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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Abbe Jean Marie, beschäftigte dabei der Plan, die Legalität des Gewaltstrciches
gegen die Kirche, des Konkordats von 1801, darzulegen; sie arbeiteten seit 1810
an dem dreibändigen Werke I,Ä IriMtivn 60 l'vMsL sur l'inskitutioQ ass ovßquö8,
welches 1814 heimlich in Paris gedruckt und verbreitet wurde: es war ein
großer Schritt weiter nach Rom hin, und Lamennais mußte sich zur Verteidigung
desselben rüsten. Wie er geahnt hatte, erhob sich gegen das Buch mit seinen Ent¬
stellungen und Verdrehungen, die gar wenig Freunde sanden, eine Welt von
Feinden. Hatte er nach Napoleons Sturz der Rückkehr der Bourbons zu¬
gejubelt und das kaiserliche Regiment mit gewohnter Leidenschaftlichkeit verurteilt,
so fand er es in den Hundert Tagen geraten, vor Napoleons Zorn und der
Erbitterung der Bischöfe im April 1816 nach England zu flüchten, wo er mit
Stundengeben seinen Unterhalt fristete. Er fand bald, die protestantische Atmo¬
sphäre sei Stickluft für ihn, und lieber würde er in der Türkei leben. Unausgesetzt
beschäftigten ihn die Freiheiten der gallikanischen Kirche und die Unfehlbarkeit
des Papstes, er wetterte gegen erstere und griff Bossuet mit steigender Wildheit
an, wandte sich gegen die irischen Bischöfe, die 181S ihre Selbständigkeit Rom
gegenüber betonten, und trieb in das Fahrwasser der Journalistik, um die
wundersame Kraft seiner Feder Rom zur Verfügung zu stellen. Wie Graf de
Maistre, folgerte er aus der Souveränität des Papstes seine Jnfallibilität; er
machte de Maistres Ideen dem Volke mundgerecht, führte aus, der Papst
sei infallibel und repräsentire die Gesamtvernunft, ihm sei unbedingter Gehorsam
zu zollen. Das Haupthindernis für die Realisirung seiner Kirchenverbesserung
erkannte er in der Abhängigkeit des Klerus vom Staate, seinem Brodherrn;
darum forderte er eine feste Dotation für den Klerus und ging darauf aus, ihn
zu einer in sich abgeschlossene" unabhängigen Korporation zu machen; von diesen
Ansichten, die bleibendes Gemeingut seiner Schule wurden, schritt er mit der
Zeit zur Lehre von der vollen Trennung der Kirche vom Staate vor.

Eine Stunde des Entzückens schlug für den Bewunderer der Jesuiten, als
Pius VII. im August 1814 den Orden wiederherstellte; Lamennais erblickte hierin
eine mächtige Förderung seiner Lehren. Unter der zweiten Restauration kehrte
er im November 1815 aus England nach Paris heim und führte erbitterten Krieg
gegen das Lehrmvnopol des Staates; es bedurfte des freien Unterrichts, um
die Jesuiten zu Herren der Gewissen zu machen; sein Pamphlet "Das Recht der
Negierung auf die Erziehung" fand starken Absatz, und seine Schrift von 1318
"Über die Erziehung in ihrer Beziehung zur Freiheit" reklamirte die Freiheit
des Unterrichts auf Grund der Rechte des Vaters und der Familie, allein über
die Erziehung ihrer Angehörigen zu entscheiden. Bereits in England hatte er
ein großes Werk begonnen, den Lss^i Lur l'inäitlortZllLö on irilckiörs as rsliZion,
dessen erster Band jetzt 1817 in Paris erschien; derselbe erweckte außerordent¬
lichen Enthusiasmus, und auf Lamennais ergoß sich eine solche Überfülle von
Lob, daß sogar er beschämt niederbückte. Bonald, de Maistre, Lamartine über-


