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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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vor den Werkzeugen derselben rauben und sonst ruhige Leute zu wütenden
Ausbrüchen treiben, sind anch dem Militär gegenüber wirksam; und es hängt
zwar von den Umständen ab, inwieweit sie auch hier zur vollen Geltung
kommen, aber bis jetzt ist es mit einer größer" Widerstandsfähigkeit des
Militärs gegen diese in der Luft liegenden Einflüsse noch überall sehr schwach
bestellt gewesen. Man denke an 1848! Daß es damals sehr bald gelang, bei
den Truppen die Disziplin wiederherzustellen, und daß selbst die süddeutschen
Truppen der von Baden ausgehenden Versuchung über Erwarten gut wider¬
standen, ist ja richtig; aber man vergesse nicht, daß damals die Hochflut
der geistigen und nationalen Bewegung des Jahres 1848 schon verlaufen war,
daß die Frankfurter Morde und die Hecker-Struvcscheu Putsche in Baden unser
gutes deutsches Volk schrecklich ernüchtert hatten, daß die Vassermaunschen
"Gestalten" auch noch von andern Leuten gesehen worden waren, und last
not 1"zg,Kt> daß die Redensarten der damaligen Demokraten von "vertierten
Söldnern" u. dergl. und die in den Straßen von Mainz und andern Städten
gegen die Soldaten verübten Rohheiten unmöglich die Folge haben konnten, die
Soldaten zum "Volke" herüberzuziehen. Und trotz alledem stand die Sache eine
Zeit lang zweifelhaft genug! Wer konnte dafür bürgen, daß das in Baden
gegebene Beispiel keine Nachahmung fand? Wenn es irgendwo an einem
ernsthaften Grunde für den Ausbruch der Rebellion fehlte, so war dies doch
sicherlich gerade in dem liberalen, wohlhabenden Baden der Fall; hier war
es mit Händen zu greifen, daß wirklich weiter nichts als der zur Zuchtlosigkeit
gereifte "Geist der Zeit" es war, welcher Soldaten und Bürger zur Empörung
trieb. Und endlich ist noch eins nicht zu vergessen. Die Bewegung des Jahres
1848 war in ihrem Ursprünge keine deutsche, sondern eine von Frankreich her
importirte, und die geistigen Strömungen, denen sie zum Ausbruch verhalf, waren
gleichfalls ihrer Zeit importirt worden. So war die Seele des Volkes eigentlich
nicht bei der Sache; sie war sicherlich viel mehr bei dem Frankfurter Handwerker-
Parlamente als in den Räumen der Paulskirche. Nun, sollte es so ganz und
gar undenkbar sein, daß wir einmal eine spezifisch deutsche revolutionäre Be¬
wegung bekommen? Gewiß würde dieselbe immer nur einen Teil des deutscheu
Volkes erfassen und mit sich fortreißen, und gerade dies sowie die absolute
Rücksichtslosigkeit gegenüber allen Andersdenkenden, an der es dann sicherlich
nicht fehlen würde, wäre ja wieder etwas spezifisch Deutsches. Aber wer vermag
genügende Gründe dafür anzuführen, daß ein Ausbruch dieser Art für Deutsch¬
land ausgeschlossen erscheine, und daß die ansteckende Wirkung, die sonst überall
im gleichen Falle beobachtet worden ist, bei uns versagen würde?

Nun, daß wir in einer Zeit leben, welche ohne Übertreibung als eine
"sozialistisch erregte" bezeichnet werden kann, das wird wohl niemand in Abrede
stellen. Wenn in England, mit dem so lange Zeit für die angeblichen trefflichen
Wirkungen der Rede- und Versammlungsfreiheit Parade gemacht wurde, keine


vor den Werkzeugen derselben rauben und sonst ruhige Leute zu wütenden
Ausbrüchen treiben, sind anch dem Militär gegenüber wirksam; und es hängt
zwar von den Umständen ab, inwieweit sie auch hier zur vollen Geltung
kommen, aber bis jetzt ist es mit einer größer» Widerstandsfähigkeit des
Militärs gegen diese in der Luft liegenden Einflüsse noch überall sehr schwach
bestellt gewesen. Man denke an 1848! Daß es damals sehr bald gelang, bei
den Truppen die Disziplin wiederherzustellen, und daß selbst die süddeutschen
Truppen der von Baden ausgehenden Versuchung über Erwarten gut wider¬
standen, ist ja richtig; aber man vergesse nicht, daß damals die Hochflut
der geistigen und nationalen Bewegung des Jahres 1848 schon verlaufen war,
daß die Frankfurter Morde und die Hecker-Struvcscheu Putsche in Baden unser
gutes deutsches Volk schrecklich ernüchtert hatten, daß die Vassermaunschen
„Gestalten" auch noch von andern Leuten gesehen worden waren, und last
not 1«zg,Kt> daß die Redensarten der damaligen Demokraten von „vertierten
Söldnern" u. dergl. und die in den Straßen von Mainz und andern Städten
gegen die Soldaten verübten Rohheiten unmöglich die Folge haben konnten, die
Soldaten zum „Volke" herüberzuziehen. Und trotz alledem stand die Sache eine
Zeit lang zweifelhaft genug! Wer konnte dafür bürgen, daß das in Baden
gegebene Beispiel keine Nachahmung fand? Wenn es irgendwo an einem
ernsthaften Grunde für den Ausbruch der Rebellion fehlte, so war dies doch
sicherlich gerade in dem liberalen, wohlhabenden Baden der Fall; hier war
es mit Händen zu greifen, daß wirklich weiter nichts als der zur Zuchtlosigkeit
gereifte „Geist der Zeit" es war, welcher Soldaten und Bürger zur Empörung
trieb. Und endlich ist noch eins nicht zu vergessen. Die Bewegung des Jahres
1848 war in ihrem Ursprünge keine deutsche, sondern eine von Frankreich her
importirte, und die geistigen Strömungen, denen sie zum Ausbruch verhalf, waren
gleichfalls ihrer Zeit importirt worden. So war die Seele des Volkes eigentlich
nicht bei der Sache; sie war sicherlich viel mehr bei dem Frankfurter Handwerker-
Parlamente als in den Räumen der Paulskirche. Nun, sollte es so ganz und
gar undenkbar sein, daß wir einmal eine spezifisch deutsche revolutionäre Be¬
wegung bekommen? Gewiß würde dieselbe immer nur einen Teil des deutscheu
Volkes erfassen und mit sich fortreißen, und gerade dies sowie die absolute
Rücksichtslosigkeit gegenüber allen Andersdenkenden, an der es dann sicherlich
nicht fehlen würde, wäre ja wieder etwas spezifisch Deutsches. Aber wer vermag
genügende Gründe dafür anzuführen, daß ein Ausbruch dieser Art für Deutsch¬
land ausgeschlossen erscheine, und daß die ansteckende Wirkung, die sonst überall
im gleichen Falle beobachtet worden ist, bei uns versagen würde?

