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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die naturalistische Schule in Deutschland.

den Schöpfer des neuen Deutschlands, die Huldigung, welche ihm gebracht wird,
und der Gebrauch des Wortes neudentsch sind ebensoviele Magnete für jene
naiven Gemüter, denen jede Phrase imponirt. Übrigens soll garnicht geleugnet
werden, daß die Berufung in gewisser Weise in gutem Glauben geschieht, das
Selbstgefühl der Herren ist so gewaltig, daß ihnen nur die Selbstvergleichung
mit den erlauchtesten und mächtigsten Gestalten genügt.

Im Ernst hat das alles ungefähr soviel Sinn und Bedeutung, als wenn
ein Seifenfabrikant sein neuestes Getöns BiSmarckseife tauft oder ein Liqueur-
fabrikaut auf seine Etiketten das Bild des Fürsten-Reichskanzlers druckt. Eine
Wirkung thut es immer, und so mag denn auch die Versicherung, daß es neu-
deutsches Leben sei, was in der "Schlechten Gesellschaft" den Lesern vorgeführt
wird, hie und da geglaubt werden.

Wir vermögen in den drei Hauptnovellen des Bandes "Die Prostitution
des Herzens; aus dem Tagebuch eines Überflüssigem," "Eine feine Familie"
und "Raubvögelchen" nichts andres zu erblicken als Studien aus der Berliner
Halbwelt, Studien, in denen zwei Momente " neudeutschen" Lebens ganz gut
wiedergegeben sind. Erstens der schauerliche, aus Unflütereien der gemeinsten
Sorte und Stilblüten gelegentlicher Lektüre gemischte Umgangston, den eine
Anzahl junger Männer in ihren Kneipen für geistreich und zeitgemäß erachten
und, wie schon früher erörtert, gewohnheitsmäßig auch an Orte tragen, wohin
er noch weniger gehört als in die Spelunken, deren öde Gleichförmigkeit bei
scheinbarer Mannichfaltigkeit der Verfasser fleißig beobachtet und deutlich wieder¬
gegeben hat. Zweitens die dämonische Anziehungskraft, welche Kellnerinnen,
Ladenmädchen und ähnliche weibliche Existenzen ans die neudeutschen Jünglinge
mit dem eben ernährten Jargon äußern, sobald sie irgendeine innere oder äußere
Schranke zwischen sich und der frechen, zutäppischen Begehrlichkeit ansuchten.
Was allein unecht an diesen Schilderungen erscheint, ist die ihnen beigemischte
"heilige Ideologie." Nicht, daß wir in Zweifel zögen, daß sich ein oder der
andre ungeschickte Bursche, wie er in der "Prostitution des Herzens" geschildert
werden soll, gelegentlich uuter das "welterfahrue" Gesindel verläuft, welches als
die goldne Jugend Neudeutschlauds geschildert ist. Doch abgeschmackt und wider¬
wärtig zugleich ist es, daß sich dieser "swä. xllil. Gottlieb Ritter," in dessen
Tagebuchblätter und Herzensgeheimnisse wir eingeweiht werden, um einer
Chansonctteusängerin willen erschießt, und daß diese Holde ihm im Tode nach¬
folgt. Nebenbei erfahren wir allerdings, daß dieser Berliner Nachfolger des
seligen Rolla Alfred de Mnssetschen Angedenkens sein Leben überhaupt zwecklos
verschleudert und neben einigen Kolpvrtageromancn, die er um des Erwerbs
willen verbricht, eine Lyrik pflegt, bei deren Vergleich mit seinen Göttern Burns,
Byron, Heine und Musset ihm wohl weltschmerzlich zu Mute werden mag.
Auch zeichnet er wörtlich auf: "Ich bin ein elender Feigling. Um dieser degra-
direnden Leidenschaft zu entgehen, ergebe ich mich gemeiner Liederlichkeit. O


Die naturalistische Schule in Deutschland.

den Schöpfer des neuen Deutschlands, die Huldigung, welche ihm gebracht wird,
und der Gebrauch des Wortes neudentsch sind ebensoviele Magnete für jene
naiven Gemüter, denen jede Phrase imponirt. Übrigens soll garnicht geleugnet
werden, daß die Berufung in gewisser Weise in gutem Glauben geschieht, das
Selbstgefühl der Herren ist so gewaltig, daß ihnen nur die Selbstvergleichung
mit den erlauchtesten und mächtigsten Gestalten genügt.

Im Ernst hat das alles ungefähr soviel Sinn und Bedeutung, als wenn
ein Seifenfabrikant sein neuestes Getöns BiSmarckseife tauft oder ein Liqueur-
fabrikaut auf seine Etiketten das Bild des Fürsten-Reichskanzlers druckt. Eine
Wirkung thut es immer, und so mag denn auch die Versicherung, daß es neu-
deutsches Leben sei, was in der „Schlechten Gesellschaft" den Lesern vorgeführt
wird, hie und da geglaubt werden.

