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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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AbbL Lamennais.

darunter es am 3. April 1826 in einer Deklaration an Karl X,, in der sie
"die volle und absolute Unabhängigkeit der Souveräne in weltlichen Dingen
von jeder kirchlichen Gewalt" seinen maßlosen veralteten Prätensionen entgegen
betonten; noch sechzig Prälaten stimmten zu. Als ungehorsam gegen die
Staatsgesetze wurde Lamennais, obwohl Berryer ihn verteidigte, am 22. April
verurteilt; doch behandelte man ihn voll Schonung, und der Spruch erwähnte
seines ehrwürdigen Charakters; seine Schrift wurde unterdrückt, und er kam mit
dreißig Franks Buße davon. Voll Erbitterung verfolgte der Episkopat den
dreisten Nömling, dieser griff nach wie vor die Uuterrichtömnister und den
Gallikanismus an, war weit konsequenter als seine Widersacher und hatte an
Rom einen furchtbaren Hinterhalt, während er die ganze Priesterjngend an sich
zog. Mehr und mehr ekelte ihn die konstitutionelle Monarchie Karls X. an,
die ihm keine Stütze gewährte; er nannte sie den abscheulichsten Despotismus,
der je auf der Menschheit gelastet habe, sah in der Allianz des Priestertums
mit dem fürstlichen Absolutismus einen Fehler und verlangte die vollständige
Trennung der Interessen der Kirche von denen der Staatsgewalt, Im Hin¬
blicke auf die Verordnungen von 1828 wegen der religiösen Genossenschaften
und der geistlichem Erziehung ließ er 1829 seinen Gefühlen in I)s8 ?r0grss as
l^ rsvoleckion öl as bi. Airsrrs svrckrs l'sgliLö freien Lauf, wetterte gegen
den atheistischen Staat, gegen die Bischöfe und die Deklaration von 1682 und
verteidigte die berüchtigte Bulle Bonifaz' VIII, von 1302 Himur hö-llowill,
die den Staat und die Fürsten der Gnade des Papstes preisgab; in fast
prophetischen Worten verkündigte er die Revolution des nächsten Jahres; er
griff das Kabinet Martignae an, weil es die Gesellschaft entchristliche und alle
Anhänger der Kirche, voran die Jesuiten, verfolge; der Moment schien ihm nahe,
wo das unterdrückte Volk Gewalt anwenden müsse, um im Namen des infallibeln
Papstes gegen den atheistischen König aufzustehen; er nannte sich den Vor¬
redner von 25 Millionen Katholiken. Ungewöhnlich war die Wirkung auch
dieser für ihn charakteristischen Schrift; sie fand sofort in Frankreich eine, in
Belgien vier neue Auflagen; zahlreiche Widerlegungen tauchten auf, Lamennais
trat in einen hitzigen Federkrieg mit dem Erzbischofe von Paris, überwand ihn
aber mit Hilfe des Papstes, der ihm seine Aufmunterung und den apostolischen
Segen sandte. Ganz allmählich näherte er sich, das liberale Lager verlassend,
den Demokraten, eine Konsequenz seiner Lehren, 1829 gründete er unter herz¬
licher Billigung Leos XII. die "Gesellschaft zur Verteidigung der katholischen
Religion," die ihre Organe in I>s LlMoliqruz und I^s Lorrssxonäirnt, fand.
Aber beide waren ihm bald nicht dienstbar genug. Zu seiner höchsten Genug¬
thuung stieß die Julirevolution Karl vom Throne, und die Presse wurde frei.
War tuo Nvnroriirl czg.tnoliqus 1830 eingeschlafen, so gründete Lamennais nun
das christlich-revolutionäre Journal I.'.Vvciul- unter der Devise visu se, I,i-
bsrts -- 1s l^axe se 1s ?sux1s; es erschien seit September 1830. In ihm


AbbL Lamennais.