Gn'NZl'vWl It. 1836. no

Abbe Jean Marie, beschäftigte dabei der Plan, die Legalität des Gewaltstrciches
gegen die Kirche, des Konkordats von 1801, darzulegen; sie arbeiteten seit 1810
an dem dreibändigen Werke I,Ä IriMtivn 60 l'vMsL sur l'inskitutioQ ass ovßquö8,
welches 1814 heimlich in Paris gedruckt und verbreitet wurde: es war ein
großer Schritt weiter nach Rom hin, und Lamennais mußte sich zur Verteidigung
desselben rüsten. Wie er geahnt hatte, erhob sich gegen das Buch mit seinen Ent¬
stellungen und Verdrehungen, die gar wenig Freunde sanden, eine Welt von
Feinden. Hatte er nach Napoleons Sturz der Rückkehr der Bourbons zu¬
gejubelt und das kaiserliche Regiment mit gewohnter Leidenschaftlichkeit verurteilt,
so fand er es in den Hundert Tagen geraten, vor Napoleons Zorn und der
Erbitterung der Bischöfe im April 1816 nach England zu flüchten, wo er mit
Stundengeben seinen Unterhalt fristete. Er fand bald, die protestantische Atmo¬
sphäre sei Stickluft für ihn, und lieber würde er in der Türkei leben. Unausgesetzt
beschäftigten ihn die Freiheiten der gallikanischen Kirche und die Unfehlbarkeit
des Papstes, er wetterte gegen erstere und griff Bossuet mit steigender Wildheit
an, wandte sich gegen die irischen Bischöfe, die 181S ihre Selbständigkeit Rom
gegenüber betonten, und trieb in das Fahrwasser der Journalistik, um die
wundersame Kraft seiner Feder Rom zur Verfügung zu stellen. Wie Graf de
Maistre, folgerte er aus der Souveränität des Papstes seine Jnfallibilität; er
machte de Maistres Ideen dem Volke mundgerecht, führte aus, der Papst
sei infallibel und repräsentire die Gesamtvernunft, ihm sei unbedingter Gehorsam
zu zollen. Das Haupthindernis für die Realisirung seiner Kirchenverbesserung
erkannte er in der Abhängigkeit des Klerus vom Staate, seinem Brodherrn;
darum forderte er eine feste Dotation für den Klerus und ging darauf aus, ihn
zu einer in sich abgeschlossene» unabhängigen Korporation zu machen; von diesen
Ansichten, die bleibendes Gemeingut seiner Schule wurden, schritt er mit der
Zeit zur Lehre von der vollen Trennung der Kirche vom Staate vor.

Eine Stunde des Entzückens schlug für den Bewunderer der Jesuiten, als
Pius VII. im August 1814 den Orden wiederherstellte; Lamennais erblickte hierin
eine mächtige Förderung seiner Lehren. Unter der zweiten Restauration kehrte
er im November 1815 aus England nach Paris heim und führte erbitterten Krieg
gegen das Lehrmvnopol des Staates; es bedurfte des freien Unterrichts, um
die Jesuiten zu Herren der Gewissen zu machen; sein Pamphlet „Das Recht der
Negierung auf die Erziehung" fand starken Absatz, und seine Schrift von 1318
„Über die Erziehung in ihrer Beziehung zur Freiheit" reklamirte die Freiheit
des Unterrichts auf Grund der Rechte des Vaters und der Familie, allein über
die Erziehung ihrer Angehörigen zu entscheiden. Bereits in England hatte er
ein großes Werk begonnen, den Lss^i Lur l'inäitlortZllLö on irilckiörs as rsliZion,
dessen erster Band jetzt 1817 in Paris erschien; derselbe erweckte außerordent¬
lichen Enthusiasmus, und auf Lamennais ergoß sich eine solche Überfülle von
Lob, daß sogar er beschämt niederbückte. Bonald, de Maistre, Lamartine über-


