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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Das neue Manifest Gladstones.

eigennützig oder abhängig zu sein, einschüchtern, von seiner Überzeugung abwendig
machen und zu den Anhängern Gladstones hinüberschcncheu zu lassen. Gladstone
selbst aber ist gutes Mutes oder scheint wenigstens an seinem Erfolge noch nicht
zu verzweifeln. Die allerdings furchtbare Armee seiner Gegner sei, erklärt er,
zwar jetzt durch eine wertvolle Truppe aus den Reihen des Liberalismus ver¬
stärkt, doch in ihrer Hauptmasse dieselbe, welche in allen Schlachten der letzten
sechs Jahrzehnte, in denen die Fragen des Freihandels, der Religionsfreiheit
und des demokratischen Stimmrechts entschieden worden seien, Widerstand geleistet
habe und geschlagen worden sei. Allerdings habe ein Abfall, eine Sezession in
der liberalen Partei stattgefunden. Aber das sei zur Freude und zum Vorteile
der Tories schon früher vorgekommen. "1793 hatte, so sagt er, eine große und
denkwürdige Sezession dieser Art den furchtbaren Krieg zur Folge, der erst
1815 endigte. Sie ließ die Partei geschwächt und verarmt hinter sich, aber die
Partei lebte fort, während die Sezession zu Grunde ging, und was mehr ist, wir
wissen jetzt, daß jene Recht, diese Unrecht hatte. Wir haben ein zweites Beispiel
aus dem Jahre 1835, wo Lord Derby und Sir James Graham von ihrer Partei
abfielen, um für Erhaltung der irischen Staatskirche zu wirken. Das Urteil
des Landes zeigt hier wieder, daß die Partei im Prinzip Recht, die Sezession
Unrecht hatte. Vergleichen wir die jetzige Sezession mit jenen frühern, so ergiebt
sich ein wesentlicher Unterschied. Jene waren in sich einig, diese ist es nicht.
Einige sind für unbeschränkten Zwang, andre für beschränkten, wie wir ihn achtzig
Jahre lang vergeblich geübt haben; einige wollen gar keine lokale Negierung,
andre eine solche für Provinzen oder Grafschaften zugestehen; einige möchten
Irland einen administrativen Mittelpunkt, aber keinen legislativen, andre mochten
ihm diesen, aber keinen exekutiven geben. Kurz, die Sezession ist ein vollständiges
Babel," was nicht unrichtig ist, wobei aber vergessen wurde, daß man in der
Verwerfung des Gladstoneschen Planes einig und insofern kein Babel ist.

Das Manifest fährt dann fort: "Die Tories wie die Liberalen von der
Opposition besitzen samt und sonders eins nicht: Vertrauen in ihren Wider¬
stand. Von der Hand in den Mund zu leben, ist das höchste, was sie er¬
warten. Sie wissen, daß der Streit, den sie schüren, nur mit dem Zugeständnisse
der Selbstregierung an Irland enden kann. Ist dies so, dann dreht sich die uns
vorliegende Frage nicht um den Triumph der irischen Autonomie, sondern um
die Länge und den Charakter des Kampfes um dieselbe. Wir sagen, laßt uus
ihn abkürzen, sie sagen, laßt uns ihn verlängern. Wir wollen frei und reichlich
geben, sie nur, wenn und so viel sie müssen." Auch hierin könnte Wahres
liegen, doch scheint uns die Ansicht Gladstones von der Unvermeidlichkeit des
Triumphs der Parnellitcu einer Einschränkung zu bedürfen. Unter zaghaften
Liberalen wie er werden sie siegen, ein entschlossener Minister dagegen, der nicht
Parteimann wäre, würde sie mit den Mitteln, die England zu Gebote stehen, ohne
Zweifel bald belehren, daß auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen-




Das neue Manifest Gladstones.

eigennützig oder abhängig zu sein, einschüchtern, von seiner Überzeugung abwendig
machen und zu den Anhängern Gladstones hinüberschcncheu zu lassen. Gladstone
selbst aber ist gutes Mutes oder scheint wenigstens an seinem Erfolge noch nicht
zu verzweifeln. Die allerdings furchtbare Armee seiner Gegner sei, erklärt er,
zwar jetzt durch eine wertvolle Truppe aus den Reihen des Liberalismus ver¬
stärkt, doch in ihrer Hauptmasse dieselbe, welche in allen Schlachten der letzten
sechs Jahrzehnte, in denen die Fragen des Freihandels, der Religionsfreiheit
und des demokratischen Stimmrechts entschieden worden seien, Widerstand geleistet
habe und geschlagen worden sei. Allerdings habe ein Abfall, eine Sezession in
der liberalen Partei stattgefunden. Aber das sei zur Freude und zum Vorteile
der Tories schon früher vorgekommen. „1793 hatte, so sagt er, eine große und
denkwürdige Sezession dieser Art den furchtbaren Krieg zur Folge, der erst
1815 endigte. Sie ließ die Partei geschwächt und verarmt hinter sich, aber die
Partei lebte fort, während die Sezession zu Grunde ging, und was mehr ist, wir
wissen jetzt, daß jene Recht, diese Unrecht hatte. Wir haben ein zweites Beispiel
aus dem Jahre 1835, wo Lord Derby und Sir James Graham von ihrer Partei
abfielen, um für Erhaltung der irischen Staatskirche zu wirken. Das Urteil
des Landes zeigt hier wieder, daß die Partei im Prinzip Recht, die Sezession
Unrecht hatte. Vergleichen wir die jetzige Sezession mit jenen frühern, so ergiebt
sich ein wesentlicher Unterschied. Jene waren in sich einig, diese ist es nicht.
Einige sind für unbeschränkten Zwang, andre für beschränkten, wie wir ihn achtzig
Jahre lang vergeblich geübt haben; einige wollen gar keine lokale Negierung,
andre eine solche für Provinzen oder Grafschaften zugestehen; einige möchten
Irland einen administrativen Mittelpunkt, aber keinen legislativen, andre mochten
ihm diesen, aber keinen exekutiven geben. Kurz, die Sezession ist ein vollständiges
Babel," was nicht unrichtig ist, wobei aber vergessen wurde, daß man in der
Verwerfung des Gladstoneschen Planes einig und insofern kein Babel ist.

Das Manifest fährt dann fort: „Die Tories wie die Liberalen von der
Opposition besitzen samt und sonders eins nicht: Vertrauen in ihren Wider¬
stand. Von der Hand in den Mund zu leben, ist das höchste, was sie er¬
warten. Sie wissen, daß der Streit, den sie schüren, nur mit dem Zugeständnisse
der Selbstregierung an Irland enden kann. Ist dies so, dann dreht sich die uns
vorliegende Frage nicht um den Triumph der irischen Autonomie, sondern um
die Länge und den Charakter des Kampfes um dieselbe. Wir sagen, laßt uus
ihn abkürzen, sie sagen, laßt uns ihn verlängern. Wir wollen frei und reichlich
geben, sie nur, wenn und so viel sie müssen." Auch hierin könnte Wahres
liegen, doch scheint uns die Ansicht Gladstones von der Unvermeidlichkeit des
Triumphs der Parnellitcu einer Einschränkung zu bedürfen. Unter zaghaften
Liberalen wie er werden sie siegen, ein entschlossener Minister dagegen, der nicht
Parteimann wäre, würde sie mit den Mitteln, die England zu Gebote stehen, ohne
Zweifel bald belehren, daß auch hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen-




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/302>, abgerufen am 30.06.2024.