darunter es am 3. April 1826 in einer Deklaration an Karl X,, in der sie
„die volle und absolute Unabhängigkeit der Souveräne in weltlichen Dingen
von jeder kirchlichen Gewalt" seinen maßlosen veralteten Prätensionen entgegen
betonten; noch sechzig Prälaten stimmten zu. Als ungehorsam gegen die
Staatsgesetze wurde Lamennais, obwohl Berryer ihn verteidigte, am 22. April
verurteilt; doch behandelte man ihn voll Schonung, und der Spruch erwähnte
seines ehrwürdigen Charakters; seine Schrift wurde unterdrückt, und er kam mit
dreißig Franks Buße davon. Voll Erbitterung verfolgte der Episkopat den
dreisten Nömling, dieser griff nach wie vor die Uuterrichtömnister und den
Gallikanismus an, war weit konsequenter als seine Widersacher und hatte an
Rom einen furchtbaren Hinterhalt, während er die ganze Priesterjngend an sich
zog. Mehr und mehr ekelte ihn die konstitutionelle Monarchie Karls X. an,
die ihm keine Stütze gewährte; er nannte sie den abscheulichsten Despotismus,
der je auf der Menschheit gelastet habe, sah in der Allianz des Priestertums
mit dem fürstlichen Absolutismus einen Fehler und verlangte die vollständige
Trennung der Interessen der Kirche von denen der Staatsgewalt, Im Hin¬
blicke auf die Verordnungen von 1828 wegen der religiösen Genossenschaften
und der geistlichem Erziehung ließ er 1829 seinen Gefühlen in I)s8 ?r0grss as
l^ rsvoleckion öl as bi. Airsrrs svrckrs l'sgliLö freien Lauf, wetterte gegen
den atheistischen Staat, gegen die Bischöfe und die Deklaration von 1682 und
verteidigte die berüchtigte Bulle Bonifaz' VIII, von 1302 Himur hö-llowill,
die den Staat und die Fürsten der Gnade des Papstes preisgab; in fast
prophetischen Worten verkündigte er die Revolution des nächsten Jahres; er
griff das Kabinet Martignae an, weil es die Gesellschaft entchristliche und alle
Anhänger der Kirche, voran die Jesuiten, verfolge; der Moment schien ihm nahe,
wo das unterdrückte Volk Gewalt anwenden müsse, um im Namen des infallibeln
Papstes gegen den atheistischen König aufzustehen; er nannte sich den Vor¬
redner von 25 Millionen Katholiken. Ungewöhnlich war die Wirkung auch
dieser für ihn charakteristischen Schrift; sie fand sofort in Frankreich eine, in
Belgien vier neue Auflagen; zahlreiche Widerlegungen tauchten auf, Lamennais
trat in einen hitzigen Federkrieg mit dem Erzbischofe von Paris, überwand ihn
aber mit Hilfe des Papstes, der ihm seine Aufmunterung und den apostolischen
Segen sandte. Ganz allmählich näherte er sich, das liberale Lager verlassend,
den Demokraten, eine Konsequenz seiner Lehren, 1829 gründete er unter herz¬
licher Billigung Leos XII. die „Gesellschaft zur Verteidigung der katholischen
Religion," die ihre Organe in I>s LlMoliqruz und I^s Lorrssxonäirnt, fand.
Aber beide waren ihm bald nicht dienstbar genug. Zu seiner höchsten Genug¬
thuung stieß die Julirevolution Karl vom Throne, und die Presse wurde frei.
War tuo Nvnroriirl czg.tnoliqus 1830 eingeschlafen, so gründete Lamennais nun
das christlich-revolutionäre Journal I.'.Vvciul- unter der Devise visu se, I,i-
bsrts — 1s l^axe se 1s ?sux1s; es erschien seit September 1830. In ihm


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[0316] AbbL Lamennais. darunter es am 3. April 1826 in einer Deklaration an Karl X,, in der sie „die volle und absolute Unabhängigkeit der Souveräne in weltlichen Dingen von jeder kirchlichen Gewalt" seinen maßlosen veralteten Prätensionen entgegen betonten; noch sechzig Prälaten stimmten zu. Als ungehorsam gegen die Staatsgesetze wurde Lamennais, obwohl Berryer ihn verteidigte, am 22. April verurteilt; doch behandelte man ihn voll Schonung, und der Spruch erwähnte seines ehrwürdigen Charakters; seine Schrift wurde unterdrückt, und er kam mit dreißig Franks Buße davon. Voll Erbitterung verfolgte der Episkopat den dreisten Nömling, dieser griff nach wie vor die Uuterrichtömnister und den Gallikanismus an, war weit konsequenter als seine Widersacher und hatte an Rom einen furchtbaren Hinterhalt, während er die ganze Priesterjngend an sich zog. Mehr und mehr ekelte ihn die konstitutionelle Monarchie Karls X. an, die ihm keine Stütze gewährte; er nannte sie den abscheulichsten Despotismus, der je auf der Menschheit gelastet habe, sah in der Allianz des Priestertums mit dem fürstlichen Absolutismus einen Fehler und verlangte die vollständige Trennung der Interessen der Kirche von denen der Staatsgewalt, Im Hin¬ blicke auf die Verordnungen von 1828 wegen der religiösen Genossenschaften und der geistlichem Erziehung ließ er 1829 seinen Gefühlen in I)s8 ?r0grss as l^ rsvoleckion öl as bi. Airsrrs svrckrs l'sgliLö freien Lauf, wetterte gegen den atheistischen Staat, gegen die Bischöfe und die Deklaration von 1682 und verteidigte die berüchtigte Bulle Bonifaz' VIII, von 1302 Himur hö-llowill, die den Staat und die Fürsten der Gnade des Papstes preisgab; in fast prophetischen Worten verkündigte er die Revolution des nächsten Jahres; er griff das Kabinet Martignae an, weil es die Gesellschaft entchristliche und alle Anhänger der Kirche, voran die Jesuiten, verfolge; der Moment schien ihm nahe, wo das unterdrückte Volk Gewalt anwenden müsse, um im Namen des infallibeln Papstes gegen den atheistischen König aufzustehen; er nannte sich den Vor¬ redner von 25 Millionen Katholiken. Ungewöhnlich war die Wirkung auch dieser für ihn charakteristischen Schrift; sie fand sofort in Frankreich eine, in Belgien vier neue Auflagen; zahlreiche Widerlegungen tauchten auf, Lamennais trat in einen hitzigen Federkrieg mit dem Erzbischofe von Paris, überwand ihn aber mit Hilfe des Papstes, der ihm seine Aufmunterung und den apostolischen Segen sandte. Ganz allmählich näherte er sich, das liberale Lager verlassend, den Demokraten, eine Konsequenz seiner Lehren, 1829 gründete er unter herz¬ licher Billigung Leos XII. die „Gesellschaft zur Verteidigung der katholischen Religion," die ihre Organe in I>s LlMoliqruz und I^s Lorrssxonäirnt, fand. Aber beide waren ihm bald nicht dienstbar genug. Zu seiner höchsten Genug¬ thuung stieß die Julirevolution Karl vom Throne, und die Presse wurde frei. War tuo Nvnroriirl czg.tnoliqus 1830 eingeschlafen, so gründete Lamennais nun das christlich-revolutionäre Journal I.'.Vvciul- unter der Devise visu se, I,i- bsrts — 1s l^axe se 1s ?sux1s; es erschien seit September 1830. In ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/316>, abgerufen am 24.07.2024.