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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Robert Schumann in seinen Jugendbriefen.

da werden wir beide weinen wie die Kinder -- das weiß ich, das wird mich
überwältigen." Nachdem dann in demselben Briefe davon die Rede gewesen
ist, daß Klara in der Ehe manchmal Geduld mit ihm haben müsse, und daß
sie ihn wegen allerlei schelmischer Fehler oft "auszanken" werde, heißt es: "Nun
aber kann ich auch sehr ernst sein, oft tagelang -- und das kümmere dich nicht --
es sind meist Vorgänge in meiner Seele, Gedanken über Musik und Komposi¬
tionen, Es affizirt mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur,
Menschen; über alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch
die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind auch viele
meiner Kompositionen so schwer zu verstehen, weil sie an entfernte Interessen
anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift,
und ich es dann musikalisch wieder aussprechen muß. Darum genügen mir auch
so wenig sneuere^ Kompositionen, weil sie abgesehen von allen Mängeln des
Handwerks, sich anch in musikalischen Empfindungen der niedrigsten Gattung,
in gewöhnlichen lyrischen Ausrufungen herumtreiben. Das Höchste, was hier
geleistet wird, reicht noch nicht bis zum Anfang der Art meiner Musik. Jenes
kann eine Blume sein, dieses ist das umso viel geistigere Gedicht; jenes ein
Trieb der rohen Natur, dieses ein Werk des dichterischen Bewußtseins. Dies
alles weiß ich auch nicht während des Kvmponirens, und ^ kömmt erst hinter¬
her -- du wirst wohl wissen, wie ichs meine, die du auf solcher Höhe der Leiter
stehst. Auch kann ich nicht darüber sprechen, wie überhaupt über Musik nur
in einzelnen Sätzen, aber ich denke wohl darüber nach -- kurz, sehr ernst wirst
du mich zuweilen finden und gar nicht wissen, was du von mir denken sollst."
Daß seine Klavierkompvsitivncn zum Vortrage im Konzert wenig geeignet seien,
verhehlte er sich nicht. "Dn hast wohlgethan, meine symphonischen > Etüden
nicht zu spielen; das paßt nicht fürs Publikum, und dann wäre es lahm, wenn
ich mich hinterdrein beklagen wollte, es hätte etwas nicht verstanden, was sür
solchen Beifall nicht berechnet und nur um seiner selbst willen da ist. Ich ge¬
stehe aber auch, daß es mir große Freude machen würde, wenn mir einmal
etwas gelänge, daß, wenn du es gespielt hättest, das Publikum wider die Wände
rennte, vor Entzücken; denn eitel sind wir Komponisten, auch wenn wir keine
Ursache dazu haben." "Du spielst oft jenen, die noch gar nichts von mir
kennen, den Carnaval vor -- wären dazu die Phantasiestücke nicht besser? Im
Carnaval hebt immer ein Stück das andre auf, was nicht alle vertragen können.
In den Phantasiestücken kann man sich aber recht behaglich ausbreiten -- doch
thue nur, wie du willst! Ich denke mir manchmal, was dn als Mädchen selbst
bist, ansteht du an der Musik vielleicht zu wenig, nämlich das Trauliche, einfach
Liebenswürdige, Ungekünstelte. Dn willst am liebsten gleich Sturm und Blitz
und immer nur alles neu und nie dagewesen. Es giebt auch alte und ewige
Zustände und Stimmungen, die uns beherrschen. Das Romantische liegt aber
nicht in den Figuren und Formen; es wird ohnehin darin sein, ist der Kom-


Robert Schumann in seinen Jugendbriefen.

