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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Abbe Lamennais.

herrschte Lamennais, unterstützt von den fähigsten Schülern, Lacordaire, Graf
Montalembert, Gerbet u. a., die der Religion eine lange vermißte Popularität
gewannen und glühend die Sache der Freiheit verfochten, freilich in Gregor VII.
den großen Patriarchen des europäischen Liberalismus bekränzten. Diesmal
stülpte die Kirche die Freiheitsmütze auf. Lamennais that den Schritt zur freien
Kirche im freien Staate, bekämpfte das Konkordat, forderte seine Abschaffung
und die des Kultusbudgets, leugnete das Erncnnungsrccht des Königs, schlug
dem Klerus vor, auf die Staatsbesvldung zu verzichten und alle Notdurft nur
durch die freiwillige Spende der Gläubigen zu bestreiten; er versicherte, die
Kirche werde wieder mächtig auf das Gemüt der Nation einwirken, wenn sie
zur Armut zurückkehre und nur ihrer religiösen und moralischen Kraft vertraue.
Sein Losungswort war Freiheit der Kirche vom Staate und Verzicht auf alle
Staatsunterstützung; die Kirche aber wollte von Entsagung nichts hören: ihr
waren Güter und Besitz zu wert, ihr graute vor diesem Freunde. Während
er die Alleinherrschaft Christi und des Papstes predigte, trat Lamennais unter
dem Jnbel der Priesterjugend Europas für die unterdrückten Katholiken in
Irland, Polen und Belgien ein, focht für den Altar gegen den Thron. Von
letzter"! aber forderte er unbedingte Freiheit des Gewissens, des Unterrichts, der
Presse und der Assoziation, allgemeines Wahlrecht und Beseitigung des ver¬
derblichen Zentralisntivnssystems; hatte er früher Kirche und Demokratie unver¬
einbar genannt, so hoffte er jetzt, sie vermählen, Autorität und Freiheit ver¬
söhnen zu können. Die "Brüder des christlichen Unterrichts" verbreiteten zumal
in der Bretagne die Anschauungen des ^vouir im Klerus und Volk, und
Malestroit wurde Novizenanstalt einer Kongregation für Journalisten; am
29. April 1831 trat die " Generalagentnr für die Verteidigung der religiösen
Freiheit" ins Leben, deren Präsidium Lamenncns führte und die alle Länder,
in denen Katholiken wohnten, umspannen sollte; sie verlangte den freien Unter¬
richt und eröffnete trotz Regiernngsvcrbots eine freie Schule. Es fehlte nicht
um Preßprozcsseu gegen Lamennais, an Strafen, aber auch nicht an Triumphen;
keck setzte er den Kampf gegen Universität und Bischöfe fort, bis sich ein Teil
der letzten? unter der Leitung des Erzbischofs Astrvs von Toulouse entschloß,
ein Memorandum gegen das revolutionäre ^.vsirir und seine Redakteure dem
Papste Gregor XVI. einzusenden. Dem entgegen riet Lacordaire dazu, selbst
das Urteil der Kurie anzurufen; Lamennais ging feurig darauf ein, und in
einem Glaubensbekenntnisse vom 2. Februar 1831 erneuerten die Redakteure
die Beteuerungen extremen Ultramontanismus wie die Verdammung des Galli-
kauismus. Der Papst schwieg, der Kampf gegen das ^.venir nahm bedrohlichere
Dimensionen an, es gebrach an Mitteln, das Blatt fortzusetzen, und so ent¬
schlossen sich Lamenncns, Lacordaire und Montalembert, am 15. November
dasselbe einstweilen einzustellen und selbst ihre Sache in Rom zu führen.
Lamenncns mochte wohl an die Triumphe seines ersten Auftretens in der


Abbe Lamennais.

