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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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geführt und seit man ihnen Zeit gelassen, sich einzuleben und zu bewähren,
dann wird sich auch wie von selbst -- wenn auch vielleicht erst in weiter Zu-
kunft -- eine Besserung in den Wirkungen der Strafrechtspflege ergeben, ohne
daß es hierzu, wie der Verfasser unsrer Schrift im Ernste vorschlägt, der Wieder¬
einführung der Prügelstrafe, der Tretmühle und des Dllzeus der Sträflinge
bedürfte.




/^V5me 1^ L^wille.

meer diesem herausfordernden Titel ist soeben in Paris ein Buch
erschienen, welches wir aus mehrfachen Gründen nicht unbeachtet
lassen dürfen. Dasselbe entrollt uns ein sehr vollständiges und
übersichtliches Bild der Anstrengungen, welche Frankreich in den
letzten fünfzehn Jahren gemacht hat, um sich für den Revanche¬
krieg vorzubereiten. Und gleichzeitig wird zu diesem Nevanchekricge aufgerufen
uuter Schmähungen und Drohungen, wie sie zwischen zivilisirten Nationen selbst
nach Ausbruch des Krieges kaum noch gebräuchlich sind. Wir würden diese Er¬
güsse der Leidenschaft, wie schon manche ähnliche, mit Stillschweigen übergehen,
da wir wohl wissen, daß in Schmähworten sich bellte nicht mehr, wie zu Homers
Zeiten, Heldensinn Luft macht. Umso eher könnten wir dies, als der ungenannte
Verfasser -- man vermutet mehrfach, daß dies ein gewisser Herr Deroulede sei,
welcher in einem Vorworte den Verfasser verherrlicht, um dann seinerseits von
diesem in den Himmel erhoben zu werden -- sich nicht verhehlt, daß die über¬
wiegende Mehrheit der französischen Nation sein Gelüste nach einem Kriege mit
Deutschland keineswegs teilt. Aber die Erfahrung lehrt uns, daß das Friedens-
bedürfnis der Mehrheit des französischen Volkes den Frieden nicht verbürgt,
daß die Leidenschaftlichkeit Einzelner dort leichter und plötzlicher als. anderwärts
die Oberhand gewinnt, besonders wenn der Antrieb scheinbar oder in Wirklichkeit
von maßgebender Stelle ausgeht.

Und dieser Schein haftet an dem vorliegenden Buche. Undenkbar zwar
erscheint es, daß dasselbe offiziellen Ursprungs sein oder seinem ganzen Inhalte
nach die Billigung leitender Persönlichkeiten gefunden haben könnte. Solcher
Verdacht muß als ausgeschlossen betrachtet werden angesichts der Thatsache,
daß die französische Regierung nicht nur friedliche Beziehungen zu der unsrigen
unterhält, sondern auch den guten Willen bethätigt, dahin mitzuwirken, daß das
Verhältnis zwischen beiden Nationen sich allmählich wieder frenndlicher gestalte.


geführt und seit man ihnen Zeit gelassen, sich einzuleben und zu bewähren,
dann wird sich auch wie von selbst — wenn auch vielleicht erst in weiter Zu-
kunft — eine Besserung in den Wirkungen der Strafrechtspflege ergeben, ohne
daß es hierzu, wie der Verfasser unsrer Schrift im Ernste vorschlägt, der Wieder¬
einführung der Prügelstrafe, der Tretmühle und des Dllzeus der Sträflinge
bedürfte.




/^V5me 1^ L^wille.

meer diesem herausfordernden Titel ist soeben in Paris ein Buch
erschienen, welches wir aus mehrfachen Gründen nicht unbeachtet
lassen dürfen. Dasselbe entrollt uns ein sehr vollständiges und
übersichtliches Bild der Anstrengungen, welche Frankreich in den
letzten fünfzehn Jahren gemacht hat, um sich für den Revanche¬
krieg vorzubereiten. Und gleichzeitig wird zu diesem Nevanchekricge aufgerufen
uuter Schmähungen und Drohungen, wie sie zwischen zivilisirten Nationen selbst
nach Ausbruch des Krieges kaum noch gebräuchlich sind. Wir würden diese Er¬
güsse der Leidenschaft, wie schon manche ähnliche, mit Stillschweigen übergehen,
da wir wohl wissen, daß in Schmähworten sich bellte nicht mehr, wie zu Homers
Zeiten, Heldensinn Luft macht. Umso eher könnten wir dies, als der ungenannte
Verfasser — man vermutet mehrfach, daß dies ein gewisser Herr Deroulede sei,
welcher in einem Vorworte den Verfasser verherrlicht, um dann seinerseits von
diesem in den Himmel erhoben zu werden — sich nicht verhehlt, daß die über¬
wiegende Mehrheit der französischen Nation sein Gelüste nach einem Kriege mit
Deutschland keineswegs teilt. Aber die Erfahrung lehrt uns, daß das Friedens-
bedürfnis der Mehrheit des französischen Volkes den Frieden nicht verbürgt,
daß die Leidenschaftlichkeit Einzelner dort leichter und plötzlicher als. anderwärts
die Oberhand gewinnt, besonders wenn der Antrieb scheinbar oder in Wirklichkeit
von maßgebender Stelle ausgeht.