Nun, daß wir in einer Zeit leben, welche ohne Übertreibung als eine
„sozialistisch erregte" bezeichnet werden kann, das wird wohl niemand in Abrede
stellen. Wenn in England, mit dem so lange Zeit für die angeblichen trefflichen
Wirkungen der Rede- und Versammlungsfreiheit Parade gemacht wurde, keine


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[0250] vor den Werkzeugen derselben rauben und sonst ruhige Leute zu wütenden Ausbrüchen treiben, sind anch dem Militär gegenüber wirksam; und es hängt zwar von den Umständen ab, inwieweit sie auch hier zur vollen Geltung kommen, aber bis jetzt ist es mit einer größer» Widerstandsfähigkeit des Militärs gegen diese in der Luft liegenden Einflüsse noch überall sehr schwach bestellt gewesen. Man denke an 1848! Daß es damals sehr bald gelang, bei den Truppen die Disziplin wiederherzustellen, und daß selbst die süddeutschen Truppen der von Baden ausgehenden Versuchung über Erwarten gut wider¬ standen, ist ja richtig; aber man vergesse nicht, daß damals die Hochflut der geistigen und nationalen Bewegung des Jahres 1848 schon verlaufen war, daß die Frankfurter Morde und die Hecker-Struvcscheu Putsche in Baden unser gutes deutsches Volk schrecklich ernüchtert hatten, daß die Vassermaunschen „Gestalten" auch noch von andern Leuten gesehen worden waren, und last not 1«zg,Kt> daß die Redensarten der damaligen Demokraten von „vertierten Söldnern" u. dergl. und die in den Straßen von Mainz und andern Städten gegen die Soldaten verübten Rohheiten unmöglich die Folge haben konnten, die Soldaten zum „Volke" herüberzuziehen. Und trotz alledem stand die Sache eine Zeit lang zweifelhaft genug! Wer konnte dafür bürgen, daß das in Baden gegebene Beispiel keine Nachahmung fand? Wenn es irgendwo an einem ernsthaften Grunde für den Ausbruch der Rebellion fehlte, so war dies doch sicherlich gerade in dem liberalen, wohlhabenden Baden der Fall; hier war es mit Händen zu greifen, daß wirklich weiter nichts als der zur Zuchtlosigkeit gereifte „Geist der Zeit" es war, welcher Soldaten und Bürger zur Empörung trieb. Und endlich ist noch eins nicht zu vergessen. Die Bewegung des Jahres 1848 war in ihrem Ursprünge keine deutsche, sondern eine von Frankreich her importirte, und die geistigen Strömungen, denen sie zum Ausbruch verhalf, waren gleichfalls ihrer Zeit importirt worden. So war die Seele des Volkes eigentlich nicht bei der Sache; sie war sicherlich viel mehr bei dem Frankfurter Handwerker- Parlamente als in den Räumen der Paulskirche. Nun, sollte es so ganz und gar undenkbar sein, daß wir einmal eine spezifisch deutsche revolutionäre Be¬ wegung bekommen? Gewiß würde dieselbe immer nur einen Teil des deutscheu Volkes erfassen und mit sich fortreißen, und gerade dies sowie die absolute Rücksichtslosigkeit gegenüber allen Andersdenkenden, an der es dann sicherlich nicht fehlen würde, wäre ja wieder etwas spezifisch Deutsches. Aber wer vermag genügende Gründe dafür anzuführen, daß ein Ausbruch dieser Art für Deutsch¬ land ausgeschlossen erscheine, und daß die ansteckende Wirkung, die sonst überall im gleichen Falle beobachtet worden ist, bei uns versagen würde? Nun, daß wir in einer Zeit leben, welche ohne Übertreibung als eine „sozialistisch erregte" bezeichnet werden kann, das wird wohl niemand in Abrede stellen. Wenn in England, mit dem so lange Zeit für die angeblichen trefflichen Wirkungen der Rede- und Versammlungsfreiheit Parade gemacht wurde, keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/250>, abgerufen am 30.06.2024.