herrschte Lamennais, unterstützt von den fähigsten Schülern, Lacordaire, Graf
Montalembert, Gerbet u. a., die der Religion eine lange vermißte Popularität
gewannen und glühend die Sache der Freiheit verfochten, freilich in Gregor VII.
den großen Patriarchen des europäischen Liberalismus bekränzten. Diesmal
stülpte die Kirche die Freiheitsmütze auf. Lamennais that den Schritt zur freien
Kirche im freien Staate, bekämpfte das Konkordat, forderte seine Abschaffung
und die des Kultusbudgets, leugnete das Erncnnungsrccht des Königs, schlug
dem Klerus vor, auf die Staatsbesvldung zu verzichten und alle Notdurft nur
durch die freiwillige Spende der Gläubigen zu bestreiten; er versicherte, die
Kirche werde wieder mächtig auf das Gemüt der Nation einwirken, wenn sie
zur Armut zurückkehre und nur ihrer religiösen und moralischen Kraft vertraue.
Sein Losungswort war Freiheit der Kirche vom Staate und Verzicht auf alle
Staatsunterstützung; die Kirche aber wollte von Entsagung nichts hören: ihr
waren Güter und Besitz zu wert, ihr graute vor diesem Freunde. Während
er die Alleinherrschaft Christi und des Papstes predigte, trat Lamennais unter
dem Jnbel der Priesterjugend Europas für die unterdrückten Katholiken in
Irland, Polen und Belgien ein, focht für den Altar gegen den Thron. Von
letzter»! aber forderte er unbedingte Freiheit des Gewissens, des Unterrichts, der
Presse und der Assoziation, allgemeines Wahlrecht und Beseitigung des ver¬
derblichen Zentralisntivnssystems; hatte er früher Kirche und Demokratie unver¬
einbar genannt, so hoffte er jetzt, sie vermählen, Autorität und Freiheit ver¬
söhnen zu können. Die „Brüder des christlichen Unterrichts" verbreiteten zumal
in der Bretagne die Anschauungen des ^vouir im Klerus und Volk, und
Malestroit wurde Novizenanstalt einer Kongregation für Journalisten; am
29. April 1831 trat die „ Generalagentnr für die Verteidigung der religiösen
Freiheit" ins Leben, deren Präsidium Lamenncns führte und die alle Länder,
in denen Katholiken wohnten, umspannen sollte; sie verlangte den freien Unter¬
richt und eröffnete trotz Regiernngsvcrbots eine freie Schule. Es fehlte nicht
um Preßprozcsseu gegen Lamennais, an Strafen, aber auch nicht an Triumphen;
keck setzte er den Kampf gegen Universität und Bischöfe fort, bis sich ein Teil
der letzten? unter der Leitung des Erzbischofs Astrvs von Toulouse entschloß,
ein Memorandum gegen das revolutionäre ^.vsirir und seine Redakteure dem
Papste Gregor XVI. einzusenden. Dem entgegen riet Lacordaire dazu, selbst
das Urteil der Kurie anzurufen; Lamennais ging feurig darauf ein, und in
einem Glaubensbekenntnisse vom 2. Februar 1831 erneuerten die Redakteure
die Beteuerungen extremen Ultramontanismus wie die Verdammung des Galli-
kauismus. Der Papst schwieg, der Kampf gegen das ^.venir nahm bedrohlichere
Dimensionen an, es gebrach an Mitteln, das Blatt fortzusetzen, und so ent¬
schlossen sich Lamenncns, Lacordaire und Montalembert, am 15. November
dasselbe einstweilen einzustellen und selbst ihre Sache in Rom zu führen.
Lamenncns mochte wohl an die Triumphe seines ersten Auftretens in der


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[0317] Abbe Lamennais. herrschte Lamennais, unterstützt von den fähigsten Schülern, Lacordaire, Graf Montalembert, Gerbet u. a., die der Religion eine lange vermißte Popularität gewannen und glühend die Sache der Freiheit verfochten, freilich in Gregor VII. den großen Patriarchen des europäischen Liberalismus bekränzten. Diesmal stülpte die Kirche die Freiheitsmütze auf. Lamennais that den Schritt zur freien Kirche im freien Staate, bekämpfte das Konkordat, forderte seine Abschaffung und die des Kultusbudgets, leugnete das Erncnnungsrccht des Königs, schlug dem Klerus vor, auf die Staatsbesvldung zu verzichten und alle Notdurft nur durch die freiwillige Spende der Gläubigen zu bestreiten; er versicherte, die Kirche werde wieder mächtig auf das Gemüt der Nation einwirken, wenn sie zur Armut zurückkehre und nur ihrer religiösen und moralischen Kraft vertraue. Sein Losungswort war Freiheit der Kirche vom Staate und Verzicht auf alle Staatsunterstützung; die Kirche aber wollte von Entsagung nichts hören: ihr waren Güter und Besitz zu wert, ihr graute vor diesem Freunde. Während er die Alleinherrschaft Christi und des Papstes predigte, trat Lamennais unter dem Jnbel der Priesterjugend Europas für die unterdrückten Katholiken in Irland, Polen und Belgien ein, focht für den Altar gegen den Thron. Von letzter»! aber forderte er unbedingte Freiheit des Gewissens, des Unterrichts, der Presse und der Assoziation, allgemeines Wahlrecht und Beseitigung des ver¬ derblichen Zentralisntivnssystems; hatte er früher Kirche und Demokratie unver¬ einbar genannt, so hoffte er jetzt, sie vermählen, Autorität und Freiheit ver¬ söhnen zu können. Die „Brüder des christlichen Unterrichts" verbreiteten zumal in der Bretagne die Anschauungen des ^vouir im Klerus und Volk, und Malestroit wurde Novizenanstalt einer Kongregation für Journalisten; am 29. April 1831 trat die „ Generalagentnr für die Verteidigung der religiösen Freiheit" ins Leben, deren Präsidium Lamenncns führte und die alle Länder, in denen Katholiken wohnten, umspannen sollte; sie verlangte den freien Unter¬ richt und eröffnete trotz Regiernngsvcrbots eine freie Schule. Es fehlte nicht um Preßprozcsseu gegen Lamennais, an Strafen, aber auch nicht an Triumphen; keck setzte er den Kampf gegen Universität und Bischöfe fort, bis sich ein Teil der letzten? unter der Leitung des Erzbischofs Astrvs von Toulouse entschloß, ein Memorandum gegen das revolutionäre ^.vsirir und seine Redakteure dem Papste Gregor XVI. einzusenden. Dem entgegen riet Lacordaire dazu, selbst das Urteil der Kurie anzurufen; Lamennais ging feurig darauf ein, und in einem Glaubensbekenntnisse vom 2. Februar 1831 erneuerten die Redakteure die Beteuerungen extremen Ultramontanismus wie die Verdammung des Galli- kauismus. Der Papst schwieg, der Kampf gegen das ^.venir nahm bedrohlichere Dimensionen an, es gebrach an Mitteln, das Blatt fortzusetzen, und so ent¬ schlossen sich Lamenncns, Lacordaire und Montalembert, am 15. November dasselbe einstweilen einzustellen und selbst ihre Sache in Rom zu führen. Lamenncns mochte wohl an die Triumphe seines ersten Auftretens in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/317>, abgerufen am 24.07.2024.