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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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daß dem mit der Gerichtsbarkeit beauftragten Beamten ein weiteres lokales
Strafverordnungsrecht eingeräumt ist; er kann in unbeschränkter Höhe Geld¬
strafen festsetzen und Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten. Während ferner
in den Konsulargerichtsbezirken Schwnrgcrichtsfälle nicht zur Aburteilung ge¬
langen können, ist eine solche sür die Schutzgebiete unter gewissen Kautelen
vorgesehen. Es ist ferner die Möglichkeit gegeben, in bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten als zweite und letzte Instanz nicht das Reichsgericht, sondern das Hansea¬
lische Oberlandesgericht oder ein Konsnlargericht zu bestellen. Soweit nämlich
vorzugsweise hanseatische Kaufleute in ihren Unternehmungen bei den Schutz¬
gebieten beteiligt sind, entspricht es ihren Bedürfnissen, daß sie das letzte Gericht
in ihrer Heimat haben; soweit die Interessenten der Südsee in Betracht kommen,
wird es für diese bequemer sein, wenn ein Konsnlargericht in der Nähe die
letzte Entscheidung hat. Es ist sodann in Aussicht genommen, gewisse Vor¬
schriften der Neichsjustizgesetze, die auch in der Heimat wenig Beifall gefunden
haben, von deu Schutzgebieten auszuschließen, in denen alle Voraussetzungen
für ihre Anwendung fehlen. So soll der Anwaltszwang wegfallen, das Zu-
stellungs-, Vvllftreckungs - und Kosteuweseu entsprechend vereinfacht werden.
Endlich regelt sich die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes
für alle Personen außer den Eingebornen nach dem Gesetze vom 4. Mai 1870
über die gleichen Verhältnisse der Neichsangehörigen im Auslande. Die hierzu
erforderliche kaiserliche Verordnung ist für Kamerun und Togo bereits unter
dem 21. April 1886 ergangen.

Das Schwergewicht für die Fortentwicklung der Schutzgebiete liegt aber
in dem § 1 des Gesetzes: "Die Schutzgewnlt in den deutschen Schutzgebieten übt
der Kaiser im Namen des Reiches ans." Dies war der viclnmkämpftc Angel¬
punkt des Gesetzes, und seine Annahme bedeutet deu Sieg des nationalen Ge¬
dankens und der Sachlichkeit gegenüber dem Partikularismus und dem Fraktions¬
geist. In dieser Vorschrift ist eine doppelte Seite enthalten, indem einmal
ausgesprochen ist, daß die oberste Exekutive in den Händen des Kaisers beruht,
und sodann, daß die Gesetzgebung, abgesehen von den durch das Gesetz selbst
festgestellten Bestimmungen, vom Kaiser allein ausgeübt werden soll. Hiernach
ist der Kaiser der absolute Herrscher in den Schutzgebieten, mir mit dem Unter¬
schiede von andern absoluten Staatsgebilden, daß die Souveränität ihre Be¬
schränkung findet in den vertragsmäßigen Rechten der Eingebornen. Deshalb
ist die Oberhoheit des Kaisers auch nicht als Souveränität -- wie in Elsaß-
Lothringen -- sondern als Schutzgewalt bezeichnet.

Mit diesen weitgehenden Befugnissen ausgerüstet, wird es der Exekutive
möglich sein, die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Die Reichsangehörigen
und die Angehörigen andrer zivilisirter Nationen haben alle Garantien, welche
die moderne Staatslehre für die persönliche Freiheit und Bewegung der Staats¬
bürger erfordert. Den Eingebornen gegenüber hat die Exekutive den ihr "ach


daß dem mit der Gerichtsbarkeit beauftragten Beamten ein weiteres lokales
Strafverordnungsrecht eingeräumt ist; er kann in unbeschränkter Höhe Geld¬
strafen festsetzen und Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten. Während ferner
in den Konsulargerichtsbezirken Schwnrgcrichtsfälle nicht zur Aburteilung ge¬
langen können, ist eine solche sür die Schutzgebiete unter gewissen Kautelen
vorgesehen. Es ist ferner die Möglichkeit gegeben, in bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten als zweite und letzte Instanz nicht das Reichsgericht, sondern das Hansea¬
lische Oberlandesgericht oder ein Konsnlargericht zu bestellen. Soweit nämlich
vorzugsweise hanseatische Kaufleute in ihren Unternehmungen bei den Schutz¬
gebieten beteiligt sind, entspricht es ihren Bedürfnissen, daß sie das letzte Gericht
in ihrer Heimat haben; soweit die Interessenten der Südsee in Betracht kommen,
wird es für diese bequemer sein, wenn ein Konsnlargericht in der Nähe die
letzte Entscheidung hat. Es ist sodann in Aussicht genommen, gewisse Vor¬
schriften der Neichsjustizgesetze, die auch in der Heimat wenig Beifall gefunden
haben, von deu Schutzgebieten auszuschließen, in denen alle Voraussetzungen
für ihre Anwendung fehlen. So soll der Anwaltszwang wegfallen, das Zu-
stellungs-, Vvllftreckungs - und Kosteuweseu entsprechend vereinfacht werden.
Endlich regelt sich die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes
für alle Personen außer den Eingebornen nach dem Gesetze vom 4. Mai 1870
über die gleichen Verhältnisse der Neichsangehörigen im Auslande. Die hierzu
erforderliche kaiserliche Verordnung ist für Kamerun und Togo bereits unter
dem 21. April 1886 ergangen.

