet darbietet,
das man, solange es vorhält, mit Eifer benutzen mag, dein man aber keinesfalls
die für das Inland arbeitende Produktion opfern soll.

Die Erscheinung, die man „Überproduktion" nennt, ist hiernach nicht der
Grund, sondern nur das äußere Zeichen unsrer wirtschaftliche» Krankheit. Diese
Krankheit besteht in dem Glauben an eine unabänderliche und unbegrenzte Auf¬
nahmefähigkeit des Auslandes für unsre Produktion, wie sie in Wahrheit nicht
vorhanden ist. Dauert die geminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes, wie
sie zur Zeit sich thatsächlich ausweist, längere Zeit fort, so werden wir dadurch
belehrt, daß wir eben nicht so reich sind, als die zeitweise günstigen Verhältnisse


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[0356] Die Überproduktion. Der seit dem Jahre 1879 vollzogene Übergang Deutschlands von frei- händlerischen zu schutzzöllncrischen Grundsätzen hat hiernach die Bedeutung, daß damit in erster Linie die für das Inland arbeitende Produktion geschützt werden soll, selbst auf die Gefahr hin, daß unsre für das Ausland arbeitende Industrie eine Schwächung erleide. Man kann dies auch so ausdrücken: Deutschland soll in Beziehung auf Produktion und Konsumtion in erster Linie auf sich selbst gestellt sein. Allerdings können wir, wenn wir auf der Höhe unsers Wohl¬ standes verbleiben sollen, die für das Ausland arbeitende Industrie nicht völlig entbehren. Die wichtigsten und großartigsten Produktionszweige sind daran be¬ teiligt. Und es ist deshalb gewiß Aufgabe einer weisen Negierung, möglichst dahin zu wirken, daß auch dieser Industrie ihr Arbeitsfeld erhalten bleibe oder neue Felder gewonnen werden. Erwägt man aber, daß diese Industrie uuter allen Umständen nur eine unsichere, von mannichfachen Zufälligkeiten abhängige Existenz hat, und daß es deshalb unmöglich wohlgethan sein kann, ihr zuliebe die für das Inland arbeitende Produktion einer, möglicherweise sie vernichtenden, ausländischen Konkurrenz preiszugeben, so wird man ein System mäßiger Schutzzölle nicht so unverständig finden, wie unsre Freihändler es darzustellen suchen. Wenn heute nun Klage darüber geführt wird, daß unsre Industrie ihre Waaren nicht mehr absetzen könne, also zu viel produzirt habe, so ist es ohne Zweifel in erster Linie die für das Ausland arbeitende Industrie, welche diese Klage zu führen hat, wenn auch deren Notleidcu einigermaßen auf die gesamte Industrie zurückwirkt. Das Ausland will uus nicht mehr unsre Waaren in dem Maße abnehmen, in welchem die Industrie sie absetzen zu können gehofft und wonach sie ihre Produktion eingerichtet hat. Die Waaren stapeln sich auf und erscheinen als „Überproduktion." Natürlich stockt auch der Handel, welcher die Überführung unsrer Waaren ins Ausland vermittelt. Was für Gründe für die verminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes vorhanden sind, ist schwer zu sagen. Unzweifelhaft aber sind es Gründe mannichfacher Art und nicht etwa bloß neu hervorgerufene Zollschranken, welche sich dem Eingänge unsrer Waaren entgegenstellen. Und so bildet schon die gegenwärtige Lage einen Beweis dafür, daß das Ausland unter allen Umständen ein unsicheres Absatzgebiet darbietet, das man, solange es vorhält, mit Eifer benutzen mag, dein man aber keinesfalls die für das Inland arbeitende Produktion opfern soll. Die Erscheinung, die man „Überproduktion" nennt, ist hiernach nicht der Grund, sondern nur das äußere Zeichen unsrer wirtschaftliche» Krankheit. Diese Krankheit besteht in dem Glauben an eine unabänderliche und unbegrenzte Auf¬ nahmefähigkeit des Auslandes für unsre Produktion, wie sie in Wahrheit nicht vorhanden ist. Dauert die geminderte Aufnahmefähigkeit des Auslandes, wie sie zur Zeit sich thatsächlich ausweist, längere Zeit fort, so werden wir dadurch belehrt, daß wir eben nicht so reich sind, als die zeitweise günstigen Verhältnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/356>, abgerufen am 26.09.2024.