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[0313] Abbe Jean Marie, beschäftigte dabei der Plan, die Legalität des Gewaltstrciches gegen die Kirche, des Konkordats von 1801, darzulegen; sie arbeiteten seit 1810 an dem dreibändigen Werke I,Ä IriMtivn 60 l'vMsL sur l'inskitutioQ ass ovßquö8, welches 1814 heimlich in Paris gedruckt und verbreitet wurde: es war ein großer Schritt weiter nach Rom hin, und Lamennais mußte sich zur Verteidigung desselben rüsten. Wie er geahnt hatte, erhob sich gegen das Buch mit seinen Ent¬ stellungen und Verdrehungen, die gar wenig Freunde sanden, eine Welt von Feinden. Hatte er nach Napoleons Sturz der Rückkehr der Bourbons zu¬ gejubelt und das kaiserliche Regiment mit gewohnter Leidenschaftlichkeit verurteilt, so fand er es in den Hundert Tagen geraten, vor Napoleons Zorn und der Erbitterung der Bischöfe im April 1816 nach England zu flüchten, wo er mit Stundengeben seinen Unterhalt fristete. Er fand bald, die protestantische Atmo¬ sphäre sei Stickluft für ihn, und lieber würde er in der Türkei leben. Unausgesetzt beschäftigten ihn die Freiheiten der gallikanischen Kirche und die Unfehlbarkeit des Papstes, er wetterte gegen erstere und griff Bossuet mit steigender Wildheit an, wandte sich gegen die irischen Bischöfe, die 181S ihre Selbständigkeit Rom gegenüber betonten, und trieb in das Fahrwasser der Journalistik, um die wundersame Kraft seiner Feder Rom zur Verfügung zu stellen. Wie Graf de Maistre, folgerte er aus der Souveränität des Papstes seine Jnfallibilität; er machte de Maistres Ideen dem Volke mundgerecht, führte aus, der Papst sei infallibel und repräsentire die Gesamtvernunft, ihm sei unbedingter Gehorsam zu zollen. Das Haupthindernis für die Realisirung seiner Kirchenverbesserung erkannte er in der Abhängigkeit des Klerus vom Staate, seinem Brodherrn; darum forderte er eine feste Dotation für den Klerus und ging darauf aus, ihn zu einer in sich abgeschlossene» unabhängigen Korporation zu machen; von diesen Ansichten, die bleibendes Gemeingut seiner Schule wurden, schritt er mit der Zeit zur Lehre von der vollen Trennung der Kirche vom Staate vor. Eine Stunde des Entzückens schlug für den Bewunderer der Jesuiten, als Pius VII. im August 1814 den Orden wiederherstellte; Lamennais erblickte hierin eine mächtige Förderung seiner Lehren. Unter der zweiten Restauration kehrte er im November 1815 aus England nach Paris heim und führte erbitterten Krieg gegen das Lehrmvnopol des Staates; es bedurfte des freien Unterrichts, um die Jesuiten zu Herren der Gewissen zu machen; sein Pamphlet „Das Recht der Negierung auf die Erziehung" fand starken Absatz, und seine Schrift von 1318 „Über die Erziehung in ihrer Beziehung zur Freiheit" reklamirte die Freiheit des Unterrichts auf Grund der Rechte des Vaters und der Familie, allein über die Erziehung ihrer Angehörigen zu entscheiden. Bereits in England hatte er ein großes Werk begonnen, den Lss^i Lur l'inäitlortZllLö on irilckiörs as rsliZion, dessen erster Band jetzt 1817 in Paris erschien; derselbe erweckte außerordent¬ lichen Enthusiasmus, und auf Lamennais ergoß sich eine solche Überfülle von Lob, daß sogar er beschämt niederbückte. Bonald, de Maistre, Lamartine über- Gn'NZl'vWl It. 1836. no

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/313>, abgerufen am 24.07.2024.