Das Schwergewicht für die Fortentwicklung der Schutzgebiete liegt aber
in dem § 1 des Gesetzes: „Die Schutzgewnlt in den deutschen Schutzgebieten übt
der Kaiser im Namen des Reiches ans." Dies war der viclnmkämpftc Angel¬
punkt des Gesetzes, und seine Annahme bedeutet deu Sieg des nationalen Ge¬
dankens und der Sachlichkeit gegenüber dem Partikularismus und dem Fraktions¬
geist. In dieser Vorschrift ist eine doppelte Seite enthalten, indem einmal
ausgesprochen ist, daß die oberste Exekutive in den Händen des Kaisers beruht,
und sodann, daß die Gesetzgebung, abgesehen von den durch das Gesetz selbst
festgestellten Bestimmungen, vom Kaiser allein ausgeübt werden soll. Hiernach
ist der Kaiser der absolute Herrscher in den Schutzgebieten, mir mit dem Unter¬
schiede von andern absoluten Staatsgebilden, daß die Souveränität ihre Be¬
schränkung findet in den vertragsmäßigen Rechten der Eingebornen. Deshalb
ist die Oberhoheit des Kaisers auch nicht als Souveränität — wie in Elsaß-
Lothringen — sondern als Schutzgewalt bezeichnet.

Mit diesen weitgehenden Befugnissen ausgerüstet, wird es der Exekutive
möglich sein, die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Die Reichsangehörigen
und die Angehörigen andrer zivilisirter Nationen haben alle Garantien, welche
die moderne Staatslehre für die persönliche Freiheit und Bewegung der Staats¬
bürger erfordert. Den Eingebornen gegenüber hat die Exekutive den ihr »ach


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[0271] daß dem mit der Gerichtsbarkeit beauftragten Beamten ein weiteres lokales Strafverordnungsrecht eingeräumt ist; er kann in unbeschränkter Höhe Geld¬ strafen festsetzen und Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten. Während ferner in den Konsulargerichtsbezirken Schwnrgcrichtsfälle nicht zur Aburteilung ge¬ langen können, ist eine solche sür die Schutzgebiete unter gewissen Kautelen vorgesehen. Es ist ferner die Möglichkeit gegeben, in bürgerlichen Rechtsstreitig- keiten als zweite und letzte Instanz nicht das Reichsgericht, sondern das Hansea¬ lische Oberlandesgericht oder ein Konsnlargericht zu bestellen. Soweit nämlich vorzugsweise hanseatische Kaufleute in ihren Unternehmungen bei den Schutz¬ gebieten beteiligt sind, entspricht es ihren Bedürfnissen, daß sie das letzte Gericht in ihrer Heimat haben; soweit die Interessenten der Südsee in Betracht kommen, wird es für diese bequemer sein, wenn ein Konsnlargericht in der Nähe die letzte Entscheidung hat. Es ist sodann in Aussicht genommen, gewisse Vor¬ schriften der Neichsjustizgesetze, die auch in der Heimat wenig Beifall gefunden haben, von deu Schutzgebieten auszuschließen, in denen alle Voraussetzungen für ihre Anwendung fehlen. So soll der Anwaltszwang wegfallen, das Zu- stellungs-, Vvllftreckungs - und Kosteuweseu entsprechend vereinfacht werden. Endlich regelt sich die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes für alle Personen außer den Eingebornen nach dem Gesetze vom 4. Mai 1870 über die gleichen Verhältnisse der Neichsangehörigen im Auslande. Die hierzu erforderliche kaiserliche Verordnung ist für Kamerun und Togo bereits unter dem 21. April 1886 ergangen. Das Schwergewicht für die Fortentwicklung der Schutzgebiete liegt aber in dem § 1 des Gesetzes: „Die Schutzgewnlt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reiches ans." Dies war der viclnmkämpftc Angel¬ punkt des Gesetzes, und seine Annahme bedeutet deu Sieg des nationalen Ge¬ dankens und der Sachlichkeit gegenüber dem Partikularismus und dem Fraktions¬ geist. In dieser Vorschrift ist eine doppelte Seite enthalten, indem einmal ausgesprochen ist, daß die oberste Exekutive in den Händen des Kaisers beruht, und sodann, daß die Gesetzgebung, abgesehen von den durch das Gesetz selbst festgestellten Bestimmungen, vom Kaiser allein ausgeübt werden soll. Hiernach ist der Kaiser der absolute Herrscher in den Schutzgebieten, mir mit dem Unter¬ schiede von andern absoluten Staatsgebilden, daß die Souveränität ihre Be¬ schränkung findet in den vertragsmäßigen Rechten der Eingebornen. Deshalb ist die Oberhoheit des Kaisers auch nicht als Souveränität — wie in Elsaß- Lothringen — sondern als Schutzgewalt bezeichnet. Mit diesen weitgehenden Befugnissen ausgerüstet, wird es der Exekutive möglich sein, die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Die Reichsangehörigen und die Angehörigen andrer zivilisirter Nationen haben alle Garantien, welche die moderne Staatslehre für die persönliche Freiheit und Bewegung der Staats¬ bürger erfordert. Den Eingebornen gegenüber hat die Exekutive den ihr »ach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/271>, abgerufen am 30.06.2024.