da werden wir beide weinen wie die Kinder — das weiß ich, das wird mich
überwältigen." Nachdem dann in demselben Briefe davon die Rede gewesen
ist, daß Klara in der Ehe manchmal Geduld mit ihm haben müsse, und daß
sie ihn wegen allerlei schelmischer Fehler oft „auszanken" werde, heißt es: „Nun
aber kann ich auch sehr ernst sein, oft tagelang — und das kümmere dich nicht —
es sind meist Vorgänge in meiner Seele, Gedanken über Musik und Komposi¬
tionen, Es affizirt mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur,
Menschen; über alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch
die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind auch viele
meiner Kompositionen so schwer zu verstehen, weil sie an entfernte Interessen
anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift,
und ich es dann musikalisch wieder aussprechen muß. Darum genügen mir auch
so wenig sneuere^ Kompositionen, weil sie abgesehen von allen Mängeln des
Handwerks, sich anch in musikalischen Empfindungen der niedrigsten Gattung,
in gewöhnlichen lyrischen Ausrufungen herumtreiben. Das Höchste, was hier
geleistet wird, reicht noch nicht bis zum Anfang der Art meiner Musik. Jenes
kann eine Blume sein, dieses ist das umso viel geistigere Gedicht; jenes ein
Trieb der rohen Natur, dieses ein Werk des dichterischen Bewußtseins. Dies
alles weiß ich auch nicht während des Kvmponirens, und ^ kömmt erst hinter¬
her — du wirst wohl wissen, wie ichs meine, die du auf solcher Höhe der Leiter
stehst. Auch kann ich nicht darüber sprechen, wie überhaupt über Musik nur
in einzelnen Sätzen, aber ich denke wohl darüber nach — kurz, sehr ernst wirst
du mich zuweilen finden und gar nicht wissen, was du von mir denken sollst."
Daß seine Klavierkompvsitivncn zum Vortrage im Konzert wenig geeignet seien,
verhehlte er sich nicht. „Dn hast wohlgethan, meine symphonischen > Etüden
nicht zu spielen; das paßt nicht fürs Publikum, und dann wäre es lahm, wenn
ich mich hinterdrein beklagen wollte, es hätte etwas nicht verstanden, was sür
solchen Beifall nicht berechnet und nur um seiner selbst willen da ist. Ich ge¬
stehe aber auch, daß es mir große Freude machen würde, wenn mir einmal
etwas gelänge, daß, wenn du es gespielt hättest, das Publikum wider die Wände
rennte, vor Entzücken; denn eitel sind wir Komponisten, auch wenn wir keine
Ursache dazu haben." „Du spielst oft jenen, die noch gar nichts von mir
kennen, den Carnaval vor — wären dazu die Phantasiestücke nicht besser? Im
Carnaval hebt immer ein Stück das andre auf, was nicht alle vertragen können.
In den Phantasiestücken kann man sich aber recht behaglich ausbreiten — doch
thue nur, wie du willst! Ich denke mir manchmal, was dn als Mädchen selbst
bist, ansteht du an der Musik vielleicht zu wenig, nämlich das Trauliche, einfach
Liebenswürdige, Ungekünstelte. Dn willst am liebsten gleich Sturm und Blitz
und immer nur alles neu und nie dagewesen. Es giebt auch alte und ewige
Zustände und Stimmungen, die uns beherrschen. Das Romantische liegt aber
nicht in den Figuren und Formen; es wird ohnehin darin sein, ist der Kom-


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[0284] Robert Schumann in seinen Jugendbriefen. da werden wir beide weinen wie die Kinder — das weiß ich, das wird mich überwältigen." Nachdem dann in demselben Briefe davon die Rede gewesen ist, daß Klara in der Ehe manchmal Geduld mit ihm haben müsse, und daß sie ihn wegen allerlei schelmischer Fehler oft „auszanken" werde, heißt es: „Nun aber kann ich auch sehr ernst sein, oft tagelang — und das kümmere dich nicht — es sind meist Vorgänge in meiner Seele, Gedanken über Musik und Komposi¬ tionen, Es affizirt mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen; über alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind auch viele meiner Kompositionen so schwer zu verstehen, weil sie an entfernte Interessen anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift, und ich es dann musikalisch wieder aussprechen muß. Darum genügen mir auch so wenig sneuere^ Kompositionen, weil sie abgesehen von allen Mängeln des Handwerks, sich anch in musikalischen Empfindungen der niedrigsten Gattung, in gewöhnlichen lyrischen Ausrufungen herumtreiben. Das Höchste, was hier geleistet wird, reicht noch nicht bis zum Anfang der Art meiner Musik. Jenes kann eine Blume sein, dieses ist das umso viel geistigere Gedicht; jenes ein Trieb der rohen Natur, dieses ein Werk des dichterischen Bewußtseins. Dies alles weiß ich auch nicht während des Kvmponirens, und ^ kömmt erst hinter¬ her — du wirst wohl wissen, wie ichs meine, die du auf solcher Höhe der Leiter stehst. Auch kann ich nicht darüber sprechen, wie überhaupt über Musik nur in einzelnen Sätzen, aber ich denke wohl darüber nach — kurz, sehr ernst wirst du mich zuweilen finden und gar nicht wissen, was du von mir denken sollst." Daß seine Klavierkompvsitivncn zum Vortrage im Konzert wenig geeignet seien, verhehlte er sich nicht. „Dn hast wohlgethan, meine symphonischen > Etüden nicht zu spielen; das paßt nicht fürs Publikum, und dann wäre es lahm, wenn ich mich hinterdrein beklagen wollte, es hätte etwas nicht verstanden, was sür solchen Beifall nicht berechnet und nur um seiner selbst willen da ist. Ich ge¬ stehe aber auch, daß es mir große Freude machen würde, wenn mir einmal etwas gelänge, daß, wenn du es gespielt hättest, das Publikum wider die Wände rennte, vor Entzücken; denn eitel sind wir Komponisten, auch wenn wir keine Ursache dazu haben." „Du spielst oft jenen, die noch gar nichts von mir kennen, den Carnaval vor — wären dazu die Phantasiestücke nicht besser? Im Carnaval hebt immer ein Stück das andre auf, was nicht alle vertragen können. In den Phantasiestücken kann man sich aber recht behaglich ausbreiten — doch thue nur, wie du willst! Ich denke mir manchmal, was dn als Mädchen selbst bist, ansteht du an der Musik vielleicht zu wenig, nämlich das Trauliche, einfach Liebenswürdige, Ungekünstelte. Dn willst am liebsten gleich Sturm und Blitz und immer nur alles neu und nie dagewesen. Es giebt auch alte und ewige Zustände und Stimmungen, die uns beherrschen. Das Romantische liegt aber nicht in den Figuren und Formen; es wird ohnehin darin sein, ist der Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/284>, abgerufen am 29.12.2024.