Und dieser Schein haftet an dem vorliegenden Buche. Undenkbar zwar
erscheint es, daß dasselbe offiziellen Ursprungs sein oder seinem ganzen Inhalte
nach die Billigung leitender Persönlichkeiten gefunden haben könnte. Solcher
Verdacht muß als ausgeschlossen betrachtet werden angesichts der Thatsache,
daß die französische Regierung nicht nur friedliche Beziehungen zu der unsrigen
unterhält, sondern auch den guten Willen bethätigt, dahin mitzuwirken, daß das
Verhältnis zwischen beiden Nationen sich allmählich wieder frenndlicher gestalte.


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[0336] geführt und seit man ihnen Zeit gelassen, sich einzuleben und zu bewähren, dann wird sich auch wie von selbst — wenn auch vielleicht erst in weiter Zu- kunft — eine Besserung in den Wirkungen der Strafrechtspflege ergeben, ohne daß es hierzu, wie der Verfasser unsrer Schrift im Ernste vorschlägt, der Wieder¬ einführung der Prügelstrafe, der Tretmühle und des Dllzeus der Sträflinge bedürfte. /^V5me 1^ L^wille. meer diesem herausfordernden Titel ist soeben in Paris ein Buch erschienen, welches wir aus mehrfachen Gründen nicht unbeachtet lassen dürfen. Dasselbe entrollt uns ein sehr vollständiges und übersichtliches Bild der Anstrengungen, welche Frankreich in den letzten fünfzehn Jahren gemacht hat, um sich für den Revanche¬ krieg vorzubereiten. Und gleichzeitig wird zu diesem Nevanchekricge aufgerufen uuter Schmähungen und Drohungen, wie sie zwischen zivilisirten Nationen selbst nach Ausbruch des Krieges kaum noch gebräuchlich sind. Wir würden diese Er¬ güsse der Leidenschaft, wie schon manche ähnliche, mit Stillschweigen übergehen, da wir wohl wissen, daß in Schmähworten sich bellte nicht mehr, wie zu Homers Zeiten, Heldensinn Luft macht. Umso eher könnten wir dies, als der ungenannte Verfasser — man vermutet mehrfach, daß dies ein gewisser Herr Deroulede sei, welcher in einem Vorworte den Verfasser verherrlicht, um dann seinerseits von diesem in den Himmel erhoben zu werden — sich nicht verhehlt, daß die über¬ wiegende Mehrheit der französischen Nation sein Gelüste nach einem Kriege mit Deutschland keineswegs teilt. Aber die Erfahrung lehrt uns, daß das Friedens- bedürfnis der Mehrheit des französischen Volkes den Frieden nicht verbürgt, daß die Leidenschaftlichkeit Einzelner dort leichter und plötzlicher als. anderwärts die Oberhand gewinnt, besonders wenn der Antrieb scheinbar oder in Wirklichkeit von maßgebender Stelle ausgeht. Und dieser Schein haftet an dem vorliegenden Buche. Undenkbar zwar erscheint es, daß dasselbe offiziellen Ursprungs sein oder seinem ganzen Inhalte nach die Billigung leitender Persönlichkeiten gefunden haben könnte. Solcher Verdacht muß als ausgeschlossen betrachtet werden angesichts der Thatsache, daß die französische Regierung nicht nur friedliche Beziehungen zu der unsrigen unterhält, sondern auch den guten Willen bethätigt, dahin mitzuwirken, daß das Verhältnis zwischen beiden Nationen sich allmählich wieder frenndlicher gestalte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/336>, abgerufen am 28.08.2024.