Wir vermögen in den drei Hauptnovellen des Bandes „Die Prostitution
des Herzens; aus dem Tagebuch eines Überflüssigem," „Eine feine Familie"
und „Raubvögelchen" nichts andres zu erblicken als Studien aus der Berliner
Halbwelt, Studien, in denen zwei Momente „ neudeutschen" Lebens ganz gut
wiedergegeben sind. Erstens der schauerliche, aus Unflütereien der gemeinsten
Sorte und Stilblüten gelegentlicher Lektüre gemischte Umgangston, den eine
Anzahl junger Männer in ihren Kneipen für geistreich und zeitgemäß erachten
und, wie schon früher erörtert, gewohnheitsmäßig auch an Orte tragen, wohin
er noch weniger gehört als in die Spelunken, deren öde Gleichförmigkeit bei
scheinbarer Mannichfaltigkeit der Verfasser fleißig beobachtet und deutlich wieder¬
gegeben hat. Zweitens die dämonische Anziehungskraft, welche Kellnerinnen,
Ladenmädchen und ähnliche weibliche Existenzen ans die neudeutschen Jünglinge
mit dem eben ernährten Jargon äußern, sobald sie irgendeine innere oder äußere
Schranke zwischen sich und der frechen, zutäppischen Begehrlichkeit ansuchten.
Was allein unecht an diesen Schilderungen erscheint, ist die ihnen beigemischte
„heilige Ideologie." Nicht, daß wir in Zweifel zögen, daß sich ein oder der
andre ungeschickte Bursche, wie er in der „Prostitution des Herzens" geschildert
werden soll, gelegentlich uuter das „welterfahrue" Gesindel verläuft, welches als
die goldne Jugend Neudeutschlauds geschildert ist. Doch abgeschmackt und wider¬
wärtig zugleich ist es, daß sich dieser „swä. xllil. Gottlieb Ritter," in dessen
Tagebuchblätter und Herzensgeheimnisse wir eingeweiht werden, um einer
Chansonctteusängerin willen erschießt, und daß diese Holde ihm im Tode nach¬
folgt. Nebenbei erfahren wir allerdings, daß dieser Berliner Nachfolger des
seligen Rolla Alfred de Mnssetschen Angedenkens sein Leben überhaupt zwecklos
verschleudert und neben einigen Kolpvrtageromancn, die er um des Erwerbs
willen verbricht, eine Lyrik pflegt, bei deren Vergleich mit seinen Göttern Burns,
Byron, Heine und Musset ihm wohl weltschmerzlich zu Mute werden mag.
Auch zeichnet er wörtlich auf: „Ich bin ein elender Feigling. Um dieser degra-
direnden Leidenschaft zu entgehen, ergebe ich mich gemeiner Liederlichkeit. O


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[0323] Die naturalistische Schule in Deutschland. den Schöpfer des neuen Deutschlands, die Huldigung, welche ihm gebracht wird, und der Gebrauch des Wortes neudentsch sind ebensoviele Magnete für jene naiven Gemüter, denen jede Phrase imponirt. Übrigens soll garnicht geleugnet werden, daß die Berufung in gewisser Weise in gutem Glauben geschieht, das Selbstgefühl der Herren ist so gewaltig, daß ihnen nur die Selbstvergleichung mit den erlauchtesten und mächtigsten Gestalten genügt. Im Ernst hat das alles ungefähr soviel Sinn und Bedeutung, als wenn ein Seifenfabrikant sein neuestes Getöns BiSmarckseife tauft oder ein Liqueur- fabrikaut auf seine Etiketten das Bild des Fürsten-Reichskanzlers druckt. Eine Wirkung thut es immer, und so mag denn auch die Versicherung, daß es neu- deutsches Leben sei, was in der „Schlechten Gesellschaft" den Lesern vorgeführt wird, hie und da geglaubt werden. Wir vermögen in den drei Hauptnovellen des Bandes „Die Prostitution des Herzens; aus dem Tagebuch eines Überflüssigem," „Eine feine Familie" und „Raubvögelchen" nichts andres zu erblicken als Studien aus der Berliner Halbwelt, Studien, in denen zwei Momente „ neudeutschen" Lebens ganz gut wiedergegeben sind. Erstens der schauerliche, aus Unflütereien der gemeinsten Sorte und Stilblüten gelegentlicher Lektüre gemischte Umgangston, den eine Anzahl junger Männer in ihren Kneipen für geistreich und zeitgemäß erachten und, wie schon früher erörtert, gewohnheitsmäßig auch an Orte tragen, wohin er noch weniger gehört als in die Spelunken, deren öde Gleichförmigkeit bei scheinbarer Mannichfaltigkeit der Verfasser fleißig beobachtet und deutlich wieder¬ gegeben hat. Zweitens die dämonische Anziehungskraft, welche Kellnerinnen, Ladenmädchen und ähnliche weibliche Existenzen ans die neudeutschen Jünglinge mit dem eben ernährten Jargon äußern, sobald sie irgendeine innere oder äußere Schranke zwischen sich und der frechen, zutäppischen Begehrlichkeit ansuchten. Was allein unecht an diesen Schilderungen erscheint, ist die ihnen beigemischte „heilige Ideologie." Nicht, daß wir in Zweifel zögen, daß sich ein oder der andre ungeschickte Bursche, wie er in der „Prostitution des Herzens" geschildert werden soll, gelegentlich uuter das „welterfahrue" Gesindel verläuft, welches als die goldne Jugend Neudeutschlauds geschildert ist. Doch abgeschmackt und wider¬ wärtig zugleich ist es, daß sich dieser „swä. xllil. Gottlieb Ritter," in dessen Tagebuchblätter und Herzensgeheimnisse wir eingeweiht werden, um einer Chansonctteusängerin willen erschießt, und daß diese Holde ihm im Tode nach¬ folgt. Nebenbei erfahren wir allerdings, daß dieser Berliner Nachfolger des seligen Rolla Alfred de Mnssetschen Angedenkens sein Leben überhaupt zwecklos verschleudert und neben einigen Kolpvrtageromancn, die er um des Erwerbs willen verbricht, eine Lyrik pflegt, bei deren Vergleich mit seinen Göttern Burns, Byron, Heine und Musset ihm wohl weltschmerzlich zu Mute werden mag. Auch zeichnet er wörtlich auf: „Ich bin ein elender Feigling. Um dieser degra- direnden Leidenschaft zu entgehen, ergebe ich mich gemeiner Liederlichkeit. O

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/323>, abgerufen am 02.07.2024.